Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ Spür­kraft ging auf die­ser Fähr­te, mei­ne Ein­bil­dungs­kraft war an­ge­regt und mein Scharf­sinn auf­ge­for­dert. Ich fing nun an, die An­ga­ben je­ner zu un­ter­su­chen, fand und er­fand neue Grün­de der Wahr­schein­lich­keit. Ich hat­te von mei­nem Groß­va­ter we­nig re­den hö­ren, au­ßer dass sein Bild­nis mit dem mei­ner Groß­mut­ter in ei­nem Be­such­zim­mer des al­ten Hau­ses ge­han­gen hat­te, wel­che bei­de, nach Er­bau­ung des neu­en in ei­ner obe­ren Kam­mer auf­be­wahrt wur­den. Mei­ne Groß­mut­ter muss­te eine sehr schö­ne Frau ge­we­sen sein und von glei­chem Al­ter mit ih­rem Man­ne. Auch er­in­ner­te ich mich, in ih­rem Zim­mer das Mi­nia­tur­bild ei­nes schö­nen Herrn, in Uni­form mit Stern und Or­den, ge­se­hen zu ha­ben, wel­ches nach ih­rem Tode mit vie­len an­de­ren klei­nen Gerät­schaf­ten, wäh­rend des al­les um­wäl­zen­den Haus­bau­es ver­schwun­den war. Sol­che wie man­che an­de­re Din­ge bau­te ich mir in mei­nem kin­di­schen Kop­fe zu­sam­men und übte früh­zei­tig ge­nug je­nes mo­der­ne Dich­ter­ta­lent, wel­ches durch eine aben­teu­er­li­che Ver­knüp­fung der be­deu­ten­den Zu­stän­de des mensch­li­chen Le­bens sich die Teil­nah­me der gan­zen kul­ti­vier­ten Welt zu ver­schaf­fen weiß.

      Da ich nun aber einen sol­chen Fall nie­man­den zu ver­trau­en, oder auch nur von fer­ne nach­zu­fra­gen mich un­ter­stand, so ließ ich es an ei­ner heim­li­chen Be­trieb­sam­keit nicht feh­len, um wo mög­lich der Sa­che et­was nä­her zu kom­men. Ich hat­te näm­lich ganz be­stimmt be­haup­ten hö­ren, dass die Söh­ne den Vä­tern oder Groß­vä­tern oft ent­schie­den ähn­lich zu sein pfleg­ten. Meh­re­re un­se­rer Freun­de, be­son­ders auch Rat Schnei­der, un­ser Haus­freund, hat­ten Ge­schäfts­ver­bin­dun­gen mit al­len Fürs­ten und Her­ren der Nach­bar­schaft, de­ren, so­wohl re­gie­ren­der als nach­ge­bor­ner, kei­ne ge­rin­ge An­zahl am Rhein und Main und in dem Rau­me zwi­schen bei­den ihre Be­sit­zun­gen hat­ten, und die aus be­son­de­rer Gunst ihre treu­en Ge­schäfts­trä­ger zu­wei­len wohl mit ih­ren Bild­nis­sen beehr­ten. Die­se, die ich von Ju­gend auf viel­mals an den Wän­den ge­se­hen, be­trach­te­te ich nun­mehr mit dop­pel­ter Auf­merk­sam­keit, for­schend, ob ich nicht eine Ähn­lich­keit mit mei­nem Va­ter, oder gar mit mir ent­de­cken könn­te; wel­ches aber zu oft ge­lang, als dass es mich zu ei­ni­ger Ge­wiss­heit hät­te füh­ren kön­nen. Denn bald wa­ren es die Au­gen von die­sem, bald die Nase von je­nem, die mir auf ei­ni­ge Ver­wandt­schaft zu deu­ten schie­nen. So führ­ten mich die­se Kenn­zei­chen trüg­lich ge­nug hin und wi­der. Und ob ich gleich in der Fol­ge die­sen Vor­wurf als ein durch­aus lee­res Mär­chen be­trach­ten muss­te, so blieb mir doch der Ein­druck, und ich konn­te nicht un­ter­las­sen, die sämt­li­chen Her­ren, de­ren Bild­nis­se mir sehr deut­lich in der Fan­ta­sie ge­blie­ben wa­ren, von Zeit zu Zeit im Stil­len bei mir zu mus­tern und zu prü­fen. So wahr ist es, dass al­les, was den Men­schen in­ner­lich in sei­nem Dün­kel be­stärkt, sei­ner heim­li­chen Ei­tel­keit schmei­chelt, ihm der­ge­stalt höch­lich er­wünscht ist, dass er nicht wei­ter fragt, ob es ihm sonst auf ir­gend eine Wei­se zur Ehre oder zur Schmach ge­rei­chen kön­ne.

      Doch an­statt hier ernst­haf­te, ja rü­gen­de Be­trach­tun­gen ein­zu­mi­schen, wen­de ich lie­ber mei­nen Blick von je­nen schö­nen Zei­ten hin­weg: denn wer wäre im stan­de, von der Fül­le der Kind­heit wür­dig zu spre­chen! Wir kön­nen die klei­nen Ge­schöp­fe, die vor uns her­um­wan­deln, nicht an­ders als mit Ver­gnü­gen, ja mit Be­wun­de­rung an­se­hen: denn meist ver­spre­chen sie mehr, als sie hal­ten, und es scheint, als wenn die Na­tur un­ter an­de­ren schel­mi­schen Strei­chen, die sie uns spielt, auch hier sich ganz be­son­ders vor­ge­setzt, uns zum Bes­ten zu ha­ben. Die ers­ten Or­ga­ne, die sie Kin­dern mit auf die Welt gibt, sind dem nächs­ten un­mit­tel­ba­ren Zu­stan­de des Ge­schöpfs ge­mäß; es be­dient sich der­sel­ben kunst- und an­spruchs­los, auf die ge­schick­tes­te Wei­se zu den nächs­ten Zwe­cken. Das Kind, an und für sich be­trach­tet, mit sei­nes­glei­chen und in Be­zie­hun­gen, die sei­nen Kräf­ten an­ge­mes­sen sind, scheint so ver­stän­dig, so ver­nünf­tig, dass nichts drü­ber geht, und zu­gleich so be­quem, hei­ter und ge­wandt, dass man kei­ne weitre Bil­dung für das­sel­be wün­schen möch­te. Wüch­sen die Kin­der in der Art fort, wie sie sich an­deu­ten, so hät­ten wir lau­ter Ge­nies. Aber das Wachs­tum ist nicht bloß Ent­wick­lung; die ver­schied­nen or­ga­ni­schen Sys­te­me, die den einen Men­schen aus­ma­chen, ent­sprin­gen aus ein­an­der, fol­gen ein­an­der, ver­wan­deln sich in ein­an­der, ver­drän­gen ein­an­der, ja zeh­ren ein­an­der auf, so­dass von man­chen Fä­hig­kei­ten, von man­chen Kraft­äu­ße­run­gen nach ei­ner ge­wis­sen Zeit kaum eine Spur mehr zu fin­den ist. Wenn auch die mensch­li­chen An­la­gen im gan­zen eine ent­schie­de­ne Rich­tung ha­ben, so wird es doch dem größ­ten und er­fah­rens­ten Ken­ner schwer sein, sie mit Zu­ver­läs­sig­keit vor­aus zu ver­kün­den; doch kann man hin­ter­drein wohl be­mer­ken, was auf ein künf­ti­ges hin­ge­deu­tet hat.

      Kei­nes­wegs ge­den­ke ich da­her in die­sen ers­ten Bü­chern mei­ne Ju­gend­ge­schich­ten völ­lig ab­zu­schlie­ßen, son­dern ich wer­de viel­mehr noch spä­ter­hin man­chen Fa­den auf­neh­men und fort­lei­ten, der sich un­be­merkt durch die ers­ten Jah­re schon hin­durch­zog. Hier muss ich aber be­mer­ken, wel­chen stär­ke­ren Ein­fluss nach und nach die Kriegs­be­ge­ben­hei­ten auf un­se­re Ge­sin­nun­gen und uns­re Le­bens­wei­se aus­üb­ten.

      Der ru­hi­ge Bür­ger steht zu den großen Wel­ter­eig­nis­sen in ei­nem wun­der­ba­ren Ver­hält­nis. Schon aus der Fer­ne re­gen sie ihn auf und be­un­ru­hi­gen ihn, und er kann sich, selbst wenn sie ihn nicht be­rüh­ren, ei­nes Ur­teils, ei­ner Teil­nah­me nicht ent­hal­ten. Schnell er­greift er eine Par­tei, nach­dem ihn sein Cha­rak­ter oder äu­ße­re An­läs­se be­stim­men. Rücken so große Schick­sa­le, so be­deu­ten­de Ver­än­de­run­gen nä­her, dann bleibt ihm bei man­chen äu­ßern Un­be­quem­lich­kei­ten noch im­mer je­nes in­n­re Miss­be­ha­gen, ver­dop­pelt und schärft das Übel meis­ten­teils und zer­stört das noch mög­li­che Gute. Dann hat er von Freun­den und Fein­den wirk­lich zu lei­den, oft mehr von je­nen als von die­sen, und er weiß we­der, wie er sei­ne Nei­gung noch wie er sei­nen Vor­teil wah­ren und er­hal­ten soll.

      Das Jahr 1757, das wir noch in völ­lig bür­ger­li­cher Ruhe ver­brach­ten, wur­de dem un­ge­ach­tet in großer Ge­müts­be­we­gung ver­lebt. Rei­cher an Be­ge­ben­hei­ten als die­ses war viel­leicht kein an­de­res. Die Sie­ge, die Groß­ta­ten, die Un­glücks­fäl­le, die Wie­der­her­stel­lun­gen folg­ten auf ein­an­der, ver­schlan­gen sich und schie­nen sich auf­zu­he­ben; im­mer aber schweb­te die Ge­stalt Fried­richs, sein Name, sein Ruhm in kur­z­em wie­der oben. Der En­thu­si­as­mus sei­ner Ver­eh­rer ward im­mer grö­ßer und be­leb­ter, der Hass sei­ner Fein­de bit­te­rer, und die Ver­schie­den­heit der An­sich­ten, wel­che selbst Fa­mi­li­en zer­spal­te­te, trug nicht we­nig dazu bei, die oh­ne­hin schon auf man­cher­lei Wei­se von­ein­an­der ge­trenn­ten Bür­ger noch mehr zu iso­lie­ren. Denn in ei­ner Stadt wie Frank­furt, wo drei Re­li­gio­nen die Ein­woh­ner in drei un­glei­che Mas­sen tei­len, wo nur we­ni­ge Män­ner, selbst von der herr­schen­den, zum Re­gi­ment ge­lan­gen kön­nen, muss es gar man­chen Wohl­ha­ben­den und Un­ter­rich­te­ten ge­ben, der sich auf sich zu­rück­zieht und durch Stu­di­en und Lieb­ha­be­rei­en sich eine eig­ne und ab­ge­schlos­se­ne Exis­tenz bil­det. Von sol­chen wird ge­gen­wär­tig СКАЧАТЬ