Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
isbn:
„Aus Solidarität mit unserem Bruder und Weihbischof Friedrich Maria Rintelen protestieren wir gegen die Verfahrensweise, mit der über den Kopf hinweg ein Koadjutor ernannt worden ist. Dieses Verhalten halten wir für unbrüderlich und vorkonziliar. Aus gemeinsamer Verantwortung für das Kommissariat erwarten wir auch jetzt noch, dass das Volk Gottes, zumindest aber das Presbyterium, bei der Ernennung eines neuen Bischofs gehört wird, zumal dessen Name bis zur Stunde nicht bekannt ist.“ 302
Für diese bis dahin einmalige Protestnote an den Papst und die Bischöfe, gab es zwei Auslöser. Zunächst ging es dem Magdeburger Priesterrat darum, den betreffenden kirchlichen Stellen „zumindest das Befremden zum Ausdruck zu bringen über diese Verfahrensweise.“303 Zu dieser Zeit wurde das Anliegen, das auch von zahlreichen Gemeinden und Gruppen geteilt wurde304, durch den noch amtierenden Magdeburger Weihbischof unterstüzt.305 Erst in zweiter Hinsicht wurde letztlich der wegweisende Impuls artikuliert, eine dem Gesit des Konzils entspringende Beteiligung des Volkes Gottes bei der Nominierung eines Nachfolgers einzufordern. Diese Chronologie zeigt, dass es sich keinesfalls um eine klerikale Revolte handelte, sondern um eine legitime Solidarisierung aus dem Geist des Konzils, die erst in zweiter Hinsicht der Forderung nach einer breiteren innerkirchlichen Mitverantwortung verpflichtet war. Auffallend ist, dass die offizielle Protestnote des Magdeburger Priesterrates nur wenige Tage später ebenfalls die konziliare Rückgebundenheit sowie innerkirchliche Kritik am Weihbischof thematisierte.306
Durch den zufällig auf der Hallenser Versammlung am 19. Juli anwesenden Priester Leonhard Harding wurden die Erklärung und ein Bericht wenige Tage später an die bundesdeutsche Presse übergeben.307 Ein daraufhin am 24. Juli 1969 erscheinender Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begründete Rintelens Resignation mit dessen Verärgerung über die Ernennung eines Koadjutors über seinen Kopf hinweg.308 Das Paderborner Ordinariat bemühte sich zwar um ein kurzes Dementi.309 Doch die Geheimhaltung war damit endgültig gebrochen. Wenige Tage später informierten die staatlichen Stellen in der DDR den Berliner Erzbischof darüber, dass sie sich nach der Pressemeldung über den Koadjutor in Magdeburg nunmehr außerstande sähen, einer Wiedereinbürgerung des Paderborner Weihbischofs zuzustimmen.310 Damit war die von langer Hand vorbereitete Ernennung von Paul Nordhues zum Nachfolger für Weihbischof Rintelen zunächst an genau dem gescheitert, was Kardinal Bengsch hatte um jeden Preis verhindern wollen: am Einfluss kirchlicher Kreise und einer staatlichen Intervention in die kirchliche Selbstverwaltung.
2.3Phasen ortskirchlicher Mitbestimmung
Sollte die Nachfolgeregelung für Weihbischof Rintelen, weil sie öffentlich diskutiert wurde auch durch eine Wahl der Ortskirche entschieden werden? Diese Frage spiegelt den Konflikt wider, der das Kommissariat Magdeburg in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 sowie zu Beginn des folgenden Jahres dominierte. Diese Zeitspanne lässt sich in drei Phasen unterteilen, mit denen jeweils unterschiedliche Kandidatenvorschläge, Interessenlagen, politische Implikationen und Grade der basiskirchlichen Mitbestimmung verbunden sind.
2.3.1„Stillhalteabkommen“ und hintergründige Diplomatie
Die erste Phase erstreckte sich über einen Zeitraum von vier Monaten und begann mit der Klerusversammlung am 19. Juli 1969 in Halle. Von Anfang an war es das Anliegen der hier versammelten Priester und Laien, nicht nur das Verfahren der geheimen Nachfolgeplanungen zu kritisieren, sondern zugleich Mitbestimmungsrechte anzumelden.311 Dabei ging es nicht um die Einforderung eines bereits kodifizierten Rechtes oder einer dezidiert konziliaren Aussage, sondern um das Äußern einer aufgrund der konziliaren und postkonziliaren Entwicklung als legitim erachteten Bitte.312 Am 3. August klärte Friedrich Maria Rintelen in einem Schreiben an alle Geistlichen des Kommissariates über die bisherigen Ereignisse auf und räumte dem Klerus grundsätzlich ein Vorschlagsrecht für seinen Nachfolger ein.313 Er drängte aber zugleich darauf, die Ernennung des bisher vorgesehenen Koadjutors abzuwarten und im Übrigen jeden Ernannten als rechtmäßigen Bischof und „Gesandten Christi“314 anzusehen. Schon in den ersten Wochen nach Bekanntwerden der Ablösungspläne kursierten verschiedene Namen - vorrangig Dozenten des Erfurter Philosophisch-Theologischen Studiums315 - als mögliche Nachfolgekandidaten für Weihbischof Rintelen. Auf einer Versammlung protestierender Priester und Laien am 10. August in Nienburg erschien plötzlich Weihbischof Rintelen offensichtlich in dem Bemühen zu einer einvernehmlichen Lösung mit dem „rebellierenden“ Klerus zu gelangen.316 Es gelang ihm dabei einen Kompromiss auszuhandeln: Sollte der bisher vorgesehene Koadjutor das Amt nicht antreten können oder wollen, sicherte Weihbischof Rintelen die Übermittlung von alternativen Kandidatenvorschlägen an Kardinal Jaeger zu.317 Im Gegenzug verlangte er, dass es bis zur endgültigen Klärung dieser Angelegenheit keine öffentlichen Proteste, keine Meinungsbildung und keine erneuten Nominationen geben sollte.318 Die Versammelten willigten in diesen Kompromiss ein. Damit war der Protest vorerst kanalisiert und weitere Aktionen der kirchlichen Basis waren einstweilen sistiert.
Mitte August war jedoch vermutlich durch eine „gezielte Indiskretion aus Berlin“319 der Name des vorgesehenen Koadjutors Paul Nordhues im Kommissariat Magdeburg bekannt geworden. Zudem schrieb der im Urlaub befindliche Paderborner Erzbischof am 15. August einen Brief an die Priester seines östlichen Diözesansprengels und bemühte sich darin, die aufgebrachten Gemeinden und Priester zu beruhigen.320 Dieser Brief und der durchgesickerte Name des Koadjutors veranlassten Adolf Brockhoff zu einem Text mit der zunächst unscheinbaren Überschrift „Bemerkungen zum Kardinalsbrief.“321 Diese zweiseitige Abhandlung spiegelt jedoch in zynischer Form die innere und äußere Zerrissenheit der durch die innerdeutsche Grenze geteilten Paderborner Diözesananteile wider.322 Die interne Absprache zur Ernennung eines Koadjutors trüge nicht nur „geheime und patriarchalistische“323 Züge. Brockhoff bezweifelte auch, dass „eine kleine Gruppe von Bischofsmachern auch nur entfernt in der Lage ist, die vielschichtige Situation, in die ein neuer Bischof hineingestellt wird, zu kennen, geschweige denn sie zu berücksichtigen.“324 In provokanter Form forderte er schließlich zur Verweigerung dieser anachronistischen Praxis auf, bei der es „dem Zufall“ überlassen bliebe, wer die „Treppe kirchlicher СКАЧАТЬ