Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
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СКАЧАТЬ an das Rad! Ich will dir selbst die ersten Griffe zeigen. In einer Viertelstunde mußt du fix und fertig drehen können.«

      Und eifrig ging er an sein Werk.

      Die Tage verstrichen in gewohnter Weise. In der Woche wurde rechtschaffen gedreht und des Nachts fest und ruhig geschlafen. Wenn die Mittagspause eintrat, war Jan für alle Knechte eifrig zur Hand und holte ihnen, was sie nötig hatten, aus den verschiedenen Buden herbei. Er war immer heiter und unverdrossen; ließ sich eine Neckerei gefallen, schüttelte einen Puff oder einen Schlag von sich ab und war bald auf dem ganzen Seilerplatz wohlgelitten. Die Männer, denen er ihre Bedürfnisse brachte, teilten ihm von ihrem Ueberfluß mit und die alten und jungen Weiber in den Verkaufsbuden hatten ihre Freude über den lustigen Käufer, dem sie manchen leckeren Bissen zusteckten. Jan Blaufink, der aus der Neptunswerft eine gute Vorschule durchmachte, hatte sich in wenigen Wochen sein volles Terrain erobert.

      Sonst aber war nicht alles, wie es sein sollte. Der Verdienst fiel so gering aus, daß der armen Frau Rosmarin wenig davon zugute kam. Auch die Sonntagsfreuden wurden wesentlich verkümmert. Nur ein paar Wochen lang hatte Elias Brammer die Sonntagsbesuche des Radjungen geduldet. Als er aber sah, daß Frau und Tochter sich mehr mit ihm abgaben, als ihm recht war, und ihn reichlicher versorgten, als er missen zu können vermeinte, wies er dem Jungen die Tür und verbot das Wiederkommen in so energischer Weise, daß Jan es nicht wagte, diesem Verbot Trotz zu bieten. Der Sonntag wurde zum Kummertag. Die Schauspielerin und der Radjunqe trennten sich mit Tränen in den Augen und einem stummen Händedruck.

      Allmählich kam der Augustmonat heran; der Monat, in welchem das Fest der Seiler gefeiert wurde. Schewe-Lieke nannte es das Volk: das Fest der Schiefen und der Geraden, sagten die Gebildeten. In diesem Monat wurden diejenigen Lehrburschen, welche ihre Lehrzeit durchmachten, feierlich losgesprochen und zum Gesellen gemacht. Darauf begannen die Spiele der Schiefen und der Geraden. Einer der Burschen schwärzte sich das Gesicht, machte sich künstlich einen Höcker und erhielt in der einen Hand ein Pritschholz, in der anderen eine blecherne Sammelbüchse. Mit diesen beiden Attributen ausgerüstet, fuhr er auf dem weit ausgedehnten Spielplatz, der die ganze Reifschlägerei einnahm, wie eine zischende Rakete durch die gaffende, plaudernde und lachende Menge. Mit den wenigen Schillingen, die in der Börse waren, rasselte er unaufhörlich, um neue anzulocken, und das Pritschholz gebrauchte er, um sich Bahn durch das Gedränge zu machen. Den kargen Zahler ermunterte er durch einen derben Schlag zum Mehrzahlen, dem splendiden gab er einen gleich aus Dankbarkeit. Es gehörte eine Gewandtheit und eine Keckheit dazu, um dieses Amt zu verwalten, die nicht jedermanns Sache war, und es galt als die bedeutendste Vorbereitung zu dem Feste von »Schewe-Lieke«, aus der Menge der Seiler- und Radjungen den geeigneten Vertreter zu finden.

      Auch dieses Mal wurde der wichtige Umstand reiflich erwogen. Je gewandter der Sammelbursche war, je reichlicher strömten die Schillinge in die Büchse und je voller diese, womöglich bis zum Rande, wurde, je üppiger konnte die Bewirtung ausfallen, die aus diesen Erträgnissen bestritten wurde.

      »Ich meine,« sagte der Bahnmeister bedächtig, indem er den Finger an die Nase legte, »daß es gut getan sei, dem Jan Blaufink die Büchse zu geben. Er schlägt nicht so stark zu, wie die anderen klobigen Burschen, und hat den Hanswurst noch vom Theater her in dem Kopf. Das ermuntert die Leute zum Lachen und fröhliche Leute mögen auch, daß die anderen fröhlich sind, darum geben sie doppelt und dreifach. Habe es seinerzeit gehabt, daß mir ein alter, lachender Herr ein blankes Vierschillingsstück in die Hand steckte.«

      »Dann hattet Ihr auch wohl ein Stück von einem Hanswurst im Kopfe, Bahnmeister?« fragte einer der älteren Seilerknechte und jener erwiderte gutmütig:

      »Hatte ihn. Bald nachher schickten sie mich an Bord eines Grönlandfahrers, denn ich wollte am Lande nicht gut tun; da ist denn bei Spitzbergen der Hanswurst in mir erfroren und nicht wieder lebendig geworden. Von toten Leuten aber tut man am besten, nicht weiter zu reden, das merke dir.«

      »Habe es mir schon gemerkt,« entgegnete der Seilerknecht. »Und aus diesem Grunde ist es mir und den anderen recht, wenn Ihr dem Jan Blaufink die Büchse und das Pritschholz in die Hand geben wollt.«

      »Man bringe ihn vor uns!« entschied der Bahnmeister, und Jan Blaufink, der dazu erkoren war, die Schläge nach allen Seiten hin auszuteilen, wurde selbst mit vielen Püffen und Stößen bis zu dem Schauplatz seiner dreitägigen Herrlichkeit geleitet.

      Am Abend erschien er in seinem Glanze. Das Gesicht war mit Kienruß gefärbt und auf dem Kopfe saß eine weiße Papiermütze, deren Spitze eine brandrote Schleife bildete. Er trug einen blauwollenen Kittel mit großen, roten Achselbändern, die aus einer alten Dragonerjacke herausgeschnitten waren. In der Rechten hielt er die Büchse, die aufleuchtete, wie blankpolierter Stahl, in der Linken schwang er das Pritschholz und versuchte es zur Probe allererst auf dem Rücken des Bahnmeisters, der ihn scheltend zum Teufel gehen hieß.

      Laut lachend sprang Jan Blaufink mitten in den dichtesten Haufen hinein und das Fest von Schewe-Lieke war im vollsten Gange.

      Freude und Leid hausen oft nebeneinander unter demselben Dache. Hier prahlt der Reichtum mit tausend überflüssigen Dingen, die ihm zur Last fallen, dort nagt die Armut am Hungertuch und bittet mit tränenden Augen um eine Stunde Schlaf, den drohenden Mangel zu vergessen.

      Mitten in dem bunten Gewühl von Lachenden und Zechenden, welche sich in der sonst so einsamen Allee der Reeperbahn auf- und abbewegten, schlich eine verhüllte Frauengestalt. Sie blickte furchtsam um sich, machte mehrere Male Miene, einen oder den anderen der Vorübergehenden anzureden, stand aber jedesmal davon ab, aus Furcht, hart angelassen zu werden. Endlich vermochte sie dem Drange der innersten Notwendigkeit nicht zu widerstehen. Sie trat an eine Frau heran, die einen großen Henkelkorb am Arm, sich das bunte Treiben wohlgefällig betrachtete, und sagte leise:

      »Ich bitte Euch um Gottes Barmherzigkeit willen, mir einen Dreiling zu Brot zu schenken.«

      Die Frau tat, als hörte sie es nicht. Die verhüllte Bettlerin wiederholte nach einer Pause ihre Bitte, indem sie den Henkelkorb berührte, um die Aufmerksamkeit der Frau zu erregen.

      Da fuhr das Weib laut schreiend auf: »Was hat Sie? Wer ist Sie? Was will Sie?«

      »Um Gotteswillen!« entgegnete jene erschrocken. »Mache Sie nicht solchen Lärm. Die Leute sehen uns ja an.«

      »Was ich sage und tue, kann die ganze Welt hören und sehen!« fuhr das Weib fort. »Aber Sie mag wohl Ursache haben, sich zu fürchten vor den Leuten, sonst würde Sie sich nicht so verhüllen.«

      Die Erschrockene streckte flehend die Hände aus und sagte:

      »Habe Sie doch mindestens Erbarmen ...«

      »Die Hand weg!« kreischte jene noch lauter. »Ich merke ohnedies, daß es auf meinen Korb abgesehen ist. Um einen Dreiling wird gebettelt und ein Taler wird genommen!«

      »Was untersteht Sie sich! ...« rief die bis dahin so demütige Frau; allein, sie kam nicht weiter, Scham und Zorn verschlossen ihr den Mund, während das Weib mit dem Henkelkorbe laut ausrief:

      »Man soll mit dem Diebsgesindel wohl noch Umstände machen. Heda, Leute! Hier ist eine Diebin.«

      Das Volk drängte sich um beide.

      Unterdessen hatte Jan Blaufink in immer kühneren Kreisen seine Bahn durchlaufen und war oft über dieselbe hinausgeschweift. Das Pritschholz war nicht müßig und die Büchse füllte sich mehr und mehr. Es stand ein tüchtiges Trinkgelage für die folgenden Tage bevor. Je ausgelassener er war, je mehr ermunterten ihn seine Gefährten, und immer ungebändigter verfolgte er sein Ziel, das er mit jeder Viertelstunde weiter hinaussteckte. СКАЧАТЬ