Der Aktionskreis Halle. Sebastian Holzbrecher
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СКАЧАТЬ Geistlicher Rat Franz Wiemers aus Winterstein, ein enger Vertrauter391 Jaegers, dem Paderborner Erzbischof nach einem vierwöchigen Aufenthalt im Kommissariat Magdeburg im Dezember 1969 mitgeteilt, dass „Braun am stärksten ins Gespräch gekommen ist als künftiger Kommissar in Magdeburg.“392 Es dürfte daher nicht nur eine nachträgliche Legitimierung darstellen, wenn Erzbischof Jaeger kurz vor der Weihe Brauns bemerkte: „Ich weiß, was er [Braun, SH] für ein edler Mensch, sauberer Charakter und tieffrommer Priester ist. Ich wüsste unter dem Klerus des Kommissariates niemanden, der so viele gute Voraussetzungen mitbrächte für die Verwaltung des bischöflichen Amtes.“393

      Als dritter und wohl nicht minder aussichtsreicher Kandidat neben Professor Schürmann und Prälat Braun wurde der Erfurter Weihbischof gehandelt. Hugo Aufderbeck wurde 1936 zum Paderborner Diözesanpriester geweiht, war seit 1938 Pfarrer in Halle und wirkte von 1948 bis 1962 als Seelsorgeamtsleiter des Kommissariates Magdeburg.394 Über ein Jahrzehnt war er einer der pastoralen Vordenker des Kommissariates und durch die zentrale Tätigkeit überall bekannt. 1962 wurde er zum Fuldaer Auxiliarbischof mit Sitz in Erfurt ernannt. Aufderbeck wurde bereits im Mai 1969, also noch vier Wochen, bevor Weihbischof Rintelen selbst darüber informiert wurde, dass er einen Koadjutor bekommen würde, als möglicher Nachfolger zusammen mit Heinz Schürmann vorgeschlagen.395 Dieser Vorschlag ging nicht auf eventuelle Rücktrittsabsichten Rintelens, sondern auf Kritik an seiner Amtsführung zurück.396 Aufgrund seiner wegweisenden pastoralen Tätigkeit und seiner zahlreichen persönlichen Kontakte ins Kommissariat war Aufderbecks Nominierung keine Überraschung.397 Auch Heinz Schürmann warb vermutlich nicht nur in Paderborn für den ehemaligen Magdeburger Seelsorgeamtsleiter. Aufderbeck traute man es wohl noch am ehesten zu, die Spaltungen im Kommissariat sowie in der Ordinarienkonferenz überbrücken zu können.398 Wieviel Aussicht auf Erfolg dieser Kandidat tatsächlich hatte, kann nun erstmals an bislang unerforschten Quellen belegt werden. Offensichtlich war Hugo Aufderbeck der Wunschkandidat Roms. Dies deutet sich zumindest aus einem Brief des Paderborner Erzbischofs an den Apostolischen Nuntius vom 15. November 1969 an: „Euer Exzellenz teile ich ergebenst mit, dass ich mit Herrn Bischof Bolte, Fulda, gesprochen habe. Er war entsetzt. Trotzdem würde er selbstverständlich nicht nein sagen, wenn der Heilige Stuhl an ihn die Forderung auf Freigabe seines Weihbischofs richten würde.“399 Offensichtlich war die Nominierung Aufderbecks durch Rom keine rein fiktive Option. Andernfalls hätte man kaum den Vorgesetzten Aufderbecks, den aufgrund dieser Anfrage „entsetzten“ Fuldaer Bischof Bolte um eine Stellungnahme ersucht. Dass Hugo Aufderbeck kurz davor stand, neuer Magdeburger Weihbischof zu werden, ergibt sich auch aus den Einlassungen Kardinal Jaegers, die an Deutlichkeit kaum zu überbieten sind: „Ich sage aber noch einmal, so lieb mir dieser Nachfolger wäre, so groß und menschlich schwer tragbar wäre eine solche Forderung für den Betroffenen. Er sollte mit auf die Liste gesetzt werden. Aber andererseits bitte ich, dem Apostolischen Stuhl mitzuteilen, dass man tunlichst eine andere Wahl treffen würde.“400 Dass der Erfurter Weihbischof nach diesem Brief noch eine reale Chance besaß nach Magdeburg transferiert zu werden, selbst wenn er die Wahl des Klerus hätte für sich entscheiden können, darf bezweifelt werden. Ob dies allerdings überhaupt in seinem Interesse gelegen hat, kann anhand von Quellen nicht eruiert werden.

      Nach Wahrnehmung von Willi Verstege und der Hallenser Protestgruppe hatte sich am Vorabend der Wahl im Dezember 1969 der Klerus in drei Fraktionen geteilt: Die erste Gruppe sammelte sich um den Namen Johannes Braun.401 Über die Anhängerzahl wird keine Auskunft gegeben. Eine zweite „kleinere Gruppe erklärte sich außerstande, diese Wahl ernst zu nehmen.“402 Die dritte „große Gruppe“403 „glaubte sich schnell auf einen Kandidaten einigen zu müssen“404 und nominierte deshalb den früheren Magdeburger Seelsorgeamtsleiters Hugo Aufderbeck.405 Aufgrund der Geheimhaltungsklausel wurde das gesamte Ergebnis der Wahl nie veröffentlicht.406 Weihbischof Friedrich Maria Rintelen hatte das Ergebnis der geheimen Wahl nach Paderborn geschickt, aufgrund der Brisanz des Briefes und der DDR-Postkontrolle vermutlich durch einen vertrauenswürdigen Kurier. Ob der Weihbischof die Stimmen alleine ausgezählt hat oder zusammen mit zwei Mitgliedern des Priesterrates, wie von ihm angekündigt407, lässt sich nicht mehr ermitteln. Laut offizieller Stimmauszählung hatten 216 der über 300 wahlberechtigten Priester einen Wahlzettel abgegeben. Platz eins nahm mit 61 Stimmen Prälat Johannes Braun, Platz zwei mit 53 Stimmen Professor Heinz Schürmann und Platz drei mit 51 Stimmen Weihbischof Hugo Aufderbeck ein.408

      2.3.3Intrigen, Manipulationen und Proteste

      Die dritte und letzte Phase erstreckt sich vom 18. Dezember 1969 bis zur Bischofsweihe von Johannes Braun am 18. April 1970. Sie ist nicht nur von innerkirchlichen Intrigen und geheimpolizeilichen Manipulationen geprägt. Diese Monate waren zugleich durch das basiskirchliche Bemühen bestimmt, die bis dahin favorisierte kirchliche Geheimpolitik in Personalfragen durch öffentliche Meinungsbildungsprozesse zu kontrastieren. Die aus dieser Zeit stammenden Spaltungen und Kontroversen im Kommissariat Magdeburg sollten die gesamte Amtszeit des Nachfolgers von Weihbischof Rintelen prägen.

      Für die Datierung des Anfangs dieser Phase ist ein Schreiben ausschlaggebend, das für erhebliche innerkirchliche Irritationen sorgte. Am 18. Dezember 1969, also wenige Tage nach der Stimmabgabe des Klerus, schrieb Prälat Heinrich Jäger - der zweite Mann im Kommissariat nach Weihbischof Rintelen - einen Brief an den Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger.409 Dieses Schreiben ist als sogenannter „Jäger-Brief“ in die Geschichte eingegangen.410 Darin griff der Prälat in einem polemischen Ton den früheren Magdeburger Seelsorgeamtsleiter und späteren Erfurter Weihbischof Hugo Aufderbeck an. Heinrich Jäger sah Aufderbeck als eigentlichen Promotor und Organisator der Unruhen im Kommissariat Magdeburg. Aufderbeck, der in Rivalität zu Rintelen gestanden habe, soll sich einer „fünften Kolonne“ im Magdeburger Klerus bedient haben, die sich regelmäßig in Erfurt konsultiert und getroffen habe. Zu dieser obskuren Gruppe hätten die Initiatoren der Hallenser Solidartätsgruppe Adolf Brockhoff, Claus Herold, Willi Verstege und andere gehört, weshalb der Protest gegen die Nachfolgeregelung ursprünglich auf Aufderbeck zurückzuführen sei.411 Diesen Brief hatte der Magdeburger Prälat per Post nach Paderborn verschickt, wo ihn ausschließlich der Empfänger, Kardinal Jeager, gelesen hatte.412 Durch die geheimpolizeiliche Überwachung der DDR-Post gelangte dieser Brief in die Hände des MfS.413 Hier wurde er kopiert und an den ursprünglichen Empfänger weitergeleitet. Zugleich wurde aber eine Abschrift mit einem fingierten Begleitbrief414 an Hugo Aufderbeck, den Sekretär der BOK Paul Dissemond und Adolf Brockhoff weitergeleitet.415 Diese geheimpolizeiliche Manipulation diente bekannten Zersetzungsabsichten gegen Kirche und Klerus. Zu einem Politikum besonderen Ausmaßes avancierte der Brief schließlich deshalb, weil der Nienburger Pfarrvikar Willi Verstege eine Kopie des Schreibens zusammen mit einem offenen Brief an Prälat Johannes Braun am 1. März 1970 publizierte.416 Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den beiden Briefen - dem Offenen Brief an Prälat Braun und dem „Jäger-Brief“ - ist an dieser Stelle notwendig, weil der ursprüngliche Ansatz der Hallenser Reformgruppe aufgrund der Anschuldigungen, diesen Brief betreffend zu Unrecht in den Hintergrund trat und davon verdeckt wurde.

      Zunächst ist festzuhalten, dass Willi Verstege eine identische Kopie des ursprünglichen „Jäger-Briefes“ vervielfältigt und im Kommissariat versandt hatte. Der Brief war ihm zusammen mit dem anonymen Anschreiben von Adolf Brockhoff im Februar 1970 übergeben worden.417 Willi Verstege übernahm die Veröffentlichung, weil er einerseits schon mehrere offene Briefe in den vergangenen Monaten verschickt hatte und damit an eine Linie anknüpfen konnte. Andererseits verfolgte er ganz bewusst die Absicht, ein Junktim zwischen der sich zu diesem Zeitpunkt immer stärker abzeichnenden Ernennung Brauns zum neuen Magdeburger Weihbischof und dem „Jäger-Brief“ herzustellen.418 In Versteges offenem Brief an Johannes Braun wurde deshalb die Vermutung geäußert, dass Prälat Jäger den Versuch unternommen habe, einen möglichen Konkurrenten zugunsten seines Protegés aus dem Weg zu räumen. Verstege ging davon aus, dass es sich aufgrund der engen zeitlichen Verbindung zur Wahl des Klerus СКАЧАТЬ