Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ Mu­sik zwei an­de­re der­ge­stalt ab, dass sie aus den Ku­lis­sen ganz strack vor jene hin­tra­ten, wel­che sich dann eben­so ge­mes­sent­lich zu­rück­zo­gen. Wenn nun eine sol­che An­stalt recht dazu ge­eig­net war, al­les, was man beim Thea­ter Il­lu­si­on nennt, auf­zu­he­ben, so fällt es umso mehr auf, dass die­ses zu ei­ner Zeit ge­sch­ah, wo nach Di­de­rots Grund­sät­zen und Bei­spie­len die na­tür­lichs­te Na­tür­lich­keit auf der Büh­ne ge­for­dert und eine voll­kom­me­ne Täu­schung als das ei­gent­li­che Ziel der thea­tra­li­schen Kunst an­ge­ge­ben wur­de. Von ei­ner sol­chen mi­li­tä­ri­schen Po­li­zei­an­stalt war je­doch die Tra­gö­die ent­bun­den, und die Hel­den des Al­ter­tums hat­ten das Recht, sich selbst zu be­wa­chen; die ge­dach­ten Gre­na­die­re stan­den in­des nahe ge­nug hin­ter den Ku­lis­sen.

      So will ich denn auch noch an­füh­ren, dass ich Di­de­rots »Haus­va­ter« und die »Phi­lo­so­phen« von Pa­lis­sot ge­se­hen habe und mich im letz­tern Stück der Fi­gur des Phi­lo­so­phen, der auf al­len Vie­ren geht und in ein ro­hes Salat­haupt beißt, noch wohl er­inn­re.

      Alle die­se thea­tra­li­sche Man­nig­fal­tig­keit konn­te je­doch uns Kin­der nicht im­mer im Schau­spiel­hau­se fest­hal­ten. Wir spiel­ten bei schö­nem Wet­ter vor dem­sel­ben und in der Nähe und be­gin­gen al­ler­lei Tor­hei­ten, wel­che be­son­ders an Sonn- und Fest­ta­gen kei­nes­wegs zu uns­rem Äu­ße­ren pass­ten: denn ich und mei­nes­glei­chen er­schie­nen als­dann, an­ge­zo­gen, wie man mich in je­nem Mär­chen ge­se­hen, den Hut un­term Arm, mit ei­nem klei­nen De­gen, des­sen Bü­gel mit ei­ner großen sei­de­nen Band­schlei­fe ge­ziert war. Einst, als wir eine gan­ze Zeit un­ser We­sen ge­trie­ben und De­ro­nes sich un­ter uns ge­mischt hat­te, fiel es die­sem ein, mir zu be­teu­ern, ich hät­te ihn be­lei­digt und müs­se ihm Sa­tis­fak­ti­on ge­ben. Ich be­griff zwar nicht, was ihm An­lass ge­ben konn­te, ließ mir aber sei­ne Aus­for­de­rung ge­fal­len und woll­te zie­hen. Er ver­si­cher­te mir aber, es sei in sol­chen Fäl­len ge­bräuch­lich, dass man an ein­sa­me Ör­ter gehe, um die Sa­che de­sto be­que­mer aus­ma­chen zu kön­nen. Wir ver­füg­ten uns des­halb hin­ter ei­ni­ge Scheu­nen und stell­ten uns in ge­hö­ri­ge Po­si­tur. Der Zwei­kampf er­folg­te auf eine et­was thea­tra­li­sche Wei­se, die Klin­gen klirr­ten, und die Stö­ße gin­gen ne­ben­aus; doch im Feu­er der Ak­ti­on blieb er mit der Spit­ze sei­nes De­gens an der Band­schlei­fe mei­nes Bü­gels han­gen. Sie ward durch­bohrt, und er ver­si­cher­te mir, dass er nun die voll­kom­mens­te Sa­tis­fak­ti­on habe, um­arm­te mich so­dann, gleich­falls recht thea­tra­lisch, und wir gin­gen in das nächs­te Kaf­fee­haus, um uns mit ei­nem Gla­se Man­del­milch von un­se­rer Ge­müts­be­we­gung zu er­ho­len und den al­ten Freund­schafts­bund nur de­sto fes­ter zu schlie­ßen.

      Ein andres Aben­teu­er, das mir auch im Schau­spiel­hau­se, ob­gleich spä­ter, be­geg­net, will ich bei die­ser Ge­le­gen­heit er­zäh­len. Ich saß näm­lich mit ei­nem mei­ner Ge­spie­len ganz ru­hig im Par­terre, und wir sa­hen mit Ver­gnü­gen ei­nem So­lo­tan­ze zu, den ein hüb­scher Kna­be, un­ge­fähr von un­serm Al­ter, der Sohn ei­nes durch­rei­sen­den fran­zö­si­schen Tanz­meis­ters, mit vie­ler Ge­wandt­heit und An­mut auf­führ­te. Nach Art der Tän­zer war er mit ei­nem knap­pen Wämschen von ro­ter Sei­de be­klei­det, wel­ches, in einen kur­z­en Reif­rock aus­ge­hend, gleich den Lau­fer­schür­zen, bis über die Knie schweb­te. Wir hat­ten die­sem an­ge­hen­den Künst­ler mit dem gan­zen Pub­li­kum un­sern Bei­fall ge­zollt, als mir, ich weiß nicht wie, ein­fiel, eine mo­ra­li­sche Re­fle­xi­on zu ma­chen. Ich sag­te zu mei­nem Beglei­ter: »Wie schön war die­ser Kna­be ge­putzt, und wie gut nahm er sich aus; wer weiß, in was für ei­nem zer­ris­se­nen Jäck­chen er heu­te Nacht schla­fen mag!« – Al­les war schon auf­ge­stan­den, nur ließ uns die Men­ge noch nicht vor­wärts. Eine Frau, die ne­ben mir ge­ses­sen hat­te und nun hart an mir stand, war zu­fäl­li­ger­wei­se die Mut­ter die­ses jun­gen Künst­lers, die sich durch mei­ne Re­fle­xi­on sehr be­lei­digt fühl­te. Zu mei­nem Un­glück konn­te sie Deutsch ge­nug, um mich ver­stan­den zu ha­ben, und sprach es ge­ra­de so viel, als nö­tig war, um schel­ten zu kön­nen. Sie mach­te mich ge­wal­tig her­un­ter: wer ich denn sei, mein­te sie, dass ich Ur­sa­che hät­te, an der Fa­mi­lie und an der Wohl­ha­ben­heit die­ses jun­gen Men­schen zu zwei­feln. Auf alle Fäl­le dür­fe sie ihn für so gut hal­ten als mich, und sei­ne Ta­len­te könn­ten ihm wohl ein Glück be­rei­ten, wo­von ich mir nicht wür­de träu­men las­sen. Die­se Straf­pre­digt hielt sie mir im Ge­drän­ge und mach­te die Um­ste­hen­den auf­merk­sam, wel­che Wun­der dach­ten, was ich für eine Un­art müss­te be­gan­gen ha­ben. Da ich mich we­der ent­schul­di­gen noch von ihr ent­fer­nen konn­te, so war ich wirk­lich ver­le­gen, und als sie einen Au­gen­blick in­ne­hielt, sag­te ich, ohne et­was da­bei zu den­ken: »Nun, wozu der Lärm? heu­te rot, mor­gen tot!« – Auf die­se Wor­te schi­en die Frau zu ver­stum­men. Sie sah mich an und ent­fern­te sich von mir, so­bald es nur ei­ni­ger­ma­ßen mög­lich war. Ich dach­te nicht wei­ter an mei­ne Wor­te. Nur ei­ni­ge Zeit her­nach fie­len sie mir auf, als der Kna­be, an­statt sich noch­mals se­hen zu las­sen, krank ward und zwar sehr ge­fähr­lich. Ob er ge­stor­ben ist, weiß ich nicht zu sa­gen.

      Der­glei­chen Vordeu­tun­gen durch ein un­zei­tig, ja un­schick­lich aus­ge­sproch­nes Wort stan­den bei den Al­ten schon in An­se­hen, und es bleibt höchst merk­wür­dig, dass die For­men des Glau­bens und Aber­glau­bens bei al­len Völ­kern und zu al­len Zei­ten im­mer die­sel­ben ge­blie­ben sind.

      Nun fehl­te es von dem ers­ten Tage der Be­sitz­neh­mung un­se­rer Stadt, zu­mal Kin­dern und jun­gen Leu­ten, nicht an im­mer­wäh­ren­der Zer­streu­ung. Thea­ter und Bäl­le, Pa­ra­den und Durch­mär­sche zo­gen un­se­re Auf­merk­sam­keit hin und her. Die letz­tern be­son­ders nah­men im­mer zu, und das Sol­da­ten­le­ben schi­en uns ganz lus­tig und ver­gnüg­lich.

      Der Auf­ent­halt des Kö­nigs­leut­nants in un­serm Hau­se ver­schaff­te uns den Vor­teil, alle be­deu­ten­den Per­so­nen der fran­zö­si­schen Ar­mee nach und nach zu se­hen und be­son­ders die Ers­ten, de­ren Name schon durch den Ruf zu uns ge­kom­men war, in der Nähe zu be­trach­ten. So sa­hen wir von Trep­pen und Po­des­ten, gleich­sam wie von Ga­le­ri­en, sehr be­quem die Ge­ne­ra­li­tät bei uns vor­über­gehn. Vor al­len er­in­ne­re ich mich des Prin­zen Sou­bi­se als ei­nes schö­nen, leut­se­li­gen Herrn; am deut­lichs­ten aber des Mar­schalls von Bro­glio als ei­nes jün­gern, nicht großen, aber wohl­ge­bau­ten, leb­haf­ten, geist­reich um sich bli­cken­den, be­hän­den Man­nes.

      Er kam mehr­mals zum Kö­nigs­leut­nant, und man merk­te wohl, dass von wich­ti­gen Din­gen die Rede war. Wir hat­ten uns im ers­ten Vier­tel­jahr der Ein­quar­tie­rung kaum in die­sen neu­en Zu­stand ge­fun­den, als schon die Nach­richt sich dun­kel ver­brei­te­te: die Al­lier­ten sei­en im An­marsch, und Her­zog Fer­di­nand von Braun­schweig kom­me, die Fran­zo­sen vom Main zu ver­trei­ben. Man hat­te von die­sen, die sich kei­nes be­son­dern Kriegs­glückes rüh­men konn­ten, nicht die größ­te Vor­stel­lung, und seit der Schlacht von Ross­bach glaub­te man sie ver­ach­ten zu dür­fen; auf den Her­zog Fer­di­nand setz­te man das größ­te Ver­trau­en, und alle preu­ßisch Ge­sinn­ten er­war­te­ten mit Sehn­sucht ihre Be­frei­ung von der bis­he­ri­gen Last. Mein Va­ter war et­was hei­te­rer, mei­ne Mut­ter СКАЧАТЬ