Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ zu ha­ben. Ihm fehl­te kei­ne der Ei­gen­schaf­ten, die zu ei­nem recht­li­chen und an­ge­seh­nen Bür­ger ge­hö­ren. Auch brach­te er, nach­dem er sein Haus er­baut, sei­ne Be­sit­zun­gen von je­der Art in Ord­nung. Eine vor­treff­li­che Land­kar­ten­samm­lung der Schen­ki­schen und an­de­rer da­mals vor­züg­li­cher geo­gra­fi­schen Blät­ter, jene ober­wähn­ten Ver­ord­nun­gen und Man­da­te, jene Bild­nis­se, ein Schrank al­ter Ge­weh­re, ein Schrank merk­wür­di­ger ve­ne­zia­ni­scher Glä­ser, Be­cher und Po­ka­le, Na­tu­ra­li­en, El­fen­bein­ar­bei­ten, Bron­zen und hun­dert an­de­re Din­ge wur­den ge­son­dert und auf­ge­stellt, und ich ver­fehl­te nicht, bei vor­fal­len­den Auk­tio­nen mir je­der­zeit ei­ni­ge Auf­trä­ge zu Ver­meh­rung des Vor­han­de­nen zu er­bit­ten.

      Noch ei­ner be­deu­ten­den Fa­mi­lie muss ich ge­den­ken, von der ich seit mei­ner frühs­ten Ju­gend viel Son­der­ba­res ver­nahm und von ei­ni­gen ih­rer Glie­der selbst noch man­ches Wun­der­ba­re er­leb­te; es war die Sen­cken­ber­gi­sche. Der Va­ter, von dem ich we­nig zu sa­gen weiß, war ein wohl­ha­ben­der Mann. Er hat­te drei Söh­ne, die sich in ih­rer Ju­gend schon durch­gän­gig als Son­der­lin­ge aus­zeich­ne­ten. Der­glei­chen wird in ei­ner be­schränk­ten Stadt, wo sich nie­mand we­der im Gu­ten noch im Bö­sen her­vor­tun soll, nicht zum Bes­ten auf­ge­nom­men. Spott­na­men und selt­sa­me, sich lang’ im Ge­dächt­nis er­hal­ten­de Mär­chen sind meis­tens die Frucht ei­ner sol­chen Son­der­bar­keit. Der Va­ter wohn­te an der Ecke der Ha­sen­gas­se, die von dem Zei­chen des Hau­ses, das einen, wo nicht gar drei Ha­sen vor­stellt, den Na­men führ­te. Man nann­te da­her die­se drei Brü­der nur die drei Ha­sen, wel­chen Spitz­na­men sie lan­ge Zeit nicht los­wur­den. Al­lein, wie große Vor­zü­ge sich oft in der Ju­gend durch et­was Wun­der­li­ches und An­schick­li­ches an­kün­di­gen, so ge­sch­ah es auch hier. Der äl­tes­te war der nach­her so rühm­lich be­kann­te Reichs­ho­frat von Sen­cken­berg. Der zwei­te ward in den Ma­gis­trat auf­ge­nom­men und zeig­te vor­züg­li­che Ta­len­te, die er aber auf eine ra­bu­lis­ti­sche, ja ver­ruch­te Wei­se, wo nicht zum Scha­den sei­ner Va­ter­stadt, doch we­nigs­tens sei­ner Kol­le­gen in der Fol­ge miss­brauch­te. Der drit­te Bru­der, ein Arzt und ein Mann von großer Recht­schaf­fen­heit, der aber we­nig und nur in vor­neh­men Häu­sern prak­ti­zier­te, be­hielt bis in sein höchs­tes Al­ter im­mer ein et­was wun­der­li­ches Äu­ße­re. Er war im­mer sehr nett ge­klei­det, und man sah ihn nie an­ders auf der Stra­ße als in Schuh und St­rümp­fen und ei­ner wohl­ge­pu­der­ten Lo­cken­pe­rücke, den Hut un­term Arm. Er ging schnell, doch mit ei­nem selt­sa­men Schwan­ken vor sich hin, so­dass er bald auf die­ser, bald auf je­ner Sei­te der Stra­ße sich be­fand und im Ge­hen ein Zick­zack bil­de­te. Spott­vö­gel sag­ten: er su­che durch die­sen ab­wei­chen­den Schritt den ab­ge­schie­de­nen See­len aus dem Wege zu ge­hen, die ihn in gra­der Li­nie wohl ver­fol­gen möch­ten, und ahme die­je­ni­gen nach, die sich vor ei­nem Kro­ko­dil fürch­ten. Doch al­ler die­ser Scherz und man­che lus­ti­ge Nach­re­de ver­wan­del­te sich zu­letzt in Ehr­furcht ge­gen ihn, als er sei­ne an­sehn­li­che Woh­nung mit Hof, Gar­ten und al­lem Zu­be­hör, auf der Eschen­hei­mer­gas­se, zu ei­ner me­di­zi­ni­schen Stif­tung wid­me­te, wo ne­ben der An­la­ge ei­nes bloß für Frank­fur­ter Bür­ger be­stimm­ten Ho­spi­tals ein bo­ta­ni­scher Gar­ten, ein ana­to­mi­sches Thea­ter, ein che­mi­sches La­bo­ra­to­ri­um, eine an­sehn­li­che Biblio­thek und eine Woh­nung für den Di­rek­tor ein­ge­rich­tet ward, auf eine Wei­se, de­ren kei­ne Aka­de­mie sich hät­te schä­men dür­fen.

      Ein an­de­rer vor­züg­li­cher Mann, des­sen Per­sön­lich­keit nicht so­wohl als sei­ne Wir­kung in der Nach­bar­schaft und sei­ne Schrif­ten einen sehr be­deu­ten­den Ein­fluss auf mich ge­habt ha­ben, war Karl Fried­rich von Mo­ser, der sei­ner Ge­schäftstä­tig­keit we­gen in un­se­rer Ge­gend im­mer ge­nannt wur­de. Auch er hat­te einen gründ­lich-sitt­li­chen Cha­rak­ter, der, weil die Ge­bre­chen der mensch­li­chen Na­tur ihm wohl manch­mal zu schaf­fen mach­ten, ihn so­gar zu den so­ge­nann­ten From­men hin­zog; und so woll­te er, wie von Loen das Hofle­ben, eben so das Ge­schäfts­le­ben ei­ner ge­wis­sen­haf­te­ren Be­hand­lung ent­ge­gen­füh­ren. Die große An­zahl der klei­nen deut­schen Höfe stell­te eine Men­ge von Her­ren und Die­nern dar, wo­von die ers­ten un­be­ding­ten Ge­hor­sam ver­lang­ten und die an­de­ren meis­ten­teils nur nach ih­ren Über­zeu­gun­gen wir­ken und die­nen woll­ten. Es ent­stand da­her ein ewi­ger Kon­flikt und schnel­le Ver­än­de­run­gen und Ex­plo­sio­nen, weil die Wir­kun­gen des un­be­ding­ten Han­delns im klei­nen viel ge­schwin­der merk­lich und schäd­lich wer­den als im großen. Vie­le Häu­ser wa­ren ver­schul­det, und kai­ser­li­che De­bit­kom­mis­sio­nen er­nannt; an­de­re fan­den sich lang­sa­mer oder ge­schwin­der auf dem­sel­ben Wege, wo­bei die Die­ner ent­we­der ge­wis­sen­los Vor­teil zo­gen, oder ge­wis­sen­haft sich un­an­ge­nehm und ver­hasst mach­ten. Mo­ser woll­te als Staats- und Ge­schäfts­mann wir­ken, und hier gab sein er­erb­tes, bis zum Me­tier aus­ge­bil­de­tes Ta­lent ihm eine ent­schie­de­ne Aus­beu­te; aber er woll­te auch zu­gleich als Mensch und Bür­ger han­deln und sei­ner sitt­li­chen Wür­de so we­nig als mög­lich ver­ge­ben. Sein »Herr und Die­ner«, sein »Da­niel in der Lö­wen­gru­be«, sei­ne »Re­li­qui­en« schil­dern durch­aus die Lage, in wel­cher er sich zwar nicht ge­fol­tert, aber doch im­mer ge­klemmt fühl­te. Sie deu­ten sämt­lich auf eine Un­ge­duld in ei­nem Zu­stand, mit des­sen Ver­hält­nis­sen man sich nicht ver­söh­nen und den man doch nicht los­wer­den kann. Bei die­ser Art, zu den­ken und zu emp­fin­den, muss­te er frei­lich mehr­mals an­de­re Diens­te su­chen, an wel­chen es ihm sei­ne große Ge­wandt­heit nicht feh­len ließ. Ich er­in­ne­re mich sei­ner als ei­nes an­ge­neh­men, be­weg­li­chen und da­bei zar­ten Man­nes.

      Aus der Fer­ne mach­te je­doch der Name Klop­stock auch schon auf uns eine große Wir­kung. Im An­fang wun­der­te man sich, wie ein so vor­treff­li­cher Mann so wun­der­lich hei­ßen kön­ne; doch ge­wöhn­te man sich bald dar­an und dach­te nicht mehr an die Be­deu­tung die­ser Sil­ben. In mei­nes Va­ters Biblio­thek hat­te ich bis­her nur die frü­he­ren, be­son­ders die zu sei­ner Zeit nach und nach her­auf­ge­kom­me­nen und ge­rühm­ten Dich­ter ge­fun­den. Alle die­se hat­ten ge­reimt, und mein Va­ter hielt den Reim für poe­ti­sche Wer­ke un­er­läss­lich. Ca­nitz, Ha­ge­dorn, Drol­lin­ger, Gel­lert, Creuz, Hal­ler stan­den in schö­nen Franz­bän­den in ei­ner Rei­he. An die­se schlos­sen sich Neu­kirchs »Te­le­mach«, Kop­pens »be­frei­tes Je­ru­sa­lem« und an­de­re Über­set­zun­gen. Ich hat­te die­se sämt­li­chen Bän­de von Kind­heit auf flei­ßig durch­ge­le­sen und teil­wei­se me­mo­riert, wes­halb ich denn zur Un­ter­hal­tung der Ge­sell­schaft öf­ters auf­ge­ru­fen wur­de. Eine ver­drieß­li­che Epo­che im Ge­gen­teil er­öff­ne­te sich für mei­nen Va­ter, als durch Klop­stocks »Mes­si­as« Ver­se, die ihm kei­ne Ver­se schie­nen, ein Ge­gen­stand der öf­fent­li­chen Be­wun­de­rung wur­den. Er selbst hat­te sich wohl ge­hü­tet, die­ses Werk an­zu­schaf­fen; aber un­ser Haus­freund, Rat Schnei­der, schwärz­te es ein und steck­te es der Mut­ter und den Kin­dern zu.

      Auf die­sen ge­schäftstä­ti­gen Mann, wel­cher we­nig las, hat­te der »Mes­si­as« gleich bei sei­ner Er­schei­nung einen mäch­ti­gen Ein­druck ge­macht. Die­se so na­tür­lich aus­ge­drück­ten und doch so schön ver­edel­ten from­men СКАЧАТЬ