Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ Rede im Zu­sam­men­hang hät­te ver­ste­hen kön­nen. Ja ich lern­te gan­ze Stel­len aus­wen­dig und re­zi­tier­te sie, wie ein ein­ge­lern­ter Sprach­vo­gel; wel­ches mir umso leich­ter ward, als ich frü­her die für ein Kind meist un­ver­ständ­li­chen bib­li­schen Stel­len aus­wen­dig ge­lernt und sie in dem Ton der pro­tes­tan­ti­schen Pre­di­ger zu re­zi­tie­ren mich ge­wöhnt hat­te. Das ver­si­fi­zier­te fran­zö­si­sche Lust­spiel war da­mals sehr be­liebt: die Stücke von De­stou­ches, Ma­ri­vaux, La Chaus­sée ka­men häu­fig vor, und ich er­in­ne­re mich noch deut­lich man­cher cha­rak­te­ris­ti­schen Fi­gu­ren. Von den Mo­lièri­schen ist mir we­ni­ger im Sinn ge­blie­ben. Was am meis­ten Ein­druck auf mich mach­te, war die »Hy­per­m­ne­stra« von Le­mier­re, die als ein neu­es Stück mit Sorg­falt auf­ge­führt und wie­der­holt ge­ge­ben wur­de. Höchst an­mu­tig war der Ein­druck, den der »De­vin du Vil­la­ge«, »Rose et Calas«, »An­net­te et Lu­bin« auf mich mach­ten. Ich kann mir die be­bän­der­ten Bu­ben und Mäd­chen und ihre Be­we­gun­gen noch jetzt zu­rück­ru­fen. Es dau­er­te nicht lan­ge, so reg­te sich der Wunsch bei mir, mich auf dem Thea­ter selbst um­zu­se­hen, wozu sich mir so man­cher­lei Ge­le­gen­heit dar­bot. Denn da ich nicht im­mer die gan­zen Stücke aus­zu­hö­ren Ge­duld hat­te und man­che Zeit in den Kor­ri­dors, auch wohl bei ge­lin­de­rer Jahrs­zeit vor der Tür, mit an­de­ren Kin­dern mei­nes Al­ters al­ler­lei Spie­le trieb, so ge­sell­te sich ein schö­ner mun­te­rer Kna­be zu uns, der zum Thea­ter ge­hör­te und den ich in man­chen klei­nen Rol­len, ob­wohl nur bei­läu­fig, ge­se­hen hat­te. Mit mir konn­te er sich am bes­ten ver­stän­di­gen, in­dem ich mein Fran­zö­sisch bei ihm gel­tend zu ma­chen wuss­te; und er knüpf­te sich umso mehr an mich, als kein Kna­be sei­nes Al­ters und sei­ner Na­ti­on beim Thea­ter oder sonst in der Nähe war. Wir gin­gen auch au­ßer der Thea­ter­zeit zu­sam­men, und selbst wäh­rend der Vor­stel­lun­gen ließ er mich sel­ten in Ruhe. Er war ein al­ler­liebs­ter klei­ner Auf­schnei­der, schwätz­te schar­mant und un­auf­hör­lich und wuss­te so viel von sei­nen Aben­teu­ern, Hän­deln und an­de­ren Son­der­bar­kei­ten zu er­zäh­len, dass er mich au­ßer­or­dent­lich un­ter­hielt und ich von ihm, was Spra­che und Mit­tei­lung durch die­sel­be be­trifft, in vier Wo­chen mehr lern­te, als man sich hät­te vor­stel­len kön­nen; so­dass nie­mand wuss­te, wie ich auf ein­mal, gleich­sam durch In­spi­ra­ti­on, zu der frem­den Spra­che ge­langt war.

      Gleich in den ers­ten Ta­gen un­se­rer Be­kannt­schaft zog er mich mit sich aufs Thea­ter und führ­te mich be­son­ders in die Foy­ers, wo die Schau­spie­ler und Schau­spie­le­rin­nen in der Zwi­schen­zeit sich auf­hiel­ten und sich an- und aus­klei­de­ten. Das Lo­kal war we­der güns­tig noch be­quem, in­dem man das Thea­ter in einen Kon­zert­saal hin­ein­ge­zwängt hat­te, so­dass für die Schau­spie­ler hin­ter der Büh­ne kei­ne be­son­de­ren Ab­tei­lun­gen statt­fan­den. In ei­nem ziem­lich großen Ne­ben­zim­mer, das ehe­dem zu Spiel­par­ti­en ge­dient hat­te, wa­ren nun bei­de Ge­schlech­ter meist bei­sam­men und schie­nen sich so we­nig un­ter ein­an­der selbst als vor uns Kin­dern zu scheu­en, wenn es beim An­le­gen oder Verän­dern der Klei­dungs­stücke nicht im­mer zum an­stän­digs­ten her­ging. Mir war der­glei­chen nie­mals vor­ge­kom­men, und doch fand ich es bald durch Ge­wohn­heit, bei wie­der­hol­tem Be­such, ganz na­tür­lich.

      Es währ­te nicht lan­ge, so ent­spann sich aber für mich ein eig­nes und be­sondres In­ter­es­se. Der jun­ge De­ro­nes, so will ich den Kna­ben nen­nen, mir dem ich mein Ver­hält­nis im­mer fort­setz­te, war au­ßer sei­nen Auf­schnei­de­rei­en ein Kna­be von gu­ten Sit­ten und recht ar­ti­gem Be­tra­gen. Er mach­te mich mit sei­ner Schwes­ter be­kannt, die ein paar Jah­re äl­ter als wir und ein gar an­ge­neh­mes Mäd­chen war, gut ge­wach­sen, von ei­ner re­gel­mä­ßi­gen Bil­dung, brau­ner Far­be, schwar­zen Haa­ren und Au­gen; ihr gan­zes Be­tra­gen hat­te et­was Stil­les, ja Trau­ri­ges. Ich such­te ihr auf alle Wei­se ge­fäl­lig zu sein; al­lein ich konn­te ihre Auf­merk­sam­keit nicht auf mich len­ken. Jun­ge Mäd­chen dün­ken sich ge­gen jün­ge­re Kna­ben sehr weit vor­ge­schrit­ten und neh­men, in­dem sie nach den Jüng­lin­gen hin­schau­en, ein tan­ten­haf­tes Be­tra­gen ge­gen den Kna­ben an, der ih­nen sei­ne ers­te Nei­gung zu­wen­det. Mir ei­nem jün­gern Bru­der hat­te ich kein Ver­hält­nis.

      Manch­mal, wenn die Mut­ter auf den Pro­ben oder in Ge­sell­schaft war, fan­den wir uns in ih­rer Woh­nung zu­sam­men, um zu spie­len oder uns zu un­ter­hal­ten. Ich ging nie­mals hin, ohne der Schö­nen eine Blu­me, eine Frucht oder sonst et­was zu über­rei­chen, wel­ches sie zwar je­der­zeit mit sehr gu­ter Art an­nahm und auf das höf­lichs­te dank­te; al­lein ich sah ih­ren trau­ri­gen Blick sich nie­mals er­hei­tern und fand kei­ne Spur, dass sie sonst auf mich ge­ach­tet hät­te. End­lich glaub­te ich ihr Ge­heim­nis zu ent­de­cken. Der Kna­be zeig­te mir hin­ter dem Bet­te sei­ner Mut­ter, das mit ele­gan­ten seid­nen Vor­hän­gen auf­ge­putzt war, ein Pas­tell­bild, das Por­trät ei­nes schö­nen Man­nes, und be­merk­te zu­gleich mit schlau­er Mie­ne: das sei ei­gent­lich nicht der Papa, aber eben so gut wie der Papa; und in­dem er die­sen Mann rühm­te und nach sei­ner Art um­ständ­lich und prah­le­risch man­ches er­zähl­te, so glaub­te ich her­aus­zu­fin­den, dass die Toch­ter wohl dem Va­ter, die bei­den an­de­ren Kin­der aber dem Haus­freund an­ge­hö­ren moch­ten. Ich er­klär­te mir nun ihr trau­ri­ges An­se­hen und hat­te sie nur um de­sto lie­ber. Die Nei­gung zu die­sem Mäd­chen half mir die Schwin­de­lei­en des Bru­ders über­tra­gen, der nicht im­mer in sei­nen Gren­zen blieb. Ich hat­te oft die weit­läuf­ti­gen Er­zäh­lun­gen sei­ner Groß­ta­ten aus­zu­hal­ten, wie er sich schon öf­ter ge­schla­gen, ohne je­doch dem an­de­ren scha­den zu wol­len: es sei al­les bloß der Ehre we­gen ge­sche­hen. Stets habe er ge­wusst, sei­nen Wi­der­sa­cher zu ent­waff­nen, und ihm als­dann ver­zie­hen: ja er ver­ste­he sich aufs Li­gie­ren so gut, dass er einst selbst in große Ver­le­gen­heit ge­ra­ten, als er den De­gen sei­nes Geg­ners auf einen ho­hen Baum ge­schleu­dert, so­dass man ihn nicht leicht wie­der hab­haft wer­den kön­nen.

      Was mir mei­ne Be­su­che auf dem Thea­ter sehr er­leich­ter­te, war, dass mir mein Frei­bil­let, als aus den Hän­den des Schult­hei­ßen, den Weg zu al­len Plät­zen er­öff­ne­te und also auch zu den Sit­zen im Pro­sze­ni­um.

      Die­ses war nach fran­zö­si­scher Art sehr tief und an bei­den Sei­ten mit Sit­zen ein­ge­fasst, die durch eine nied­ri­ge Bar­rie­re be­schränkt, sich in meh­re­ren Rei­hen hin­ter ein­an­der auf­bau­ten und zwar der­ge­stalt, dass die ers­ten Sit­ze nur we­nig über die Büh­ne er­ho­ben wa­ren. Das Gan­ze galt für einen be­son­dern Ehren­platz; nur Of­fi­zie­re be­dien­ten sich ge­wöhn­lich des­sel­ben, ob­gleich die Nähe der Schau­spie­ler, ich will nicht sa­gen jede Il­lu­si­on, son­dern ge­wis­ser­ma­ßen je­des Ge­fal­len auf­hob. So­gar je­nen Ge­brauch oder Miss­brauch, über den sich Vol­taire so sehr be­schwert, habe ich noch er­lebt und mit Au­gen ge­se­hen: Wenn bei sehr vol­lem Hau­se, und etwa zur­zeit von Durch­mär­schen, an­ge­se­he­ne Of­fi­zie­re nach je­nem Ehren­platz streb­ten, der aber ge­wöhn­lich schon be­setzt war, so stell­te man noch ei­ni­ge Rei­hen Bän­ke und Stüh­le ins Pro­sze­ni­um auf die Büh­ne selbst, und es blieb den Hel­den und Hel­din­nen nichts üb­rig, als in ei­nem sehr mä­ßi­gen Rau­me zwi­schen den Uni­for­men und Or­den ihre Ge­heim­nis­se zu ent­hül­len. Ich habe die »Hy­per­m­ne­stra« selbst un­ter sol­chen Um­stän­den СКАЧАТЬ