Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ er sich den Cha­rak­ter ei­nes kai­ser­li­chen Ra­tes, den der Schult­heiß und die äl­tes­ten Schöf­fen als be­son­dern Ehren­ti­tel tra­gen. Da­durch hat­te er sich zum Glei­chen der Obers­ten ge­macht und konn­te nicht mehr von un­ten an­fan­gen. Der­sel­be Be­weg­grund führ­te ihn auch dazu, um die äl­tes­te Toch­ter des Schult­hei­ßen zu wer­ben, wo­durch er auch auf die­ser Sei­te vom Rate aus­ge­schlos­sen ward. Er ge­hör­te nun zu den Zu­rück­ge­zo­ge­nen, wel­che nie­mals un­ter sich eine So­zie­tät ma­chen. Sie ste­hen so iso­liert ge­gen­ein­an­der wie ge­gen das Gan­ze, und umso mehr, als sich in die­ser Ab­ge­schie­den­heit das Ei­gen­tüm­li­che der Cha­rak­tere im­mer schrof­fer aus­bil­det. Mein Va­ter moch­te sich auf Rei­sen und in der frei­en Welt, die er ge­se­hen, von ei­ner ele­gan­tern und li­be­ra­lern Le­bens­wei­se eine Be­griff ge­macht ha­ben, als sie viel­leicht un­ter sei­nen Mit­bür­gern üb­lich war. Zwar fand er dar­in Vor­gän­ger und Ge­sel­len.

      Der Name von Uf­fen­bach ist be­kannt. Ein Schöff von Uf­fen­bach leb­te da­mals in gu­tem An­se­hen. Er war in Ita­li­en ge­we­sen, hat­te sich be­son­ders auf Mu­sil ge­legt, sang einen an­ge­neh­men Te­nor, und da er eine schö­ne Samm­lung von Mu­si­ka­li­en mit­ge­bracht hat­te, wur­den Kon­zer­te und Ora­to­ri­en bei ihm auf­ge­führt. Weil er nun da­bei selbst sang und die Mu­si­ker be­güns­tig­te, so fand man es nicht ganz sei­ner Wür­de ge­mäß, und die ein­ge­la­de­nen Gäs­te so­wohl als die üb­ri­gen Lands­leu­te er­laub­ten sich dar­über man­che lus­ti­ge An­mer­kung.

      Fer­ner er­in­ne­re ich mich ei­nes Barons von Hä­kel, ei­nes rei­chen Edel­manns, der, ver­hei­ra­tet aber kin­der­los, ein schö­nes Haus in der An­to­ni­us­gas­se be­wohn­te, mit al­lem Zu­be­hör ei­nes an­stän­di­gen Le­bens aus­ge­stat­tet. Auch be­saß er gute Ge­mäl­de, Kup­fer­sti­che, An­ti­ken und man­ches an­de­re, wie es bei Samm­lern und Lieb­ha­bern zu­sam­men­fließt. Von Zeit zu Zeit lud er die Ho­no­ra­tio­ren zum Mit­ta­ges­sen und war auf eine eig­ne acht­sa­me Wei­se wohl­tä­tig, in­dem er in sei­nem Hau­se die Ar­men klei­de­te, ihre al­ten Lum­pen aber zu­rück­be­hielt und ih­nen nur un­ter der Be­din­gung ein wö­chent­li­ches Al­mo­sen reich­te, dass sie in je­nen ge­schenk­ten Klei­dern sich ihm je­des Mal sau­ber und or­dent­lich vor­stell­ten. Ich er­in­ne­re mich sei­ner nur dun­kel als ei­nes freund­li­chen, wohl­ge­bil­de­ten Man­nes; de­sto deut­li­cher aber sei­ner Auk­ti­on, der ich vom An­fang bis zu Ende bei­wohn­te und teils auf Be­fehl mei­nes Va­ters, teils aus ei­ge­nem An­trieb man­ches er­stand, was sich noch un­ter mei­nen Samm­lun­gen be­fin­det.

      Frü­her, und von mir kaum noch mit Au­gen ge­se­hen, mach­te Jo­hann Mi­cha­el von Loen in der li­te­ra­ri­schen Welt so wie in Frank­furt ziem­li­ches Auf­se­hen. Nicht von Frank­furt ge­bür­tig, hat­te er sich da­selbst nie­der­ge­las­sen und war mit der Schwes­ter mei­ner Groß­mut­ter Tex­tor, ei­ner ge­bor­nen Lind­hei­mer, ver­hei­ra­tet. Be­kannt mit der Hof- und Staats­welt und ei­nes er­neu­ten Adels sich er­freu­end, er­lang­te er da­durch einen Na­men, dass er in die ver­schie­de­nen Re­gun­gen, wel­che in Kir­che und Staat zum Vor­schein ka­men, ein­zu­grei­fen den Mut hat­te. Er schrieb den »Gra­fen von Ri­ve­ra«, einen di­dak­ti­schen Ro­man, des­sen In­halt aus dem zwei­ten Ti­tel »oder der ehr­li­che Mann am Hofe« er­sicht­lich ist. Die­ses Werk wur­de gut auf­ge­nom­men, weil es auch von den Hö­fen, wo sonst nur Klug­heit zu Hau­se ist, Sitt­lich­keit ver­lang­te; und so brach­te ihm sei­ne Ar­beit Bei­fall und An­se­hen. Ein zwei­tes Werk soll­te da­ge­gen de­sto ge­fähr­li­cher für ihn wer­den. Er schrieb »Die ein­zi­ge wah­re Re­li­gi­on«, ein Buch, das die Ab­sicht hat­te, To­le­ranz, be­son­ders zwi­schen Luthe­r­a­nern und Cal­vi­nis­ten, zu be­för­dern. Hier­über kam er mit den Theo­lo­gen in Streit; be­son­ders schrieb Dr. Ben­ner in Gie­ßen ge­gen ihn. Von Loen er­wi­der­te; der Streit wur­de hef­tig und per­sön­lich, und die dar­aus ent­sprin­gen­den Unan­nehm­lich­kei­ten ver­an­lag­ten den Ver­fas­ser, die Stel­le ei­nes Prä­si­den­ten zu Lin­gen an­zu­neh­men, die ihm Fried­rich der Zwei­te an­bot, der in ihm einen auf­ge­gär­ten und den Neue­run­gen, die in Frank­reich schon viel wei­ter ge­die­hen wa­ren, nicht ab­ge­neig­ten vor­ur­teils­frei­en Mann zu er­ken­nen glaub­te. Sei­ne ehe­ma­li­gen Lands­leu­te, die er mit ei­ni­gem Ver­druss ver­las­sen, be­haup­te­ten, dass er dort nicht zu­frie­den sei, ja nicht zu­frie­den sein kön­ne, weil sich ein Ort wie Lin­gen mit Frank­furt kei­nes­wegs mes­sen dür­fe. Mein Va­ter zwei­fel­te auch an dem Be­ha­gen des Prä­si­den­ten und ver­si­cher­te, der gute Oheim hät­te bes­ser ge­tan, sich mit dem Kö­ni­ge nicht ein­zu­las­sen, weil es über­haupt ge­fähr­lich sei, sich dem­sel­ben zu nä­hern, so ein au­ßer­or­dent­li­cher Herr er auch üb­ri­gens sein möge. Denn man habe ja ge­se­hen, wie schmäh­lich der be­rühm­te Vol­taire, auf Re­qui­si­ti­on des preu­ßi­schen Re­si­den­ten Frei­tag, in Frank­furt sei ver­haf­tet wor­den, da er doch vor­her so hoch in Guns­ten ge­stan­den und als des Kö­nigs Lehr­meis­ter in der fran­zö­si­schen Poe­sie an­zu­se­hen ge­we­sen. Es man­gel­te bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten nicht an Be­trach­tun­gen und Bei­spie­len, um vor Hö­fen und Her­ren­dienst zu war­nen, wo­von sich über­haupt ein ge­bor­ner Frank­fur­ter kaum einen Be­griff ma­chen konn­te.

      Ei­nes vor­treff­li­chen Man­nes, Dok­tor Orth, will ich hier nur dem Na­men nach ge­den­ken, in­dem ich ver­dien­ten Frank­fur­tern hier nicht so­wohl ein Denk­mal zu er­rich­ten habe, viel­mehr der­sel­ben nur in­so­fern er­wäh­ne, als ihr Ruf oder ihre Per­sön­lich­keit auf mich in den frühs­ten Jah­ren ei­ni­gen Ein­fluss ge­habt. Dok­tor Orth war ein rei­cher Mann und ge­hör­te auch un­ter die, wel­che nie­mals teil am Re­gi­men­te ge­nom­men, ob ihn gleich sei­ne Kennt­nis­se und Ein­sich­ten wohl dazu be­rech­tigt hät­ten. Die deut­schen und be­son­ders die Frank­fur­ti­schen Al­ter­tü­mer sind ihm sehr viel schul­dig ge­wor­den; er gab die »An­mer­kun­gen« zu der so­ge­nann­ten »Frank­fur­ter Re­for­ma­ti­on« her­aus, ein Werk, in wel­chem die Sta­tu­ten der Reichs­stadt ge­sam­melt sind. Die his­to­ri­schen Ka­pi­tel des­sel­ben habe ich in mei­nen Jüng­lings­jah­ren flei­ßig stu­diert.

      Von Och­sen­stein, der äl­te­re je­ner drei Brü­der, de­ren ich oben als un­se­rer Nach­barn ge­dacht, war, bei sei­ner ein­ge­zo­ge­nen Art zu sein, wäh­rend sei­nes Le­bens nicht merk­wür­dig ge­wor­den, de­sto merk­wür­di­ger aber nach sei­nem Tode, in­dem er eine Ver­ord­nung hin­ter­ließ, dass er mor­gens früh, ganz im Stil­len und ohne Beglei­tung und Ge­folg, von Hand­werks­leu­ten zu Gra­be ge­bracht sein wol­le. Es ge­sch­ah, und die­se Hand­lung er­reg­te in der Stadt, wo man an prunk­haf­te Lei­chen­be­gäng­nis­se ge­wöhnt war, großes Auf­sehn. Alle die­je­ni­gen, die bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten einen her­kömm­li­chen Ver­dienst hat­ten, er­hu­ben sich ge­gen die Neue­rung. Al­lein der wack­re Pa­tri­zi­er fand Nach­fol­ger in al­len Stän­den, und ob man schon der­glei­chen Be­gäng­nis­se spott­wei­se Och­sen­lei­chen nann­te, so nah­men sie doch zum Bes­ten man­cher we­nig be­mit­tel­ten Fa­mi­li­en über­hand, und die Prunk­be­gäng­nis­se ver­lo­ren sich im­mer mehr. Ich füh­re die­sen Um­stand an, weil er eins der frü­hern Sym­pto­me je­ner Ge­sin­nun­gen von De­mut und Gleich­stel­lung dar­bie­tet, die sich in der zwei­ten Hälf­te des vo­ri­gen Jahr­hun­derts von oben her­ein auf so man­che Wei­se ge­zeigt СКАЧАТЬ