Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
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Bis zum Ende der ersten Phase wurde immer klarer, dass die Ernennung des vorgesehenen Kandidaten Paul Nordhues wenig Aussicht auf Erfolg haben würde. Nicht nur die Hallenser Protestgruppe wandte sich in einem Brief an Weihbischof Nordhues, in dem sie die eindringliche Bitte formulierte, das Amt des Koadjutors nicht anzunehmen und von der gegebenen Zustimmung zurückzutreten.330 Die kirchenpolitische Situation ließ die Wiedereinbürgerung von Paul Nordhues schnell zu einem Politikum ersten Grades avancieren. Nach den plötzlich aufgeflammten Protesten in Halle und ihrer Verbreitung in den westdeutschen Medien hatte Rom den gesamten Vorgang vom Staatssekretariat stoppen lassen.331 Während die vatikanische Sistierung kirchenintern bekannt war, erlangte von der staatlichen Verweigerung der Einreisegenehmigung offensichtlich nur ein enger Kreis um Kardinal Bengsch, Nuntius Bafile und Kardinal Jaeger Kenntnis.332 Nach einem Bericht der Paderborner Kirchenzeitung „Der Dom“ erkannte die DDR-Regierung den Trumpf, den sie durch den Wiedereinbürgerungsantrag in Händen hielt. Sie eröffnete der katholischen Kirche, dass eine Wiedereinbürgerung an die Zahlung von einer Million DM sowie an ein offizielles Antragsschreiben des Heiligen Stuhls geknüpft sei.333 Diese staatspolitische Erpressung fiel in eine Zeit politischer Paradigmenwechsel unter der Regierung Willy Brandt.334 Eine Zustimmung zur geforderten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch den Vatikan hätte die Kirche nicht nur zum unfreiwilligen „Vorreiter der Brandt-Scheelschen Ostpolitik“335 gemacht. Sie hätte ohne zwingende Not eine international höchst brisante Frage präsumiert. Deshalb hielt der Paderborner Erzbischof den Weg, dass sich der Heilige Stuhl direkt an die „Pankower Regierung“ wendet, um die Einreise für Paul Nordhues zu erbitten, für ungangbar: „Ein solches Schreiben würde ein Politikum allererster Ordnung darstellen.“336 Jaeger erläuterte in einem Schreiben an den Nuntius in Bonn: ein „solcher Brief aus Rom an die Regierung in der DDR würde von der derzeitigen Bonner Regierung als Konkordatsverletzung angesehen und von der Weltöffentlichkeit auch gewertet werden als die Anerkennung zweier deutscher Staaten durch Rom.“337 Delikaterweise fügte der Kardinal hinzu, dass nach der bevorstehenden Bundestagswahl am 28.9.1969 und einer möglichen SPD-FDP Regierung ein solcher Brief „nicht mehr so sehr schockieren würde, wie das bei der derzeitigen CDU-Regierung der Fall sein würde.“338 Allerdings könnte die SPD dann die „Kirche vor ihren politischen Wagen spannen“339 und als Legitimation ihrer Ostpolitik instrumentalisieren. Abschließend konstatierte Jaeger die nach seiner Meinung mit der Magdeburger Nachfolgeregelung und einer völkerrechtlichen Anerkennung verbundenen Dimensionen: „Ganz zweifellos würde der Kirche dann ein solcher Schritt von weitesten Kreisen des deutschen Volkes angelastet werden als Preisgabe von 17 Millionen deutscher Menschen an eine kommunistische, nicht frei gewählte Staatsform. Ich sehe in dem Dilemma, in das die Nachfolgefrage von Exzellenz Rintelen hineinmanövriert worden ist, z. Zt. keine andere Lösung, als das Weihbischof Rintelen, der durchaus noch arbeitsfähig ist, noch für einige Zeit in Magdeburg belassen wird…“340
Auch Kardinal Bengsch hatte zwischenzeitlich die diplomatische Brisanz des Einbürgerungsantrages realisiert und sich in einem vertraulichen Memorandum an Nuntius Bafile gewandt.341 Darin unterstrich der Vorsitzende der Berliner Ordinarienkonferenz die Problematik einer völkerrechtlichen Anerkennung durch den Vatikan, sollte dieser einen offiziellen Einreiseantrag stellen müssen. Weil auf diesem kirchenpolitisch und völkerrechtlich höchst brisanten Terrain kaum anzunehmen war, dass der SED-Staat die Wiedereinbürgerung von Weihbischof Nordhues unter ihrem diplomatisch-politischen Wert anbieten würde, plädierte Kardinal Bengsch gegenüber Nuntius Bafile ab Ende September 1969 für eine DDR-interne Lösung der Nachfolgefrage.342
Am Ende der ersten Phase war nicht nur der Berliner Wunschkandidat ausgeschieden, sondern zugleich das mit dem Magdeburger Klerus ausgehandelte Stillhalteabkommen obsolet geworden, das die basiskirchliche Mitwirkung in jener Zeit unterdrückt hatte. Bei der Nominierung eines neuen Kandidaten sollte sich nun erweisen, ob Weihbischof Rintelen und Erzbischof Jaeger dem Geist der innerkirchlichen Reform Raum gewähren würden und deshalb Kandidatenvorschläge des Magdeburger Klerus und der Laien übermitteln, annehmen und sich zu eigen machen würden.
2.3.2Gründungsmythos Bischofswahl
Die zweite Phase ortskirchlicher Mitbestimmung erstreckte sich von November 1969 bis Mitte Dezember 1969 und beschrieb für die katholische Kirche in der DDR ein Novum.
Es ist zunächst festzuhalten, dass Weihbischof Rintelen der Art und Weise des Protestes anlässlich seiner Emeritierung zunehmend ablehnend gegenüberstand.343 Es muss jedoch ausdrücklich betont werden, dass der kirchenrechtlich zuständige Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger mehrfach die Möglichkeit eines Mitspracherechtes des Klerus schriftlich und mündlich eingeräumt und seine Bereitschaft signalisiert hatte, Kandidatenvorschläge des Presbyteriums entgegennehmen zu wollen. Diese wollte er in seine Vorschlagsliste einfließen lassen344: „Ich wäre dankbar, wenn der Priesterrat sich Gedanken machen würde über die mögliche Nachfolge, die doch in einer absehbaren Zeit einmal erforderlich werden wird... Ich bin gern bereit, diesen Dreiervorschlag weiterzuleiten. Sagen Sie, bitte, allen Mitbrüdern, dass ich Ärger und die Aufregung, die um sich gegriffen hatten, gut begreife; dass ich ebenso deswegen niemandem gram bin.“345 Eine Begründung, weshalb Kardinal Jaeger diesen Weg beschritt und damit den tradierten Modus einer geheimen Nominierung umging, ist nicht überliefert. Klar ist allerdings, dass der Erzbischof mit diesem Prozedere keine kanonische oder konkordatäre Vorgabe missachtet hat.346 Weihbischof Rintelen hat die Möglichkeit einer Wahl des Presbyteriums nicht annähernd so protegiert wie Kardinal Jaeger.347 Auch die Berliner Ordinarienkonferenz schien von einem solchen Vorgehen nicht begeistert gewesen zu sein.348 Obgleich Rintelen derartigen Entwicklungen distanziert begegnete, hat er sich nicht gegen einen solchen Modus gestellt. Wie Quellenrecherchen in den Unterlagen des DDR-Geheimdienstes nahelegen, haben Jaeger und Rintelen nicht eigenwillig, sondern ausdrücklich mit römischem Placet agiert. Ein von der MfS-Postkontrolle (Abteilung M) abgefangener und kopierter handschriftlicher Brief von Kardinal Jaeger aus Rom an den Magdeburger Weihbischof vom 28. November 1969 konstatiert hierzu knapp, aber unmissverständlich: „Deine Vorstellungen habe ich hier vorgetragen und Verständnis gefunden. Es wird trotzdem eine Dreierliste verlangt, wenn man auch Deinen Wünschen Rechnung tragen wird.“349 Diese, von Kardinal Jaeger bewusst350 knapp gehaltene Darstellung lässt den Schluss zu, dass man in Rom nicht nur von dem angestrebten Wahlverfahren durch den Magdeburger Klerus Kenntnis besaß, sondern es unter Wahrung einer gewissen Formpflicht durchaus billigte.351 Für eine solche Interpretation spricht auch ein Hinweis aus der Korrespondenz des Apostolischen Nuntius in Deutschland Erzbischof Konrad Bafile. Offensichtlich hatten kurze Zeit später noch weitere deutsche Diözesen Klärungsbedarf in der Frage einer möglichen Beteiligung von Priestern und Laien bei der Erstellung von Vorschlagslisten für die Benennung von Bischöfen und Auxiliarbischöfen angemeldet. In seinen Antworten an den Kapitelsvikar von Meißen Heinrich Bulang352 und an Kardinal Döpfner353 in München deutete Nuntius Bafile an, dass der Vatikan in Erwartung einer „Neuregelung des Fragenkomplexes ‚de proponendis ad Episcopatum‘ “354 sei und bis dahin ein entsprechender Modus der Diözese Aachen Anwendung finden könne, der die geheime Beteiligung der Diözesanräte vorsähe.355 Auch wenn damit kein demokratischer Automatismus für die katholische Kirche in Gang gesetzt wurde, zeigen diese Beispiele dennoch, dass ein solches Vorgehen nicht nur stillschweigend durch den Vatikan geduldet wurde. Vielmehr wurde es in Vorbereitung einer offensichtlich weitreichenden Neuregelung der Materie als sinnvoll und statthaft angesehen, die СКАЧАТЬ