Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
isbn:
3.Konstituierung und Konsolidierung
Die Bischofsweihe von Johannes Braun hätte das Ende der Hallenser Protestbewegung bedeuten können. Doch die zunächst noch lose assoziierte Gruppe formierte sich kurz vor der Einführung des neuen Magdeburger Weihbischofs und avancierte bis 1989 zu einer festen, aber nicht unumstrittenen Institution im Katholizismus der DDR. Welche Ziele und Forderungen dabei verfolgt wurden, wie sich die Gruppe zusammensetzte, organisierte und welche Themen in den Rundbriefen und Vollversammlungen debattiert wurden, soll im Folgenden dargestellt und auf eine mögliche Konzilsrezeption hin befragt werden.
3.1Selbstverständnis, Ziele, Forderungen
Historisch greifbar äußert sich das Selbstverständnis des AKH in zentralen Erklärungen, die durch Abstimmungsprozesse legitimiert sind. Als Grundlagendokumente des Aktionskreises lassen sich der Protestbrief an den Papst im Juli 1969460, der Nienburger Tagungsbericht aus dem Herbst 1969461, eine Erklärung vom 14. März 1970 zur Bischofswahl462 sowie die verschiedentlich aktualisierte Grundsatzerklärung463 und Ordnung464 des Aktionskreises bestimmen. Das Proprium der Gemeinschaft, ihre Ziele und Forderungen werden darin ebenso fixiert wie die Grundlagen der Zusammenarbeit.
Die Einforderung von mehr innerkirchlicher Mitverantwortung aus dem Geist des Konzils ist das zentrale Motiv der Gründung des AKH und für seine Identität von essentieller Bedeutung. Die Magdeburger Priester und Laien proklamierten mit ihrer Protestnote an den Papst 1969 nicht nur größere Beteiligungsrechte bei der anstehenden Bischofsernennung.465 Mit der Legitimierung des Anspruchs aus der Volk-Gottes-Ekklesiologie heraus ordneten sie sich in eine innerkirchliche „Suchbewegung“466 ein, die nach der authentischen Interpretation und Rezeption von Geist und Buchstabe des Konzils fragte. Von Beginn an verstand sich der Aktionskreis Halle als selbstständige „Impulsgruppe und Arbeitsgemeinschaft von katholischen Christen (Priestern und Laien) im Kommissariat Magdeburg, [die] an der Erneuerung der Kirche im Sinne der beschlossenen Grundsatzerklärung mitwirken [wollte].“467 Obgleich er sich bewusst nicht in die kanonischen Kategorien des kirchlichen Vereinsrechts einordnete, interpretierte die Gruppe ihre Arbeit ausdrücklich „als legitime Form kirchlichen Lebens“468 und insistierte dabei auf den theologisch gerechtfertigten Zusammenschluss getaufter Christen und auf die Notwendigkeit innerkirchlicher Pluralität.469 Dabei rezipierte sie vor allem die zeitgleichen Erklärungen Karl Rahners zu den Möglichkeiten und Chancen von Priestergruppen.470 Sein Selbstverständnis als „Impulsgruppe und Aktionsgemeinschaft“471 bekräftigte der AKH mehrfach, wobei die territoriale Fokussierung auf das Kommissariat Magdeburg ab 1972 zugunsten einer Orientierung auf das Gebiet der gesamten DDR ausgeweitet wurde.472 Eine Reduzierung des AKH auf eine bloß personell aufgestockte „Korrespondenzgruppe“ oder eine über die Studienzeit hinaus erstarkte Hallenser Studentengemeinde wird dem Selbstverständnis der verschiedenen Gruppen kaum gerecht.473 Vielmehr handelt es sich beim Aktionskreis Halle um eine neue Gruppierung, die zwar auf bestehenden Erfahrungen und personellen Netzwerken aufbauen konnte, die sich aber im Mitgliederprofil, ihrer Struktur, Größe, Arbeit und Zielsetzung von den Vorläufern deutlich unterschied. Obgleich der AKH jedwede Exklusivität ablehnte, „weil sie die Einheit der Kirche sprengt und ihre Offenheit zur Welt gefährdet“474, formte die überwiegend akademische Herkunft seiner Mitglieder die Gruppe maßgeblich. Ob er sich selbst als „Avantgarde“475 verstand, ihm dieses Bewusstsein zugeschrieben oder es nur von einzelen Mitgliedern gepflegt wurde, bleibt offen. Von Anfang an verstand sich der Aktionskreis nicht als „unverbindliche Freizeitbeschäftigung, die man betreibt, wenn man gerade Lust dazu hat, wenn man wieder einmal die Nase voll hat von einsamen kirchenamtlichen Entscheidungen.“476 Auch wollte er kein Auffangbecken für frustrierte Katholiken und kirchliche „Revoluzzer“477 sein.478 Obgleich er dies in bestimmter Hinsicht doch auch war, blieb sein programmatisches Interesse und Selbstverständnis auf „Veränderungen in der Kirche der DDR“479 ausgerichtet. Indem sich der Aktionskreis Halle für jene katholischen Priester in der DDR einsetzte, die infolge von Laisierungsverfahren geistlicher und finanzieller Unterstützung bedurften - der AKH richtete ein eigenes Konto ein, von dem die sogenannten „Priester ohne Amt“ (PoA) finanzielle Hilfen bekamen - drückte sich ein diakonaler Aspekt seiner Tätigkeit aus.
Fünf Jahre nach seiner Gründung modifizierte der Aktionskreis seine Grundsatzerklärung erstmals.480 Nun verstand er sich wesentlich offener als „Gruppe von Christen, die Fragen und Entwicklungen in der Kirche offenhalten wollen“; als „Gruppe, die sich um Information bemüht und Informationen weitergibt, damit Offenheit möglich wird“; als „Ort, wo man sich trifft. Unsere Versammlungen sollen Kommunikation ermöglichen, Vertrauen schaffen und Mut machen.“481 Markant hält der Kreis dazu fest: „Der AKH ist keine Lebensgemeinschaft, aber mehr als eine Arbeitsgemeinschaft, die im Unverbindlichen bleibt.“482 Eine interne Mitgliederbefragung im Jahr 1977 ergab zudem, dass die Mitarbeiter den Aktionskreis „vorwiegend als Ort der Begegnung bzw. sachbezogene Gruppe“483 sahen und sich selbst in der Rolle innerkirchlicher Aktivisten wahrnahmen. Der gezielte „Tabubruch“ war nach Aussage dieser Umfrage im Selbstverständnis der Gruppe tief verwurzelt.484 Wohl unter dem Einfluss der ökumenischen Friedensbewegung weitete sich in den 80er Jahren das Selbstverständnis der Gruppe nochmals. Der AKH wollte nun „keine fest umschriebene Gruppe“ sein, sondern als „Ort der Bruderschaft, der Einübung von Gemeinschaft und Spiritualität; Ort der Ökumene, also als Teil der christlichen Kirche über alle Konfessionsgrenzen hinaus; Ort des Lernens, der Einübung in Friedensdienst, in Solidarität mit den Völkern der Dritten Welt, in ökologisches Bewusstsein, in tranzendierendes Denken.“485 Von diesem vor allem ökumenisch und gesellschaftspolitisch motivierten Selbstverständnis ließ sich die Gruppe bis zum Ende der DDR in ihren Aktionen und Erklärungen leiten.486
Die postkonziliare Reform der Kirche, verstanden als die pastorale Anpassung von kirchlichen Strukturen und Ausdrucksformen des Glaubens an die konkreten „Anforderungen unserer Zeit“487, war das eigentliche Ziel des AKH.488 Eine in staatlichen Quellen verzeichnete Metapher formuliert dies prägnant: Ziel des Hallenser Aktionskreises ist es, das vom „Papst und vom Konzil in die Welt hinein geöffnete Fenster“ offen zu halten.489 Die Arbeit des AKH könne deshalb als „der Versuch einer Übersetzungsarbeit katholischen Denkens und Lebens heute und für heute“490 gesehen werden. Von diesem Ziel leitete man verschiedene Ansprüche ab.
Bereits die Grundsatzerklärung von 1970 proklamierte die „Demokratisierung und Humanisierung der Kirche sowie die Interpretation des Glaubens“491 als zentrale Forderungen des AKH. Es ist bezeichnend, dass alle drei Forderungen wortwörtliche Zitate der Dokumentation über die westdeutschen Priestergruppen sind.492 Verschiedene Aspekte, vor allem aber die zu befürchtenden strafrechtlichen Konsequenzen des DDR-Staates bei einer derart offensichtlichen Verbindung zu bundesdeutschen Gruppen, ließen den AKH von einer ausdrücklichen Kennzeichnung dieser Passagen СКАЧАТЬ