Der Aktionskreis Halle. Sebastian Holzbrecher
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СКАЧАТЬ es fest, dass viele Mitbrüder sich an der ‚Wahl‘ des Nachfolgers beteiligt haben, um Sie als möglichen Kandidaten auszuschalten. Niemand wollte und will Ihnen damit Ihre menschlichen und priesterlichen Qualitäten absprechen. Aber Ihre Qualifikation für das Amt des Bischofs wird von vielen ernsthaft bezweifelt.“420 Vikar Verstege war bewusst, dass ein solch öffentlicher Angriff auf Johannes Braun mit keinem demokratischen Anspruch zu legitimieren war.421 Es zeichnet sich ein vielschichtiges Motivationsbündel ab, das ihn derart handeln ließ. Durch die Veröffentlichung der Briefe sollte zunächst eine innerkirchliche Haltung kritisiert und überwunden werden, die um der kirchlichen Einheit willen keinen offenen Meinungsausstauch und Pluralismus meinte zulassen zu können.422 Für Verstege gehört es zur authentischen Verkündigung des Evangeliums, dieses selbst auferlegte Korsett zu überwinden: „Wie ich das sehe - ich bin ein Wald-und-Wiesen-Priester - kann ich ehrlicherweise nicht am Sonntag verkündigen und predigen: ‚Oh Brüder und Schwestern, das Evangelium macht frei von Ängsten und von den Mächten, die uns bedrohen‘ und auf der anderen Seite lass ich mich aber bedrohen und im Leben nach dem Evangelium in Offenheit, Wahrhaftigkeit und Brüderlichkeit einengen.“423 Der „Jäger-Brief“ wurde auch veröffentlicht, weil man Willi Verstege von verschiedenen kirchlichen Stellen in Magdeburg signalisiert hatte, den offensichtlich untragbar gewordenen Prälaten absetzen zu wollen, um damit den Konflikt stillschweigend zu beenden.424 Gegen das Opfern des vermeintlichen „Sündenbocks“ in Gestalt des Prälaten Jäger verwahrte sich Verstege ausdrücklich, weil er darin erneut jene innerkirchlichen Praktiken am Werk sah, die er durch den veröffentlichten Brief kritisieren wollte.425 Schließlich hatte Willi Verstege sowohl schriftlich als auch mündlich erklärt, dass er es für geboten erachte, „unwürdige Geheimnisse zu verraten.“426 Als ein solches betrachtete er die von Prälat Jäger vorgebrachten Anschuldigungen, da von einer „fünften Kolonne“ des Erfurter Bischofs nicht die Rede sein könne.427 Ein ähnlich getrübtes Verhältnis hatte sich zwischen Hugo Aufderbeck und Adolf Brockhoff eingestellt, nachdem Brockhoffs Ausscheiden aus der Leitung des Hallenser Sprachenkurses 1966 von allen Bischöfen unterstützt worden war.428

      Die zweite Frage, weshalb Willi Verstege dem scheinbar designierten Nachfolger die Qualifikation als Bischof öffentlich absprach, beantwortete der Nienburger Priester sowohl mit persönlichen als auch mit theologischen Motiven. Freimütig bekannte er öffentlich: „Für mich ist der Gedanke, dass Herr Prälat Braun Bischof werden könnte, entsetzlich gewesen.“429 Den offenen Brief bezeichnete er deshalb auch als einen „Akt der Verzweiflung“430, da sich immer mehr abzeichnete, dass Braun tatsächlich die Nachfolge von Rintelen antreten könnte. Dieses Entsetzen war nach dem authentischen Zeugnis von Willi Verstege aber nicht von einer persönlichen Abneigung geprägt, sondern von der Sorge um die Gestalt von Kirche unter einem solchen Bischof. Willi Verstege befürchtete, dass Johannes Braun gerade nicht ein Repräsentant einer „Kirche der Armen“ sein könnte, wie von Gaudium et spes formuliert und gefordert wurde, die aufgrund der Situation in der DDR und konkret in Magdeburg drängender denn je gebraucht würde.431 Die Veröffentlichung des Jägerbriefes und die öffentliche Ablehnung der Gestalt Brauns waren daher im Kern die theologisch begründete, vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausgehende Ablehnung der Fortführung einer bestimmten kirchlichen Erscheinungsform und eines bestimmten kirchlichen Selbstverständnisses.

      So authentisch die Motive Willi Versteges zur Veröffentlichung der Briefe sein mochten, die angesichts der theologischen Begründung im konziliaren Kirchenverständnis sogar teilweise begrüßenswert erscheinen, kann diese „Verzweiflungstat“ doch nicht losgelöst von der fortgesetzten Verletzung des Briefgeheimnisses betrachtet werden. Fest steht, dass das Ministerium für Staatssicherheit den Brief des Prälaten geöffnet und damit das Briefgeheimnis ursprünglich verletzt hat. Unabhängig von der moralischen Qualifizierung des „Jäger-Briefes“ und seines Inhaltes stellt die nicht authorisierte Weitergabe durch Willi Verstege ebenfalls eine Verletzung des Briefgeheimnisses dar. Die persönliche Integrität Willi Versteges lässt eine Interpretation, nach der er der Kirche insgesamt, oder den Personen Heinz Jäger oder Johannes Braun habe Schaden zufügen wollen, in keiner Weise zu.432 Die Veröffentlichungen waren dem authentisch bezeugten Bemühen geschuldet, dem kirchlichen Leben nach dem Evangelium dienen zu wollen. Dass Verstege für seine Ziele dennoch Wege beschritt, die für sich genommen inakzeptabel sind, bleibt eine abschließend nicht aufzulösende Ambivalenz.

      Bislang undokumentiert sind die weiteren Entwicklungen sowie verschiedene Reaktionen auf den „Jäger-Brief“ und seine Veröffentlichung. Anfang 1970 hat Heinz Jäger einen zweiten Brief an den Paderborner Kardinal geschrieben. Diesmal fokussierten sich die Angriffe allerdings auf den Berliner Kardinal.433 Lorenz Kardinal Jaeger zeigte sich vom Inhalt des ersten „Jäger-Briefes“ weniger brüskiert434 als von der Tatsache seiner unautorisierten Weitergabe und Veröffentlichung.435 Mehrfach bemühte er sich herauszufinden, wie der Brief in Willi Versteges Besitz geraten konnte, da er ihn in Paderborn absolut vertraulich behandelt hatte.436 Erst durch ein vom Kardinal selbst in Auftrag gegebenes amtliches Gutachten beim bundesdeutschen Posttechnischen Zentralamt wurde für den Paderborner Erzbischof aus einer Vermutung437 Gewissheit: Der Umschlag jenes Briefes war „durch Ablösen der Briefverschlussklappe über Wasserdampf zwischengeöffnet“438 worden, eine durch das MfS täglich eingesetzte Überwachungsmethodik.439

      Die Reaktion des in dem „Jäger-Brief“ direkt angegriffenen Erfurter Weihbischofs war weitaus zurückhaltender. Gegenüber Claus Herold hatte er telefonisch mitgeteilt, dass er von der Hoffnung lebe, es handle sich um eine Fälschung.440 In der Korrespondenz mit Kardinal Jaeger äußerte sich der verleumdete Weihbischof ausführlicher zu den Vorgängen: „Ich gestehe aber, dass ich auf Ihren Brief besonders gewartet habe...So danke ich Ihnen in dieser Situation ganz besonders für Ihren Brief, für Ihr weiteres Wohlwollen und Vertrauen, das Sie mir erneut in Ihrem Brief bekundet haben. Gegen die Unterstellungen, die in dem bekannten Brief ausgesprochen sind, habe ich mich nicht gewehrt. Es gibt Augenblicke, wo man wehrlos ist. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die berichteten ‚Fakten’ einfach nicht stimmen oder völlig falsch interpretiert sind. In den 8 Jahren meiner Tätigkeit in Erfurt bin ich dem Kommissariat Magdeburg gegenüber mehr als abstinent gewesen. Ich habe 24 Jahre im Kommissariat Magdeburg gearbeitet. Ich war sehr gern da und denke sehr gern an diese Jahre zurück. Jedoch hielt ich es nach meinem Weggang aus vielerlei Gründen für richtig, mich von dort ganz zurückzuziehen, was mir zwar manche Mitbrüder verübelt haben, was aber sicher im Interesse der ganzen Lage richtig war...Ich war über den Inhalt der Briefe so perplex, dass ich anfänglich alles für Fälschung gehalten habe. Meines Erachtens ist der Weg der Publikation ziemlich eindeutig...Er ist offensichtlich auf dem Postwege abgefangen und dann von interessierten, sicher nicht kirchlichen Stellen, weitergegeben worden.“441 Prälat Jäger und Weihbischof Aufderbeck hatten sich zwischenzeitlich in Nordhausen getroffen und in einem kurzen Komunique erklärt, dass es zu einer klärenden Aussprache gekommen sei.442 Aufderbeck selbst bemerkte hierzu: „Ich habe die Ihnen gewiss bekannte kurze Nordhäuser Erklärung mit Prälat Jäger unterschrieben, weil ich glaubte, sie würde zur Beruhigung beitragen, was allerdings leider nicht der Fall gewesen ist.“443

      Der „Jäger-Brief“ war allgemein bekannt und seine Aussagen und Intentionen waren umstritten. Wollte Prälat Jäger tatsächlich nachträglich Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen, wie Willi Verstege unterstellt hatte? Da unklar ist, wer mit Friedrich Maria Rintelen zusammen die Wahlzettel des Klerus ausgezählt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Prälat Jäger direkt oder indirekt Kenntnis von der Stimmverteilung hatte. Wenn Prälat Braun tatsächlich einen deutlichen Stimmenvorsprung vor Professor Schürmann hatte und Hugo Aufderbeck abgeschlagen auf Platz drei lag, weshalb schrieb dann Brauns Parteigänger einen Brief, der geeignet war, denjenigen zu diskreditieren, der die meiste Aussicht auf Erfolg hatte? Aufschlussreich könnten in diesem Zusammenhang bislang unbekannte Briefe von Friedrich Maria Rintelen sein. Verschiedene Briefe und Manuskripte im Nachlass des Weihbischofs lassen ebenfalls die Tendenz erkennen Hugo Aufderbeck als wohl aussichtsreichen Nachfolger zu kompromittieren. Weihbischof Rintelen hatte bereits СКАЧАТЬ