Der Aktionskreis Halle. Sebastian Holzbrecher
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СКАЧАТЬ erhalten. Die Replik des Nuntius weist jedoch eindeutig auf das von Rintelen behandelte Thema hin: Zur Beruhigung der Gemüter könne Rintelen auf Anfragen hin verwenden, dass „Aufderbeck als möglicher Kandidat für Ihre Nachfolge in Betracht gezogen wurde...“445 In welcher Richtung Rintelen argumentiert haben könnte, darüber gibt ein Brief vom 5. Januar 1970 an Kardinal Jaeger Aufschluss. Darin stellt Rintelen im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr Aufderbecks nach Magdeburg ausdrücklich fest: „Eminenz! In der Frage eines Nachfolgers für mich wird immer wieder erwogen, ob nicht Herr Weihbischof Aufderbeck, der ja bis vor wenigen Jahren Priester des Kommissariates Magdeburg war, nach hier zurückkehren solle. Herr Weihbischof Aufderbeck hat ganz sicher eine hohe Begabung. Auch hat er, wie man hört, eine große Kontaktfähigkeit. Und doch glaube ich, wäre es nicht gut, wenn er als Weihbischof nach Magdeburg käme, und zwar vor allem deshalb, weil er nach dem Erscheinen die Enzyklika ‚Humanae Vitae’ ... durch eine Stellungnahme zu dieser Enzyklika, die auch in meinem Kommissariat verbreitet wurde,...geradezu Ärgernis erregt hat... Exzellenz Aufderbeck hat damals gemeinsam mit ganz wenigen Geistlichen einen Vortrag ‚über katholische Ehelehre nach den Aussagen des Konzils und der neuen Enzyklika Humanae vitae’ erarbeitet und angeordnet, dass dieser Vortrag in allen [Gemeinden, SH] seines Gebietes gehalten würde. Vervielfältigt kam dieser Vortrag auch in meinen Bezirk. Viele meiner Geistlichen waren erschrocken - meinten der Vortrag sei geradezu eine Aufforderung, gegen die Enzyklika zu handeln... Eine Anzahl meiner Geistlichen waren über diese Ausführungen entsetzt und sind es heute noch. Sie würden sicherlich ein wenig erschrocken sein, wenn Herr Weihbischof Aufderbeck jetzt ihr Ordinarius würde. Der Gerechtigkeit halber sei noch gesagt, dass der in Frage stehende Vortrag neben den oben ausgeführten Stellen ganz ausgezeichnete Partien aufweist. Auf Wunsch könnte ich den ganzen Vortrag Euer Eminenz zukommen lassen.“446

      Am 9. März 1970 hatte Weihbischof Rintelen vom Apostolischen Nuntius eine Antwort auf seinen Brief vom 15. Dezember 1969 erhalten. Erzbischof Bafile bestätigte darin, dass Hugo Aufderbeck tatsächlich für Rintelens Nachfolge vorgesehen war, dass dieser Gedanke aber aufgrund zweier Erwägungen nicht weiter verfolgt wurde: „1. es wäre unangebracht gewesen, eine Stelle zu berauben, um eine andere Stelle zu besetzen; 2. es schien unzumutbar, Weihbischof Aufderbeck, der seit 1962 segensreich in Erfurt wirkt, im Alter von 61 Jahren wieder nach Magdeburg zu versetzen, wo er einen neuen Anfang machen müsste.“447 Das letzte Schreiben von Weihbischof Rintelen an den Nuntius in dieser Frage datiert auf den 24. März 1970. Darin unterstrich Rintelen nochmals seine Überzeugung und erklärte, dass unabhängig von der möglichen Erfurter Vakanz die Ernennung Brauns „für das Kommissariat Magdeburg ... die bessere Lösung ist.“448

      Wie lassen sich nun die zahlreichen Briefe und damit verbundenen Intentionen zusammenfassen? Auffallend ist, dass sowohl Prälat Jäger als auch Weihbischof Rintelen unmittelbar nach der Stimmabgabe des Presbyteriums sich gegenüber den zuständigen kirchlichen Instanzen klar und unmissverständlich gegen eine Ernennung von Hugo Aufderbeck ausgesprochen haben. Von der ebenso eindeutigen Ablehnung dieser Option durch Kardinal Jaeger dürften sie vermutlich nicht unterrichtet gewesen sein. Welches Ziel verfolgten also diese Briefe, wenn Johannes Braun ohnehin die Abstimmung des Klerus gewonnen hatte und zumindest Weihbischof Rintelen das Ergebnis der Stimmauszählung kannte? Für die im Kommissariat durchaus verbreitete Vermutung, es sei bei der Stimmauszählung zu Unregelmäßigkeiten gekommen, gibt es anhand der zur Verfügung stehenden Quellen keine eindeutigen Beweise. Zwar würde die Intention der Briefe an Kardinal Jaeger und Nuntius Bafile verständlicher erscheinen, wenn nicht Braun, sondern Aufderbeck die meisten Stimmen hätte auf sich vereinigen können. Ginge man von Manipulationen aus, wäre auch plausibler zu erklären, weshalb Weihbischof Aufderbeck noch weniger Stimmen als Heinz Schürmann bekommen haben sollte. Es erscheint beachtenswert, dass sich das Presbyterium bei der einmaligen Gelegenheit, indirekt den zukünftigen Weihbischof wählen zu können, auf Experimente eingelassen haben soll und nicht den Kandidaten nominierte, der allen durch seine Arbeit bekannt, von der Mehrzahl geschätzt und mit den Aufgaben eines solchen Amtes bereits vertraut war. Auffallend bleibt schließlich, dass sich der vom Paderborner Erzbischof von Beginn an favorisierte Kandidat, der angesichts von „Unruhe und Verwirrung“ im Kommissariat für „Klarheit, Sicherheit, Ruhe“449 sorgen sollte, sich trotz gegenteiliger Prognosen hatte durchsetzen können. Doch für derartige Hypothesen gibt es keine verlässlichen Hinweise, zumal eine Manipulation das Stillschweigen aller daran Beteiligten vorausgesetzt hätte. Vielmehr scheint sich die fehlende Nominierungsmöglichkeit und der geheime Abstimmungsmodus als Vorteil für Johannes Braun herausgestellt zu haben. Es ist durchaus vorstellbar, dass aufgrund des Wahlmodus sich die Stimmen für Aufderbeck und Schürmann ungünstig verteilt haben. Beide hatten durchaus kompatible theologische Programme, weshalb es Grund zu der Annahme gibt, dass, wenn nur einer von beiden zur Wahl gestanden hätte, sich die insgesamt 104 Stimmen auf ihn konzentriert hätten, die sich so auf beide verteilten. Zwar weisen die 61 Stimmen von Prälat Braun nicht auf eine breite Unterstützung im Magdeburger Presbyterium hin. Dennoch reichte diese Anzahl, um sich gegenüber den sich aufgesplitteten Stimmen für die Linie Aufderbeck/Schürmann durchsetzen zu können. Welche Auswirkungen auf das Wahlergebnis die Andeutungen Kardinal Jaegers in der Korrespondenz mit Magdeburger Priestern hatten, wonach Prälat Braun auch sein Favorit sei, bleibt Spekulation.

      Am 9. März 1970 teilte Weihbischof Rintelen zusammen mit Kardinal Bengsch in einer amtlichen Mitteilung allen Geistlichen des Kommissariates Magdeburg mit, dass Papst Paul VI. den langjährigen Rektor des Norbertuswerkes Monsignore Johannes Braun „zum Titularbischof von Puzia di Bizancena und Adjutor-Bischof des Erzbischöflichen Kommissarius für Magdeburg mit dem Recht der Nachfolge ernannt“450 hat. Die Bischofsweihe sollte am 18. April 1970 im Magdeburger Dom stattfinden.451

      Die offizielle Ernennung von Rektor Braun löste in der Hallenser Solidaritätsgruppe erneut große Empörung aus. Am 14. März publizierte die Gruppe eine Erklärung, in der sie zur Wahl und der Person des Ernannten Stellung nahm.452 Trotz der stattgefundenen Stimmabgabe im Dezember 1969 sahen sich die Hallenser in ihrem Mitspracherecht beschnitten, da die Wahl unter Ausschluss der Laien und ohne Bekanntgabe von Kandidatenvorschlägen und Wahlergebnissen durchgeführt worden war. Unverständlich war für die Gruppe, wie Prälat Braun die Wahl hatte gewinnen können. Nach ihrer Wahrnehmung war er außerhalb des Norbertinums kaum bekannt, in keiner Gruppe der Priester oder Laien aktiv und hinsichtlich seiner theologischen Einstellung etwa zur Ökumene und der gesellschaftlichen Aufgabe der Kirche sei nichts bekannt gewesen.453 Die Solidaritätsgruppe fühlte sich übervorteilt. Deshalb optierte sie für die letzte verbliebene Alternative und drängte ohne Aussicht auf Erfolg darauf, den gesamten Vorgang der Bischofserhebung zu stoppen.454 Sollte jedoch Prälat Braun zum Bischof geweiht werden, wollte die Gruppe durch ihre Einwände und Bedenken einen positiven Beitrag leisten, um das konstruktive Gespräch im Kommissariat wieder aufzunehmen.455 Am 4. April konstituierte sich der Aktionskreis Halle als kirchliche Basisgruppe, die sich aus Priestern und Laien zusammensetzte und jenseits gemeindlicher Strukturen agierte.456 Der Bischofsweihe von Johannes Braun am 18. April 1970 waren die Priester des wenige Tage zuvor gegründeten Aktionskreises ferngeblieben.457 Am 1. Juni 1970 trat Weihbischof Rintelen in den Ruhestand und Bischof Braun übernahm offiziell die Magdeburger Amtsgeschäfte.458

      Überblickt man die als Auslöser für die Gründung des AKH bezeichnete Bischofswahl im Kommissariat Magdeburg vor dem Hintergrund der Konzilsrezeption, so wird deutlich, dass nicht nur die Hallenser Protestgruppe, sondern auch Kardinal Jaeger in Paderborn sowie der Heilige Stuhl in Rom einen konziliar geprägten Geist des Aufbruchs rezipiert haben. Obwohl der gewählte Modus die Stimmabgabe von Laien nicht vorsah und insofern der Volk-Gottes-Ekklesiologie von Lumen gentium nur eingeschränkt Rechnung trug, war es doch innerhalb des kanonisch möglichen Rahmens zu einer Wahl des bischöflichen Nachfolgers gekommen. Dass letztlich alle Beteiligten mehr den Geist als den Buchstaben des Konzils rezipiert haben, ist gerade im Hinblick auf die Rezeptionshermeneutik ein nicht zu vernachlässigender Aspekt. Allerdings stellten die mit dem Ablauf der Wahl verbundenen Spannungen nicht nur für das Kommissariat Magdeburg eine schwere Hypothek dar, welche die gesamte Amtszeit von Bischof Braun prägen sollte. Auch zu der von Rom in Aussicht gestellten СКАЧАТЬ