Название: Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen
Автор: Heinrich Smidt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831330
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»Von dir hört man saubere Geschichten! Daß du es nur weißt! Deines Bleibens ist hier nicht länger. Der Baas gibt dir den Laufpaß und morgen darfst du nicht wieder hierher kommen.«
»Es ist gut!« sagte Jan nach einer Pause. »Dachte wohl, daß es so kommen würde, denn auf einen armen Jungen regnet alles Unheil herab, während eines reichen Mannes Sohn für seine Schelmenstreiche noch belobt wird. Ihr habt mich auch immer gehänselt und mir die paar Späne mißgönnt, die ich abends nach Hause trug. Aber ich will Böses mit Gutem vergelten und Euch vor einem Unglück warnen, das Euch bedroht! Der Klaus und der Matthes ...«
»Sind sie betrunken?« fuhr der Werftmeister ihn an.
»Ich habe ihnen keinen Branntwein geholt!« entgegnete Jan kurz ab. »Aber sie sitzen dort im Schuppen beieinander und sprechen von Rebellion und daß sie die ganze Werft um Mitternacht mit Pechfackeln beleuchten wollen, so hell, daß die Leute in Harburg glauben sollen, es sei Mittag.«
»Alle Donnerwetter!« platzte der Werftmeister heraus. Er steuerte dem Schuppen zu, so schnell er konnte, und fuhr die beiden Schläfer, die sich eben zu ermuntern begannen, an:
»Matthes! Klaus! Wollt ihr Tagediebe vom Boden auf! Wie weit seid ihr mit eurer Mordbrennerei?«
Jan stand hinter dem Werkmeister und schrie fortwährend: »Rebellion!«
Was in der Nähe war, eilte herbei und fragte nach der Revolte.
»Hollah! Ahoi!« antworteten die Schläfer, indem sie die Augen aufschlugen und Miene machten, sich zu erheben. Aber in demselben Moment fuhren sie mit den Köpfen zusammen und fielen rücklings wieder um.
Eine ganze Tonleiter von Flüchen und Verwünschungen quoll aus den ungewaschenen Mäulern der beiden noch schlaftrunkenen Gesellen, die sich balgten und umwälzten, ohne nur im Geringsten voneinander loskommen zu können. Die Zuschauer brachen in ein lautes Gelächter aus und der Werftmeister, der sich zu ihnen herabbeugte, rief, sich die Seiten haltend:
»Da hat ihnen jemand die Zöpfe zusammengebunden! Gehe einer zu ihnen und mache sie voneinander los. Wer Teufels hat diesen tollen Streich ausgebrütet?«
Einer der Lehrburschen hatte mit Hilfe seiner spitzen Finger und eines Messers den gordischen Knoten gelöst, nicht ohne den sauber gedrehten Zöpfen einige erhebliche Wunden beizubringen. Mit lauten Verwünschungen sprangen die beiden, welche der Gegenstand des allgemeinen Gelächters waren, vom Boden auf und schrieen:
»Das hat der Jan getan!«
»Der Jan! der Jan!« hallte es im Echo wider. »Wo ist er?«
Und alle Hände streckten sich nach ihm aus.
Aber dieser befand sich längst aus dem Bereiche derselben. Mit der Gewandtheit eines Seiltänzers erkletterte er einen der hohen Sägeblöcke, balanzierte auf demselben und rief herunter:
»Wer denn sonst? Habt ihr nicht gesagt, wer mit Ehren die Werft verlassen will, muß erst sein Meisterstück machen? Da habt ihr meins. Zwei Querköpfe habe ich zu einem zusammengeschweißt. Daß ihr sie wieder trennt, ist euer Schaden, nicht der meinige. Ein Hurra für die Neptunswerft! Mich sieht sie nicht wieder. Kopf weg!«
Mit dem letzten Ausruf sprang er von dem Sägebock hinunter mitten in den Schwarm der tobenden Lehrburschen. Die junge Brut fühlte einige Sympathien für den Tollkopf und ließ ihn durchschlüpfen. Einer derselben steckte ihm sogar ein Stück schwarzes Brot in die Hand, das er sich zur Vespermahlzeit beiseite legte, und erst als Jan einen ziemlichen Vorsprung hatte, flogen sie tobend und schreiend hinter ihm drein.
Jan ging seines Weges. Er wußte nicht, wohin? Es war ihm auch einerlei. Ihm fehlte die Stelle, wo er sein Haupt niederlegen; ihm fehlte der Bissen, womit er sich sättigen konnte. Nur der blaue Himmel über ihm war sein Dach und die Wasserfluten der Elbe standen ihm frei zum unbeschränkten Gebrauch.
Der Hunger bewältigte den armen Jungen, der nicht aus den Fleischtöpfen der alten Möller hatte schöpfen dürfen. Da gedachte er des Stückes Schwarzbrot, was man ihm im Gedränge zusteckte, und hastig fuhr er damit nach dem Munde.
»Ach bitte, bitte! Mich hungert so sehr!« sprach eine weinerliche Stimme neben ihm. »Bitte! Bitte!«
Jan sah sich um und gewahrte ein kleines Mädchen, das auf einem Stein am Wege saß und bitterlich weinte. Sie war nur notdürftig bekleidet und zitterte vor Frost und Hunger.
»Ich habe selbst nichts!« sprach Jan kurzab und ging weiter; aber in demselben Augenblicke kehrte er wieder um, bückte sich zu dem Kinde nieder und sagte:
»Einen Bissen will ich dir wohl abgeben; das andere brauche ich selbst.«
Er steckte dem Kinde ein Stück von dem Brote in den Mund, das spurlos verschwand. Ihm folgte ein zweites und drittes. Das Kind hörte zu weinen auf. Es lächelte seinen Wohltäter an und sagte, in die Hände klatschend:
»Mehr! Mehr!«
»Mehr habe ich nicht,« sagte Jan mit einem wehmütigen Lächeln. »Es hat gerade ausgereicht, dich satt zu machen. Ob sich aber einer findet, der mir die Bissen ungezählt in den Mund steckt, ist nicht zu hoffen.«
Das kleine Schauspiel hatte einen Zuschauer gehabt. Einen stattlichen Herrn, der von den Werften kam und nach dem Tor zuschritt. Es war der Baas von der Neptunswerft, der den ganzen Vorgang mit dem Jan kannte und selbst befohlen hatte, daß derselbe entfernt werden sollte.
»Ein durchtriebener Taugenichts und doch solcher Tat fähig!« sprach er vor sich hin. »Hm! Ist mir leid. Aber Wort ist Wort und ich kann es den Leuten gegenüber nicht zurücknehmen. Jan! He! Jan!«
Jan erkannte den Baas an der Stimme und konnte eine Anwandlung von Furcht nicht unterdrücken. Aber rasch schüttelte er sie von sich ab und sagte:
»Ihr habt mich von Eurer Werft gejagt und mir nichts mehr zu befehlen.«
»Ich will dir auch nichts befehlen; ich will dich Lügen strafen.«
»Das könnt Ihr nicht, denn ich lüge nie!«
»Du hast eben gesagt, es wird sich keiner finden, der dir die Bissen ungezählt in den Mund steckt. Ich will dir jemand zeigen, der es tut.«
Ein Schimmer der Freude flog über das Gesicht des hungernden Knaben. Er folgte dem Baas, der auf eines der kleinen einstöckigen Häuser zuging, dessen Besitzer eine Herberge und eine Garküche für ledige Zimmergesellen hielt. Mit der Mütze in der Hand kam der Wirt dem reichen Baas entgegen und fragte nach dessen Befehlen.
»Da bringe ich einen Burschen, den ich von meiner Werft habe entlassen müssen.«
»Das ist der tolle Jan!« sagte achselzuckend der Inhaber der Garküche. »Der wird wohl noch von zehn anderen Stellen weggejagt werden.«
»Ihr werdet ihn bei Euch aufnehmen und ihn verköstigen. Acht Tage lang kann er für meine Rechnung bei Euch bleiben und der Werftmeister soll Euch den Betrag auszahlen. Binnen dieser Frist mag er sich umtun und zusehen, ob er ein ordentlicher Kerl werden, oder am Wege verkommen will.«
Jan СКАЧАТЬ