Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ Sol­da­ten und Bür­gern, Schul­den­sa­chen und Hän­del zu schlich­ten hat­te. Es war Graf Tho­ra­ne, von Gras­se in der Pro­vence, un­weit An­ti­bes, ge­bür­tig, eine lan­ge, ha­g­re, erns­te Ge­stalt, das Ge­sicht durch die Blat­tern sehr ent­stellt, mit schwar­zen, feu­ri­gen Au­gen, und von ei­nem wür­di­gen, zu­sam­men­ge­nom­me­nen Be­tra­gen. Gleich sein Ein­tritt war für den Haus­be­woh­ner güns­tig. Man sprach von den ver­schie­de­nen Zim­mern, wel­che teils ab­ge­ge­ben wer­den, teils der Fa­mi­lie ver­blei­ben soll­ten, und als der Graf ein Ge­mäl­de­zim­mer er­wäh­nen hör­te, so er­bat er sich gleich, ob es schon Nacht war, mit Ker­zen die Bil­der we­nigs­tens flüch­tig zu be­se­hen. Er hat­te an die­sen Din­gen eine über­große Freu­de, be­zeig­te sich ge­gen den ihn be­glei­ten­den Va­ter auf das ver­bind­lichs­te, und als er ver­nahm, dass die meis­ten Künst­ler noch leb­ten, sich in Frank­furt und in der Nach­bar­schaft auf­hiel­ten, so ver­si­cher­te er, dass er nichts mehr wün­sche, als sie bal­digst ken­nen zu ler­nen und sie zu be­schäf­ti­gen.

      Aber auch die­se An­nä­he­rung von Sei­ten der Kunst ver­moch­te nicht die Ge­sin­nung mei­nes Va­ters zu än­dern noch sei­nen Cha­rak­ter zu beu­gen. Er ließ ge­sche­hen, was er nicht ver­hin­dern konn­te, hielt sich aber in un­wirk­sa­mer Ent­fer­nung, und das Au­ßer­or­dent­li­che, was nun um ihn vor­ging, war ihm bis auf die ge­rings­te Klei­nig­keit un­er­träg­lich.

      Graf Tho­ra­ne in­des­sen be­trug sich mus­ter­haft. Nicht ein­mal sei­ne Land­kar­ten woll­te er an die Wän­de ge­na­gelt ha­ben, um die neu­en Ta­pe­ten nicht zu ver­der­ben. Sei­ne Leu­te wa­ren ge­wandt, still und or­dent­lich; aber frei­lich, da den gan­zen Tag und einen Teil der Nacht nicht Ruhe bei ihm ward, da ein Kla­gen­der dem an­de­ren folg­te, Ar­re­stan­ten ge­bracht und fort­ge­führt, alle Of­fi­zie­re und Ad­ju­tan­ten vor­ge­las­sen wur­den, da der Graf noch über­dies täg­lich off­ne Ta­fel hielt, so gab es in dem mä­ßig großen, nur für eine Fa­mi­lie ein­ge­rich­te­ten Hau­se, das nur eine durch alle Stock­wer­ke un­ver­schlos­sen durch­ge­hen­de Trep­pe hat­te, eine Be­we­gung und ein Ge­sum­me wie in ei­nem Bie­nen­kor­be, ob­gleich al­les sehr ge­mä­ßigt, ernst­haft und streng zu­ging.

      Zum Ver­mitt­ler zwi­schen ei­nem ver­drieß­li­chen, täg­lich mehr sich hy­po­chon­drisch quä­len­den Haus­herrn und ei­nem zwar wohl­wol­len­den, aber sehr erns­ten und ge­nau­en Mi­li­tär­gast fand sich glück­li­cher­wei­se ein be­hag­li­cher Dol­met­scher, ein schö­ner, wohl­be­leib­ter, heit­rer Mann, der Bür­ger von Frank­furt war und gut fran­zö­sisch sprach, sich in al­les zu schi­cken wuss­te und mit man­cher­lei klei­nen Unan­nehm­lich­kei­ten nur sei­nen Spaß trieb. Durch die­sen hat­te mei­ne Mut­ter dem Gra­fen ihre Lage bei dem Ge­müts­zu­stan­de ih­res Gat­ten vor­stel­len las­sen; er hat­te die Sa­che so klüg­lich aus­ge­malt, das neue, noch nicht ein­mal ganz ein­ge­rich­te­te Haus, die na­tür­li­che Zu­rück­ge­zo­gen­heit des Be­sit­zers, die Be­schäf­ti­gung mit der Er­zie­hung sei­ner Fa­mi­lie, und was sich al­les sonst noch sa­gen ließ, zu be­den­ken ge­ge­ben, so­dass der Graf, der an sei­ner Stel­le auf die höchs­te Ge­rech­tig­keit, Un­be­stech­lich­keit und eh­ren­vol­len Wan­del den größ­ten Stolz setz­te, auch hier sich als Ein­quar­tier­ter mus­ter­haft zu be­tra­gen vor­nahm und es wirk­lich die ei­ni­gen Jah­re sei­nes Da­blei­bens un­ter man­cher­lei Um­stän­den un­ver­brüch­lich ge­hal­ten hat.

      Mei­ne Mut­ter be­saß ei­ni­ge Kennt­nis des Ita­liä­ni­schen, wel­che Spra­che über­haupt nie­man­den von der Fa­mi­lie fremd war: sie ent­schloss sich da­her so­gleich, Fran­zö­sisch zu ler­nen, zu wel­chem Zweck der Dol­met­scher, dem sie un­ter die­sen stür­mi­schen Er­eig­nis­sen ein Kind aus der Tau­fe ge­ho­ben hat­te und der nun auch als Ge­vat­ter zu dem Hau­se eine dop­pel­te Nei­gung spür­te, sei­ner Ge­vat­te­rin je­den ab­ge­mü­ßig­ten Au­gen­blick schenk­te (denn er wohn­te ge­ra­de ge­gen­über) und ihr vor al­len Din­gen die­je­ni­gen Phra­sen ein­lern­te, wel­che sie per­sön­lich dem Gra­fen vor­zu­tra­gen habe; wel­ches denn zum Bes­ten ge­riet. Der Graf war ge­schmei­chelt von der Mühe, wel­che die Haus­frau sich in ih­ren Jah­ren gab, und weil er einen hei­tern, geist­rei­chen Zug in sei­nem Cha­rak­ter hat­te, auch eine ge­wis­se trock­ne Galan­te­rie gern aus­üb­te, so ent­stand dar­aus das bes­te Ver­hält­nis, und die ver­bün­de­ten Ge­vat­tern konn­ten er­lan­gen, was sie woll­ten.

      Wäre es, wie schon ge­sagt, mög­lich ge­we­sen, den Va­ter zu er­hei­tern, so hät­te die­ser ver­än­der­te Zu­stand we­nig Drücken­des ge­habt. Der Graf übte die strengs­te Unei­gen­nüt­zig­keit: selbst Ga­ben, die sei­ner Stel­le ge­bühr­ten, lehn­te er ab; das Ge­rings­te, was ei­ner Be­ste­chung hät­te ähn­lich se­hen kön­nen, wur­de mit Zorn, ja mit Stra­fe weg­ge­wie­sen; sei­nen Leu­ten war aufs strengs­te be­foh­len, dem Haus­be­sit­zer nicht die min­des­ten Un­kos­ten zu ma­chen. Da­ge­gen wur­de uns Kin­dern reich­lich vom Nach­ti­sche mit­ge­teilt. Bei die­ser Ge­le­gen­heit muss ich, um von der Un­schuld je­ner Zei­ten einen Be­griff zu ge­ben, an­füh­ren, dass die Mut­ter uns ei­nes Ta­ges höch­lich be­trüb­te, in­dem sie das Ge­fro­re­ne, das man uns von der Ta­fel sen­de­te, weg­goss, weil es ihr un­mög­lich vor­kam, dass der Ma­gen ein wahr­haf­tes Eis, wenn es auch noch so durch­zu­ckert sei, ver­tra­gen kön­ne.

      Au­ßer die­sen Le­cke­rei­en, die wir denn doch all­mäh­lich ganz gut ge­nie­ßen und ver­tra­gen lern­ten, deuch­te es uns Kin­dern auch noch gar be­hag­lich, von ge­nau­en Lehr­stun­den und stren­ger Zucht ei­ni­ger­ma­ßen ent­bun­den zu sein. Des Va­ters üble Lau­ne nahm zu, er konn­te sich nicht in das Un­ver­meid­li­che er­ge­ben. Wie sehr quäl­te er sich, die Mut­ter und den Ge­vat­ter, die Rats­her­ren, alle sei­ne Freun­de, nur um den Gra­fen los­zu­wer­den! Ver­ge­bens stell­te man ihm vor, dass die Ge­gen­wart ei­nes sol­chen Man­nes im Hau­se, un­ter den ge­ge­be­nen Um­stän­den, eine wah­re Wohl­tat sei, dass ein ewi­ger Wech­sel, es sei nun von Of­fi­zie­ren oder Ge­mei­nen, auf die Um­quar­tie­rung des Gra­fen fol­gen wür­de. Keins von die­sen Ar­gu­men­ten woll­te bei ihm grei­fen. Das Ge­gen­wär­ti­ge schi­en ihm so un­er­träg­lich, dass ihn sein Un­mut ein Schlim­me­res, das fol­gen könn­te, nicht ge­wahr wer­den ließ.

      Auf die­se Wei­se ward sei­ne Tä­tig­keit ge­lähmt, die er sonst haupt­säch­lich auf uns zu wen­den ge­wohnt war. Das, was er uns auf­gab, for­der­te er nicht mehr mit der sons­ti­gen Ge­nau­ig­keit, und wir such­ten, wie es nur mög­lich schi­en, un­se­re Neu­gier­de an mi­li­tä­ri­schen und an­de­ren öf­fent­li­chen Din­gen zu be­frie­di­gen, nicht al­lein im Hau­se, son­dern auch auf den Stra­ßen, wel­ches umso leich­ter an­ging, da die Tag und Nacht un­ver­schlos­se­ne Hau­stü­re von Schild­wa­chen be­setzt war, die sich um das Hin- und Wi­der­lau­fen un­ru­hi­ger Kin­der nichts be­küm­mer­ten.

      Die man­cher­lei An­ge­le­gen­hei­ten, die vor dem Richter­stuh­le des Kö­nigs­leut­nants ge­schlich­tet wur­den, hat­ten da­durch noch einen ganz be­son­dern Reiz, dass er einen ei­ge­nen Wert dar­auf leg­te, sei­ne Ent­schei­dun­gen zu­gleich mit ei­ner wit­zi­gen, geist­rei­chen, hei­tern Wen­dung zu be­glei­ten. Was er be­fahl, war streng ge­recht; die Art, wie er es aus­drück­te, war lau­nig und pi­kant. Er schi­en sich den Her­zog von Os­suña zum Vor­bil­de СКАЧАТЬ