Название: Superhelden
Автор: Grant Morrison
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783854454199
isbn:
Als Marston 1947 dem Krebs erlag, kam dem Wonder-Woman-Comic seine erotische Spannung abhanden, worauf die Verkäufe zurückgingen und sich der Absatz nie mehr erholte. Ohne die Originalität und die Energie, die Marstons Obsessionen beisteuerten, war Wonder Woman wie eine exotische Blüte, der man ebenso essenzielle wie rare Nährstoffe entzogen hatte. Die einst so frivolen Untertöne wurden getilgt, das Profil der Figur verflachte. Die Paradiesinsel wurde saubergefegt und ungebührliches Verhalten nicht toleriert, somit endeten alle Mädchenjagd-Rituale, was auch die Bindung des Lesers an Wonder Woman beendete. Es sollte gar nicht lange dauern, bis Wonder Woman wie eine alte Jungfer rüberkam – eine verstörende Mischung aus Mary Tyler Moore in einem Werbespot für Küchengeräte und der Heiligen Muttergottes. Aber Elizabeth und ihre Liebhaberin Olive, die Pioniere einer freien Sexualität, die sie ursprünglich inspiriert hatten, setzten ihre Beziehung fort und lebten weiter zusammen. Die unkonventionelle und freiheitsliebende Elizabeth war 100, als sie 1993 verstarb. Sie ist die wahre Wonder Woman dieser Geschichte.
Die Welt stand kurz davor, im Krieg zu versinken, und die Menschen konnten gar nicht genug von den Superhelden bekommen. Superhelden erschlossen sich jegliche nur denkbare inhaltliche Nische, und es fanden sich genügend Verleger, die die bunten Fantasien für Kinder, Soldaten und Science-Fiction-Fans bereitstellten. Wenn ein Verlag kurzzeitig Erfolg mit einem Helden, der Vogelschwingen hatte, verbuchen konnte, würde ein anderer Verlag sein Glück unvermeidbar mit einem Helden, der einen Schwanz hinter sich herschleppte, versuchen. Es gab Superhelden-Cowboys (Vigilante), -Ritter (Shining Knight), -Cops (Guardian), und dann gab es auch noch Gay Ghost, einen Kavalier aus dem 16. Jahrhundert. Was mit ein, zwei Superhelden, die die Möglichkeiten des Markts testen sollten, anfing, lief immer mehr aus dem Ruder, bis es zu viele Helden gab, um sie zu zählen. Aus dieser grandiosen Vermehrung ging eine Unzahl von außergewöhnlichen, archetypischen und oft auch ziemlich verwirrenden Superhelden und -heldinnen hervor. Der Wettlauf um die Erschaffung neuer Superhelden mit frischen Gimmicks erreichte einen spektakulären Höhepunkt, als Red Bee, das Alter Ego eines gewissen Rick Raleigh, die Bühne betrat. Rick trug ein Kostüm, das in der Realität wohl zu seiner sofortigen Verhaftung geführt hätte, wenn er es woanders als dem Studio 54 im Jahre 1978 getragen hätte. Aber wohingegen Green Lantern in der Lage war, sich mittels seines magischen Ringes zu schützen, hatte sich Red Bee für eine sehr spezielle Waffe entschieden.
Raleigh hatte zum einen seine eigene „Stechpistole“ erfunden, die K.O.-Pfeile verschoss. Er hätte diese Waffe einfach mit Pfeilen laden können und so einen akzeptablen Superhelden des Goldenen Zeitalters der Comics abgeben können, doch nicht so Rick Raleigh: Er hielt einen ganzen Bienenstock in seiner Gürtelschnalle – einem Reservoir, das normalerweise nicht mehr als eine halbe Packung Zigaretten beherbergen hätte können –, bis das Verbrechen sein hässliches Haupt erhob. Der Vorname des Bienenanführers – immer darauf erpicht im Namen der guten Sache freigelassen zu werden – war Michael. Jedoch, wie auch der Ersteller des Wikipedia-Artikels zu Red Bee feststellt, können männliche Bienen nicht stechen, was Michaels Effektivität im Kampf gegen bewaffnete Verbrecher, wie etwa Macheten schwingende Triadenkiller, doch sehr in Frage stellte.
Falls dies lächerlich erscheinen sollte, dann deshalb, weil es das auch ist. Aber noch etwas ging hier vor sich: eine radikale Mystifizierung des Alltäglichen. Als die Erfinder der Superhelden ihre Netze auf der Suche nach frischen und originellen Gimmicks immer weiter auswarfen, mussten sie auch immer mehr kindlichen Feenstaub auf die Welt der gewöhnlichen Dinge streuen. Langweilige Turngeräte etwa konnten in den Händen des Schurken, der sich Sportsmaster nannte, zum tödlichen Arsenal mutieren. Eine Lampe konnte ein mystisches Artefakt sein, das immense Kräfte verlieh. In der Welt der Superhelden hatte alles einen Wert und ein geheimnisvolles Potenzial. Jede Person, jeder Gegenstand konnte im Kampf gegen die Dunkelheit und das Böse eine wichtige Rolle spielen. Sogar eine kleine Biene namens Michael – benannt nach dem Racheengel – konnte sich todesmutig in die Schlacht gegen das Verderben werfen.
Es gab einen Superhelden oder Superschurken aus jedem Beruf, jeder sozialen Klasse, jedem Bereich des Lebens. Ihr braucht einen Superhelden-Anwalt? Meldet Euch beim Indianer Jeff Dixon alias Bronze Terror. Leutnant zur See Peter Noble sicherte die Weltmeere als The Fin („Die Flosse“). Ted Knight – der Starman – war Astronom. Duke O’Dowd, ein Taxifahrer, war Human Meteor. Der ansonsten blinde Doktor Charles McNider, dessen spezielle Kraft darin bestand, im Dunkeln besonders gut sehen zu können, nahm an, dass niemand eine Verbindung zwischen dem gutaussehenden, 1 Meter 90 großen Arzt Dr. McNider und dem gutaussehenden, 1 Meter 90 großen Doctor Mid-Nite herstellen würde. Dinah Drake, die Black Canary war, betrieb, wenn sie nicht gerade auf ihrem Motorrad das urbane Verbrechertum bekämpfte, einen Blumenladen.
Diese Phase kam der Explosion eines Regenbogens gleich und repräsentierte die große Artenvielfalt, die dem bevorstehenden Untergang voranging.
Wie Jazz und Rock’n’Roll ist der Superheld eine uramerikanische Erfindung. Diese Glorifizierung der Stärke, Gesundheit und der einfachen Moral scheint der unkomplizierten Mentalität des Mittleren Westens zu entsprechen und zu entspringen. Doch Superhelden waren in hohem Maße anpassungsfähig, und je mehr sie sich vermehrten, desto mehr passten sie sich ihrer Umgebung an.
Einer der ersten britischen Superhelden war Amazing Mr. X, ein Superman-Verschnitt. Mit schwarzem Umhang und Kapuze, in schwarzen Strumpfhosen und einer weißen Weste, auf der ein rotes X zu lesen war, unterschied sich dieser erbärmliche Abklatsch nur durch seinen Mangel an Professionalität von Superman. X hieß eigentlich Len Manners, dessen Kräfte einzig das Resultat harten Trainings waren. Er sah aus wie ein Mann, der versuchte, einer Beschreibung Supermans gerecht zu werden, die ihm ein anderer Mann, der unter Alzheimer im Frühstadium litt, zukommen hatte lassen. Das Design war schlicht und grafisch, aber seinem Charakter haftete – wie beinahe allen britischen Superhelden – der modrige Geruch eines Flohmarktes an. Er hinterließ den verdorbenen Beigeschmack von Rationierung und Auszehrung – gekleidet in ein Kostüm, das sich auch aus kuriosen Kleidungsstücken von der Heilsarmee hätte zusammenstellen lassen.
Dann gab es noch Ace Hart, Atomic Man, Captain Magnet und den fragwürdigen Electroman, der eigentlich der Erzkriminelle Dan Watkins war, der, als seine geplante Exekution fehlschlug, mit den Kräften des elektrischen Stuhls ausgestattet wurde – was zu einem Sinneswandel und dem Entschluss führte, von nun an das Böse zu bekämpfen, wo immer es ihm über den Weg laufen sollte. Wie ihre amerikanischen Cousins kleideten sich die britischen Helden in enganliegende Kampfpyjamas, aber irgendwie sahen sie an ihnen schmuddelig und faltig aus. Die Strongmen of Blighty erhofften sich gar eine Stärkung ihrer teigigen und wenig beeindruckenden Muskeln durch eine Diät, bestehend aus Porridge und Corned Beef.
Auch anderswo kam es zu Mutationen. In Japan gab es etwa Astro Boy (1951) und seine seltsamen Gesten und Stakkato-Schreie. Er war ein Roboter-Junge, ein Techno-Pinocchio, dessen Story zuletzt in einer aktualisierten und den Regeln der realen Welt unterworfenen Version von Naoki Urasawa im Film Pluto (2007) erzählt wurde. Gigantor (1964) entsprach meinem Kindheitstraum, eine Fernbedienung für einen neun Meter großen mechanischen Mann zu besitzen. Ich stellte mir vor, auf seinem Rücken zu sitzen und ihn mittels der Fernsteuerung die Wände meiner Schule pulverisieren zu lassen. Später kam noch Marine Boy (1967) hinzu, der „Oxygum“ kaute, um unter Wasser atmen zu können. Der japanische Superman hieß Ultraman – ein gesichtsloser Roboter mit der Seele eines Helden.
Frankreich СКАЧАТЬ