Der Aktionskreis Halle. Sebastian Holzbrecher
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СКАЧАТЬ Forderungen. Auch in der DDR müsse die Kirche demnach „eine Gemeinschaft freier Menschen werden, die die gemeinsamen Angelegenheiten sachlich, öffentlich und verantwortlich miteinander entscheiden.“494 Kirche demokratisch umgestalten hieße, sie auf die „Grundlage gemeinsamer Verantwortung“495 zu stellen und jeden Christen einzuladen, sich in die Entscheidungsprozesse in Gemeinde, Diözese und Gesamtkirche einzubringen.496 Sowohl die SOG-Gruppen als auch der AKH sprachen von einer „theologisch legitimen Demokratisierung“ und einer analogen Verwendung des politisch konnotierten Begriffs im kirchlichen Bereich.497 Darunter verstanden sie die öffentliche Bewusstseins- und Meinungsbildung in der Kirche, Freiheit der Meinungsäußerung, ungehinderten Informationsfluss, Durchsichtigkeit der Verwaltungsvorgänge sowie Mitwirkung und Kontrolle bei Entscheidungen der Kirchenleitung.498 Dass diese Forderungen nach einer größeren Mitverantwortung offensichtliche Parallelen zu Formulierungen der umstrittenen Meißner Synode in der DDR aufwiesen, dürfte die bischöfliche Skepsis gegenüber dem sich konstituierenden AKH kaum verringert haben.499 Mit dem Schlagwort „Humanisierung“500 sollte die Forderung nach einem menschlicheren Umgang in der Kirche ausgedrückt werden.501 Die Kirche müsse „eine Gruppe in der Gesellschaft sein, in der man einander achtet und als Menschen ernst nimmt.“502 Der AKH vertrat keinen politisch motivierten oder säkular verstandenen Humanismus.503 Humanisierung wurde als genuin christliche Forderung betrachtet, zu der der Glaube an die Inkarnation Gottes in Jesus Christus aufrufe. Aufgrund seiner Vieldeutigkeit hatte dieser Begriff „schillernde Faszination und ... werbende Kraft“504 und wirkte daher identitätsstiftend.505 Schließlich forderte der Aktionskreis drittens die Interpretation des Glaubens506 als jenen Prozess, bei dem sich die Kirche darum bemühen müsse, „die Sache Jesu zu verstehen und verständlich zu machen.“507 Auch diese Forderung übernahm der AKH von westdeutschen Gruppen.508 Aus der Grundsatzerklärung geht allerdings nicht hervor, was man unter der Interpretation des Glaubens und der Sache Jesu konkret verstand, sodass es nicht leichtfiel, diese Formel adäquat zu dechiffrieren.509 Aus dem weiteren Wirken des Aktionskreises könnte geschlossen werden, dass man unter einer Interpretation des Glaubens eine Kontextualisierung bzw. Inkulturation des Glaubens in die DDR-Wirklichkeit verstand.

      Offenbar war die Situation des Katholizismus in Ost- und Westdeutschland zum damaligen Zeitpunkt derart kompatibel, dass es dem AKH legitim erschien, die bundesdeutsche Zeitdiagnostik auch für die ostdeutsche Wirklichkeit zu verwenden: „In dieser Situation kann uns niemand Mitverantwortung und Mitschuld abnehmen. Angesichts der Macht festgefahrener Strukturen und Apparate soll unsere Solidarisierung dem notwendigen Bewusstseins- und Strukturwechsel dienen.“510 Mit dem westdeutschen Text der AGP-Erklärung konstatierte der AKH, dass die Kirche trotz der konziliaren Aufbruchsbewegung das „bleibende, für die Zukunft aufschließende Wort schuldig“511 bleibe und sich nur „zögernd, ängstlich, einfallslos und misstrauisch“512 engagiere.513 Zahlreiche Neuansätze und zeitgemäße Gestaltungsformen einer christlichen Existenz würden als Gefahr für die Einheit der Kirche verdächtigt. „Offene Diskussionen [würden S.H.]... als Pressionsversuch, Eigenmächtigkeit und Ungehorsam diffamiert.“514 Darüber hinaus übernahm der AKH für seine Ausführungen das sendungstheologische Kirchenbild der AGP Grundsatzerklärung und betonte mit ihr: Aufgabe der Kirche ist es, „die Botschaft Jesu Christi von der kommenden Herrschaft Gottes so weiterzusagen, dass die Sache Jesu – Glaube, Hoffnung, Versöhnung, Befreiung und Friede – in unserer Welt wirksam wird.“515 Dies könne die Kirche aber nur, wenn sie sich entsprechend der „Anforderungen unserer Zeit“516 verändert. Die hier angedeutete Nähe zu den „Zeichen der Zeit“517 von Gaudium et spes dürfte nicht zufällig als Legitimationshorizont gewählt worden sein, entstammte jedoch ebenfalls der bundesdeutschen Textvorlage.518 Obgleich die Hallenser Grundsatzerklärung fast ausschließlich aus Fragmenten der westdeutschen Vorlagen besteht, fand zugleich ein auffallender Selektionsprozess statt. Im Gegensatz zum Originaltext der AGP wurde auf die Nennung verschiedener, vor allem politisch konnotierter Konfliktfelder verzichtet: Bevölkerungswachstum, verantworteter Einsatz technologischer Mittel, die internationale Rüstungsmaschinerie und der Einfluss von politischen Systemen auf den Frieden.519 Darüber hinaus machte sich der AKH nicht die Forderung zu eigen, die Kirche möge die Freiheitsrechte aufnehmen, die im staatlichen Bereich in den letzten zweihundert Jahren Einzug gehalten haben; im Bewusstsein des engen politischen Spielraums in der DDR erhoben sie auch nicht den Anspruch, dass die Kirche gegen totalitäre Systeme einschreiten müsse.520

      Hinsichtlich des Selbstverständnisses, der Ziele und Forderungen des AKH zeichnet sich ein dreifacher Bezugsrahmen ab. Das II. Vatikanum fungierte als der entscheidende materielle Impulsgeber der Hallenser Basisgruppe. Forderungen nach einem deutlicher akzentuierten Weltdienst der Kirche, einer größeren Mitverantwortung von Priestern und Laien bei kirchlichen Personalentscheidungen und anderen zentralen Lebensvollzügen waren ebenso an die Aussagen und den Geist des Konzils rückgebunden wie die stärkere Wahrnehmung des gemeinschaftlichen Laienapostolates, das sich in der Gründung einer christlichen Vereinigung aus Priestern und Laien ausdrückte. Die bundesdeutsche Arbeitsgemeinschaft der Priester- und Solidaritätsgruppen stellte den formalen Rahmen eines innerkirchlichen Zusammenschlusses bereit, auf den der AKH selektiv zurückgriff. Den Konzilserklärungen und dem bundesdeutschen Vorbild folgend, emanzipierte sich der AKH vom Modell der „Katholischen Aktion“ und formierte sich praeter legem als kirchliche Vereinigung ohne klerikale Leitung. Grundlegend für alle Reformen und Initiativen war allerdings die besondere kirchliche Situation in einer sozialistischen Diktatur. Die Übernahme der drei Schlagwortforderungen durch den AKH stellte daher keine bloße Kopie westdeutscher Erklärungen dar. Es muss vielmehr als eigene Leistung gewürdigt werden, diese Forderungen angesichts der ostdeutschen Situation eines totalitären Staates artikuliert zu haben. Das Eintreten für innerkirchliche Reformen und ein größeres gesellschaftliches Engagement der Kirche verlangte in der DDR aufgrund der latenten staatlichen Vereinnahmungsund Differenzierungstendenzen eine hohe Sensibilität und eine im Vergleich zu den bundesdeutschen Gruppen stärker ausgeprägte Risikobereitschaft. Wie die Geschichte des AKH eindrücklich vor Augen stellt, konnte die programmatische Distanz zum kirchenpolitischen Kurs der ostdeutschen Bischöfe leicht existentielle Konsequenzen nach sich ziehen.

      3.2Strukturen, Mitglieder, Verbindungen

      Aus der Organisation und dem Mitgliederprofil lässt sich ablesen, dass es sich beim AKH um eine neue Form des Zusammenschlusses von katholischen Christen in der DDR handelte, die nicht dem kirchlich präferierten Modell der „Katholischen Aktion“ folgte.

      Bereits seit den ersten Treffen im Sommer und Herbst 1969 sind als Strukturen organisierte Versammlungen und ein moderierendes Gremium nachweisbar.521 Die Ordnung des AKH von 1970 definierte als feste Institution quartalsweise abzuhaltende „Vollversammlungen“522. Diese zentralen Dialogveranstaltungen sollten von einem demokratisch gewählten und paritätisch von Priestern und Laien zu besetzenden „Sprecherkreis“523 vorbereitet und geleitet werden.524 Diesem Sprecherkreis kam neben der thematischen Vorbereitung der regelmäßigen Treffen auch die Erstellung des AKH-Rundbriefes zu.525 Hierzu traf er sich regelmäßig zwischen den Vollversammlungen zu abendlichen Besprechungen und spätestens ab 1976 auch einmal jährlich zu einer Klausurtagung.526 Mit dieser koordinierenden und ideenreichen Vorarbeit präfigurierte der Sprecherkreis im Wesentlichen die thematische Orientierung des Aktionskreises.527 Seine Positionen wurden allerdings erst durch die Vollversammlung verbindlich beschlossen. Die Ordnung des AKH sah zudem die Bildung von regionalen oder thematischen Arbeitsgruppen „zur Erledigung ständiger oder einzelner Aufgaben“528 vor. Unter anderem gab es diakonisch orientierte Arbeitsgruppen zu den Themen Hilfe für Familien mit behinderten Kindern529, Seniorenseelsorge530 und Abtreibungsgesetzgebung531. Daneben organisierten sich Arbeitsgruppen für exegetische, theologische und soziologische Fragestellungen.532 Diese Gruppen waren unterschiedlich groß und bestanden unterschiedlich lange. Nicht selten СКАЧАТЬ