Название: Dichtung und Wahrheit
Автор: Johann Wolfgang von Goethe
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818869
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Dieser Vorfall, ob man ihn gleich, wie es in kindischen Dingen zu geschehen pflegt, bald wieder vergaß und sogar belachte, war jedoch Ursache, dass diese gemeinsamen Unterrichtsstunden seltner wurden und zuletzt ganz aufhörten. Ich war also wieder wie vorher mehr ins Haus gebannt, wo ich an meiner Schwester Cornelia, die nur ein Jahr weniger zählte als ich, eine an Annehmlichkeit immer wachsende Gesellschafterin fand.
Ich will jedoch diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne noch einige Geschichten zu erzählen, wie mancherlei Unangenehmes mir von meinen Gespielen begegnet: denn das ist ja eben das Lehrreiche solcher sittlichen Mitteilungen, dass der Mensch erfahre, wie es anderen ergangen und was auch er vom Leben zu erwarten habe, und dass er, es mag sich ereignen was will, bedenke, dieses widerfahre ihm als Menschen und nicht als einem besonders Glücklichen oder Unglücklichen. Nützt ein solches Wissen nicht viel, um die Übel zu vermeiden, so ist es doch sehr dienlich, dass wir uns in die Zustände finden, sie ertragen, ja sie überwinden lernen.
Noch eine allgemeine Bemerkung steht hier an der rechten Stelle, dass nämlich bei dem Emporwachsen der Kinder aus den gesitteten Ständen ein sehr großer Widerspruch zum Vorschein kommt, ich meine den, dass sie von Eltern und Lehrern angemahnt und angeleitet werden, sich mäßig, verständig, ja vernünftig zu betragen, niemanden aus Mutwillen oder Übermut ein Leids zuzufügen und alle gehässigen Regungen, die sich an ihnen entwickeln möchten, zu unterdrücken; dass nun aber im Gegenteil, während die jungen Geschöpfe mit einer solchen Übung beschäftigt sind, sie von anderen das zu leiden haben, was an ihnen gescholten wird und höchlich verpönt ist. Dadurch kommen die armen Wesen zwischen dem Naturzustande und dem der Zivilisation gar erbärmlich in die Klemme und werden, je nachdem die Charaktere sind, entweder tückisch, oder gewaltsam aufbrausend, wenn sie eine Zeit lang an sich gehalten haben.
Gewalt ist eher mit Gewalt zu vertreiben; aber ein gutgesinntes, zur Liebe und Teilnahme geneigtes Kind weiß dem Hohn und dem bösen Willen wenig entgegenzusetzen. Wenn ich die Tätlichkeiten meiner Gesellen so ziemlich abzuhalten wusste, so war ich doch keineswegs ihren Sticheleien und Missreden gewachsen, weil in solchen Fällen derjenige, der sich verteidigt, immer verlieren muss. Es wurden also auch Angriffe dieser Art, insofern sie zum Zorn reizten, mit physischen Kräften zurückgewiesen, oder sie regten wundersame Betrachtungen in mir auf, die denn nicht ohne Folgen bleiben konnten. Unter anderen Vorzügen missgönnten mir die Übelwollenden auch, dass ich mir in einem Verhältnis gefiel, welches aus dem Schultheißenamt meines Großvaters für die Familie entsprang: denn indem er als der erste unter seinesgleichen dastand, hatte dieses doch auch auf die Seinigen nicht geringen Einfluss. Und als ich mir einmal nach gehaltenem Pfeifergerichte etwas darauf einzubilden schien, meinen Großvater in der Mitte des Schöffenrats, eine Stufe höher als die anderen, unter dem Bilde des Kaisers gleichsam thronend gesehen zu haben, so sagte einer der Knaben höhnisch: ich sollte doch, wie der Pfau auf seine Füße, so auf meinen Großvater väterlicher Seite hinsehen, welcher Gastgeber zum Weidenhof gewesen und wohl an die Thronen und Kronen keinen Anspruch gemacht hätte. Ich erwiderte darauf, dass ich davon keineswegs beschämt sei, weil gerade darin das Herrliche und Erhebende unserer Vaterstadt bestehe, dass alle Bürger sich einander gleich halten dürften und dass einem jeden seine Tätigkeit nach seiner Art förderlich und ehrenvoll sein könne. Es sei mir nur leid, dass der gute Mann schon so lange gestorben: denn ich habe mich auch ihn persönlich zu kennen öfters gesehnt, sein Bildnis vielmals betrachtet, ja sein Grab besucht und mich wenigstens bei der Inschrift an dem einfachen Denkmal seines vorübergegangenen Daseins gefreut, dem ich das meine schuldig geworden. Ein anderer Misswollender, der tückischste von allen, nahm jenen ersten beiseite und flüsterte ihm etwas in die Ohren, wobei sie mich immer spöttisch ansahen. Schon fing die Galle mir an zu kochen, und ich forderte sie auf, laut zu reden. »Nun, was ist es denn weiter«, sagte der erste, »wenn du es wissen willst: dieser da meint, du könntest lange herumgehen und suchen, bis du deinen Großvater fändest.« Ich drohte nun noch heftiger, wenn sie sich nicht deutlicher erklären würden. Sie brachten darauf ein Märchen vor, das sie ihren Eltern wollten abgelauscht haben: mein Vater sei der Sohn eines vornehmen Mannes, und jener gute Bürger habe sich willig finden lassen, äußerlich Vaterstelle zu vertreten, die hatten die Unverschämtheit, allerlei Argumente vorzubringen, z. B. dass unser Vermögen bloß von der Großmutter herrühre, dass die übrigen Seitenverwandten, die sich in Friedberg oder sonst aufhielten, gleichfalls ohne Vermögen seien, und was noch andere solche Gründe waren, die ihr Gewicht bloß von der Bosheit hernehmen konnten. Ich hörte ihnen ruhiger zu, als sie erwarteten, denn sie standen schon auf dem СКАЧАТЬ