Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ lässt, nicht an Wie­der­ho­lung des Ge­sprächs über die­sen Ge­gen­stand; aber bei­de Tei­le ent­fern­ten sich im­mer wei­ter von­ein­an­der, es gab hef­ti­ge Sze­nen, und der nach­gie­bi­ge Mann ließ sich end­lich ge­fal­len, von sei­nem Lieb­lings­wer­ke zu schwei­gen, da­mit er nicht zu­gleich einen Ju­gend­freund und eine gute Sonn­tags­sup­pe ver­lö­re.

      Pro­se­ly­ten zu ma­chen, ist der na­tür­lichs­te Wunsch ei­nes je­den Men­schen, und wie sehr fand sich un­ser Freund im Stil­len be­lohnt, als er in der üb­ri­gen Fa­mi­lie für sei­nen Hei­li­gen so of­fen ge­sinn­te Ge­mü­ter ent­deck­te. Das Exem­plar, das er jähr­lich nur eine Wo­che brauch­te, war uns für die üb­ri­ge Zeit ge­wid­met. Die Mut­ter hielt es heim­lich, und wir Ge­schwis­ter be­mäch­tig­ten uns des­sel­ben, wann wir konn­ten, um in Frei­stun­den, in ir­gend ei­nem Win­kel ver­bor­gen, die auf­fallends­ten Stel­len aus­wen­dig zu ler­nen und be­son­ders die zar­tes­ten und hef­tigs­ten so ge­schwind als mög­lich ins Ge­dächt­nis zu fas­sen.

      Por­ti­as Traum re­zi­tier­ten wir um die Wet­te, und in das wil­de ver­zwei­feln­de Ge­spräch zwi­schen Sa­tan und Adra­me­lech, wel­che ins Tote Meer ge­stürzt wor­den, hat­ten wir uns ge­teilt. Die ers­te Rol­le, als die ge­walt­sams­te, war auf mein Teil ge­kom­men, die an­de­re, um ein we­nig kläg­li­cher, über­nahm mei­ne Schwes­ter. Die wech­sel­sei­ti­gen, zwar gräss­li­chen, aber doch wohl­klin­gen­den Ver­wün­schun­gen flos­sen nur so vom Mun­de, und wir er­grif­fen jede Ge­le­gen­heit, uns mit die­sen höl­li­schen Re­dens­ar­ten zu be­grü­ßen.

      Es war ein Sams­tags­abend im Win­ter – der Va­ter ließ sich im­mer bei Licht ra­sie­ren, um Sonn­tags früh sich zur Kir­che be­quem­lich an­zie­hen zu kön­nen – wir sa­ßen auf ei­nem Sche­mel hin­ter dem Ofen und mur­mel­ten, wäh­rend der Bar­bier ein­seif­te, un­se­re her­kömm­li­chen Flü­che ziem­lich lei­se. Nun hat­te aber Adra­me­lech den Sa­tan mit ei­ser­nen Hän­den zu fas­sen, mei­ne Schwes­ter pack­te mich ge­wal­tig an und re­zi­tier­te, zwar lei­se ge­nug, aber doch mit stei­gen­der Lei­den­schaft:

       Hilf mir! ich fle­he dich an, ich bete, wenn du es for­derst,

       Un­ge­heu­er, dich an!… Ver­worf­ner, schwar­zer Ver­bre­cher,

       Hilf mir! ich lei­de die Pein des rä­chen­den ewi­gen To­des!

       Vor­mals konnt’ ich mit heißem, mit grim­mi­gem Has­se dich has­sen!

       Jetzt ver­mag ich’s nicht mehr! Auch dies ist ste­chen­der Jam­mer!

      Bis­her war al­les leid­lich ge­gan­gen; aber laut, mit fürch­ter­li­cher Stim­me, rief sie die fol­gen­den Wor­te:

       O wie bin ich zer­malmt! …

      Der gute Chir­ur­gus er­schrak und goss dem Va­ter das Sei­fen­be­cken in die Brust. Da gab es einen großen Auf­stand, und eine stren­ge Un­ter­su­chung ward ge­hal­ten, be­son­ders in Be­tracht des Un­glücks, das hät­te ent­ste­hen kön­nen, wenn man schon im Ra­sie­ren be­grif­fen ge­we­sen wäre. Um al­len Ver­dacht des Mut­wil­lens von uns ab­zu­leh­nen, be­kann­ten wir uns zu un­sern teuf­li­schen Rol­len, und das Un­glück, das die Hexa­me­ter an­ge­rich­tet hat­ten, war zu of­fen­bar, als dass man sie nicht aufs neue hät­te ver­ru­fen und ver­ban­nen sol­len.

      So pfle­gen Kin­der und Volk das Gro­ße, das Er­ha­be­ne in ein Spiel, ja in eine Pos­se zu ver­wan­deln; und wie soll­ten sie auch sonst im stan­de sein, es aus­zu­hal­ten und zu er­tra­gen!

      1 Ser­sche (Sar­sche, franz. ser­ge), sei­de­ne, halb­sei­de­ne, kamm­wol­le­ne, fünf- und sie­ben­bin­di­ge At­las­ge­we­be, die haupt­säch­lich zu Da­men­schu­hen, Mö­bel­be­zü­gen be­nutzt wer­den. Leich­te­re wol­le­ne Ser­sche dient als Fut­ter­stoff. <<<

      Der Neu­jahrs­tag ward zu je­ner Zeit durch den all­ge­mei­nen Um­lauf von per­sön­li­chen Glück­wün­schun­gen für die Stadt sehr be­le­bend. Wer sonst nicht leicht aus dem Hau­se kam, warf sich in sei­ne bes­ten Klei­der, um Gön­nern und Freun­den einen Au­gen­blick freund­lich und höf­lich zu sein. Für uns Kin­der war be­son­ders die Fest­lich­keit in dem Hau­se des Groß­va­ters an die­sem Tage ein höchst er­wünsch­ter Ge­nuss. Mit dem frühs­ten Mor­gen wa­ren die En­kel schon da­selbst ver­sam­melt, um die Trom­meln, die Ho­boen und Kla­ri­net­ten, die Po­sau­nen und Zin­ken, wie sie das Mi­li­tär, die Stadt­mu­si­ci und wer sonst al­les er­tö­nen ließ, zu ver­neh­men. Die ver­sie­gel­ten und über­schrie­be­nen Neu­jahrs­ge­schen­ke wur­den von den Kin­dern un­ter die ge­rin­gern Gra­tu­lan­ten aus­ge­teilt, und wie der Tag wuchs, so ver­mehr­te sich die An­zahl der Ho­no­ra­tio­ren. Erst er­schie­nen die Ver­trau­ten und Ver­wand­ten, dann die un­tern Staats­be­am­ten; die Her­ren vom Rate selbst ver­fehl­ten nicht, ih­ren Schult­heiß zu be­grü­ßen, und eine aus­er­wähl­te An­zahl wur­de abends in Zim­mern be­wir­tet, wel­che das gan­ze Jahr über kaum sich öff­ne­ten. Die Tor­ten, Bis­kuit­ku­chen, Mar­zi­pa­ne, der süße Wein übte den größ­ten Reiz auf die Kin­der aus, wozu noch kam, dass der Schult­heiß so wie die bei­den Bur­ge­meis­ter aus ei­ni­gen Stif­tun­gen jähr­lich et­was Sil­ber­zeug er­hiel­ten, wel­ches denn den En­keln und Pa­ten nach ei­ner ge­wis­sen Ab­stu­fung ver­ehrt ward; ge­nug, es fehl­te die­sem Fes­te im klei­nen an nichts, was die größ­ten zu ver­herr­li­chen pflegt.

      Der Neu­jahrs­tag 1759 kam her­an, für uns Kin­der er­wünscht und ver­gnüg­lich wie die vo­ri­gen, aber den äl­tern Per­so­nen be­denk­lich und ah­nungs­voll. Die Durch­mär­sche der Fran­zo­sen war man zwar ge­wohnt, und sie er­eig­ne­ten sich öf­ters und häu­fig, aber doch am häu­figs­ten in den letz­ten Ta­gen des ver­gan­ge­nen Jah­res. Nach al­ter reichs­städ­ti­scher Sit­te po­saun­te der Tür­mer des Haupt­turms, so oft Trup­pen her­an­rück­ten, und an die­sem Neu­jahrs­ta­ge woll­te er gar nicht auf­hö­ren, wel­ches ein Zei­chen war, dass grö­ße­re Hee­res­zü­ge von meh­re­ren Sei­ten in Be­we­gung sei­en. Wirk­lich zo­gen sie auch in grö­ße­ren Mas­sen an die­sem Tage durch die Stadt; man lief, sie vor­bei­pas­sie­ren zu se­hen. Sonst war man ge­wohnt, dass sie nur in klei­nen Par­ti­en durch­mar­schier­ten; die­se aber ver­grö­ßer­ten sich nach und nach, ohne dass man es ver­hin­dern konn­te oder woll­te. Ge­nug, am 2ten Ja­nu­ar, nach­dem eine Ko­lon­ne durch Sach­sen­hau­sen über die Brücke durch die Fahr­gas­se bis an die Kon­sta­bler­wa­che ge­langt war, mach­te sie Halt, über­wäl­tig­te das klei­ne, sie durch­füh­ren­de Kom­man­do, nahm Be­sitz von ge­dach­ter Wa­che, zog die Zeil hin­un­ter, und nach ei­nem ge­rin­gen Wi­der­stand muss­te sich auch die Haupt­wa­che er­ge­ben. Au­gen­blicks wa­ren die fried­li­chen Stra­ßen in einen Kriegs­schau­platz ver­wan­delt. Dort ver­harr­ten und bi­voua­kier­ten die Trup­pen, bis durch re­gel­mä­ßi­ge Ein­quar­tie­rung für ihr Un­ter­kom­men ge­sorgt wäre.

      Die­se un­er­war­te­te, seit vie­len Jah­ren un­er­hör­te Last drück­te die be­hag­li­chen Bür­ger ge­wal­tig, und nie­man­den СКАЧАТЬ