Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ hin­weg­gin­gen und ich mit drei Miss­wol­len­den al­lein blieb, so dach­ten die­se mich zu quä­len, zu be­schä­men und zu ver­trei­ben. Sie hat­ten mich einen Au­gen­blick im Zim­mer ver­las­sen und ka­men mit Ru­ten zu­rück, die sie sich aus ei­nem ge­schwind zer­schnit­te­nen Be­sen ver­schafft hat­ten. Ich merk­te ihre Ab­sicht, und weil ich das Ende der Stun­de nahe glaub­te, so setz­te ich aus dem Steg­rei­fe bei mir fest, mich bis zum Glo­cken­schla­ge nicht zu weh­ren. Sie fin­gen dar­auf un­barm­her­zig an, mir die Bei­ne und Wa­den auf das grau­sams­te zu peit­schen. Ich rühr­te mich nicht, fühl­te aber bald, dass ich mich ver­rech­net hat­te und dass ein sol­cher Schmerz die Mi­nu­ten sehr ver­län­gert. Mit der Dul­dung wuchs mei­ne Wut, und mit dem ers­ten Stun­den­schlag fuhr ich dem einen, der sich’s am we­nigs­ten ver­sah, mit der Hand in die Na­cken­haa­re und stürz­te ihn au­gen­blick­lich zu Bo­den, in­dem ich mit dem Knie sei­nen Rücken drück­te; den an­de­ren, einen jün­ge­ren und schwä­che­ren, der mich von hin­ten an­fiel, zog ich bei dem Kop­fe durch den Arm und er­dros­sel­te ihn fast, in­dem ich ihn an mich press­te. Nun war der letz­te noch üb­rig und nicht der schwächs­te, und mir blieb nur die lin­ke Hand zu mei­ner Ver­tei­di­gung. Al­lein ich er­griff ihn beim Klei­de, und durch eine ge­schick­te Wen­dung von mei­ner Sei­te, durch eine über­eil­te von sei­ner brach­te ich ihn nie­der und stieß ihn mit dem Ge­sicht ge­gen den Bo­den. Sie lie­ßen es nicht an Bei­ßen, Krat­zen und Tre­ten feh­len; aber ich hat­te nur mei­ne Ra­che im Sinn und in den Glie­dern. In dem Vor­teil, in dem ich mich be­fand, stieß ich sie wie­der­holt mit den Köp­fen zu­sam­men. Sie er­hu­ben zu­letzt ein ent­setz­li­ches Ze­ter­ge­schrei, und wir sa­hen uns bald von al­len Haus­ge­nos­sen um­ge­ben. Die um­her­ge­streu­ten Ru­ten und mei­ne Bei­ne, die ich von den St­rümp­fen ent­blö­ßte, zeug­ten bald für mich. Man be­hielt sich die Stra­fe vor und ließ mich aus dem Hau­se; ich er­klär­te aber, dass ich künf­tig bei der ge­rings­ten Be­lei­di­gung ei­nem oder dem an­de­ren die Au­gen aus­krat­zen, die Ohren ab­rei­ßen, wo nicht gar ihn er­dros­seln wür­de.

      Die­ser Vor­fall, ob man ihn gleich, wie es in kin­di­schen Din­gen zu ge­sche­hen pflegt, bald wie­der ver­gaß und so­gar be­lach­te, war je­doch Ur­sa­che, dass die­se ge­mein­sa­men Un­ter­richts­stun­den selt­ner wur­den und zu­letzt ganz auf­hör­ten. Ich war also wie­der wie vor­her mehr ins Haus ge­bannt, wo ich an mei­ner Schwes­ter Cor­ne­lia, die nur ein Jahr we­ni­ger zähl­te als ich, eine an An­nehm­lich­keit im­mer wach­sen­de Ge­sell­schaf­te­rin fand.

      Ich will je­doch die­sen Ge­gen­stand nicht ver­las­sen, ohne noch ei­ni­ge Ge­schich­ten zu er­zäh­len, wie man­cher­lei Un­an­ge­neh­mes mir von mei­nen Ge­spie­len be­geg­net: denn das ist ja eben das Lehr­rei­che sol­cher sitt­li­chen Mit­tei­lun­gen, dass der Mensch er­fah­re, wie es an­de­ren er­gan­gen und was auch er vom Le­ben zu er­war­ten habe, und dass er, es mag sich er­eig­nen was will, be­den­ke, die­ses wi­der­fah­re ihm als Men­schen und nicht als ei­nem be­son­ders Glück­li­chen oder Un­glück­li­chen. Nützt ein sol­ches Wis­sen nicht viel, um die Übel zu ver­mei­den, so ist es doch sehr dien­lich, dass wir uns in die Zu­stän­de fin­den, sie er­tra­gen, ja sie über­win­den ler­nen.

      Noch eine all­ge­mei­ne Be­mer­kung steht hier an der rech­ten Stel­le, dass näm­lich bei dem Em­por­wach­sen der Kin­der aus den ge­sit­te­ten Stän­den ein sehr großer Wi­der­spruch zum Vor­schein kommt, ich mei­ne den, dass sie von El­tern und Leh­rern an­ge­mahnt und an­ge­lei­tet wer­den, sich mä­ßig, ver­stän­dig, ja ver­nünf­tig zu be­tra­gen, nie­man­den aus Mut­wil­len oder Über­mut ein Leids zu­zu­fü­gen und alle ge­häs­si­gen Re­gun­gen, die sich an ih­nen ent­wi­ckeln möch­ten, zu un­ter­drücken; dass nun aber im Ge­gen­teil, wäh­rend die jun­gen Ge­schöp­fe mit ei­ner sol­chen Übung be­schäf­tigt sind, sie von an­de­ren das zu lei­den ha­ben, was an ih­nen ge­schol­ten wird und höch­lich ver­pönt ist. Da­durch kom­men die ar­men We­sen zwi­schen dem Na­tur­zu­stan­de und dem der Zi­vi­li­sa­ti­on gar er­bärm­lich in die Klem­me und wer­den, je nach­dem die Cha­rak­tere sind, ent­we­der tückisch, oder ge­walt­sam auf­brau­send, wenn sie eine Zeit lang an sich ge­hal­ten ha­ben.

      Ge­walt ist eher mit Ge­walt zu ver­trei­ben; aber ein gut­ge­sinn­tes, zur Lie­be und Teil­nah­me ge­neig­tes Kind weiß dem Hohn und dem bö­sen Wil­len we­nig ent­ge­gen­zu­set­zen. Wenn ich die Tät­lich­kei­ten mei­ner Ge­sel­len so ziem­lich ab­zu­hal­ten wuss­te, so war ich doch kei­nes­wegs ih­ren Sti­che­lei­en und Miss­re­den ge­wach­sen, weil in sol­chen Fäl­len der­je­ni­ge, der sich ver­tei­digt, im­mer ver­lie­ren muss. Es wur­den also auch An­grif­fe die­ser Art, in­so­fern sie zum Zorn reiz­ten, mit phy­si­schen Kräf­ten zu­rück­ge­wie­sen, oder sie reg­ten wun­der­sa­me Be­trach­tun­gen in mir auf, die denn nicht ohne Fol­gen blei­ben konn­ten. Un­ter an­de­ren Vor­zü­gen miss­gönn­ten mir die Übel­wol­len­den auch, dass ich mir in ei­nem Ver­hält­nis ge­fiel, wel­ches aus dem Schult­hei­ßen­amt mei­nes Groß­va­ters für die Fa­mi­lie ent­sprang: denn in­dem er als der ers­te un­ter sei­nes­glei­chen da­stand, hat­te die­ses doch auch auf die Sei­ni­gen nicht ge­rin­gen Ein­fluss. Und als ich mir ein­mal nach ge­hal­te­nem Pfei­fer­ge­rich­te et­was dar­auf ein­zu­bil­den schi­en, mei­nen Groß­va­ter in der Mit­te des Schöf­fen­rats, eine Stu­fe hö­her als die an­de­ren, un­ter dem Bil­de des Kai­sers gleich­sam thro­nend ge­se­hen zu ha­ben, so sag­te ei­ner der Kna­ben höh­nisch: ich soll­te doch, wie der Pfau auf sei­ne Füße, so auf mei­nen Groß­va­ter vä­ter­li­cher Sei­te hin­se­hen, wel­cher Gast­ge­ber zum Wei­den­hof ge­we­sen und wohl an die Thro­nen und Kro­nen kei­nen An­spruch ge­macht hät­te. Ich er­wi­der­te dar­auf, dass ich da­von kei­nes­wegs be­schämt sei, weil ge­ra­de dar­in das Herr­li­che und Er­he­ben­de un­se­rer Va­ter­stadt be­ste­he, dass alle Bür­ger sich ein­an­der gleich hal­ten dürf­ten und dass ei­nem je­den sei­ne Tä­tig­keit nach sei­ner Art för­der­lich und eh­ren­voll sein kön­ne. Es sei mir nur leid, dass der gute Mann schon so lan­ge ge­stor­ben: denn ich habe mich auch ihn per­sön­lich zu ken­nen öf­ters ge­sehnt, sein Bild­nis viel­mals be­trach­tet, ja sein Grab be­sucht und mich we­nigs­tens bei der In­schrift an dem ein­fa­chen Denk­mal sei­nes vor­über­ge­gan­ge­nen Da­seins ge­freut, dem ich das mei­ne schul­dig ge­wor­den. Ein an­de­rer Miss­wol­len­der, der tückischs­te von al­len, nahm je­nen ers­ten bei­sei­te und flüs­ter­te ihm et­was in die Ohren, wo­bei sie mich im­mer spöt­tisch an­sa­hen. Schon fing die Gal­le mir an zu ko­chen, und ich for­der­te sie auf, laut zu re­den. »Nun, was ist es denn wei­ter«, sag­te der ers­te, »wenn du es wis­sen willst: die­ser da meint, du könn­test lan­ge her­um­ge­hen und su­chen, bis du dei­nen Groß­va­ter fän­dest.« Ich droh­te nun noch hef­ti­ger, wenn sie sich nicht deut­li­cher er­klä­ren wür­den. Sie brach­ten dar­auf ein Mär­chen vor, das sie ih­ren El­tern woll­ten ab­ge­lauscht ha­ben: mein Va­ter sei der Sohn ei­nes vor­neh­men Man­nes, und je­ner gute Bür­ger habe sich wil­lig fin­den las­sen, äu­ßer­lich Va­ter­stel­le zu ver­tre­ten, die hat­ten die Un­ver­schämt­heit, al­ler­lei Ar­gu­men­te vor­zu­brin­gen, z. B. dass un­ser Ver­mö­gen bloß von der Groß­mut­ter her­rüh­re, dass die üb­ri­gen Sei­ten­ver­wand­ten, die sich in Fried­berg oder sonst auf­hiel­ten, gleich­falls ohne Ver­mö­gen sei­en, und was noch an­de­re sol­che Grün­de wa­ren, die ihr Ge­wicht bloß von der Bos­heit her­neh­men konn­ten. Ich hör­te ih­nen ru­hi­ger zu, als sie er­war­te­ten, denn sie stan­den schon auf dem СКАЧАТЬ