Название: Superhelden
Автор: Grant Morrison
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783854454199
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Die Comics der Fünfziger wurden immer düsterer und morbider. Die Geschichte von EC Comics, die ihre Superhelden-Titel einstellten und stattdessen eine Welle der moralischen Panik über das ganze Land hereinbrechen ließen, ist faszinierend und woanders auch schon eingehend behandelt worden – The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How it Changed America von David Hajdu beinhaltet eine 15 Seiten lange Auflistung von Zeichnern und Schreibern, darunter viele junge und vielversprechende Talente, die nach den Comic-Säuberungen der Fünfziger nie wieder einen entsprechenden Job bekommen sollten. Aber dieses Buch handelt von den Superhelden, und für diese waren die Zeiten besonders hart.
Man stelle sich die Reaktion auf einer Dinner-Party vor, wenn Ihr Eure dekorierten Nippel entblößen und Eure Leidenschaft für Hardcore-Kinderpornografie verkünden würdet! So schwer das heute vielleicht vorzustellen ist, 1955 war der emotionale Aufschrei, der zurecht durch Euer maliziöses Geständnis hervorgerufen worden wäre, gegen Künstler, Schreiber und Verleger gerichtet, die im Geschäft mit den Comics tätig waren. Comics und ihre Schöpfer wurden als Verführer der Jugend hingestellt, als monströse Artefakte, die junge Gemüter für Verbrechen, Drogensucht und Perversion begeistern wollten.
Im Zentrum dieses Versuchs, eine ganze Kunstform auszuradieren, stand ein älterer Psychiater namens Fredric Wertham, der seinen beträchtlichen Einfluss und seine Expertise nutzte, um sich hinter eine Hetzkampagne gegen Comics zu stellen. Sein Bestseller Seduction of the Innocent (dt.: Verführung der Unschuldigen) unterstellte Comics und ihren Erschaffern, Amerikas Kinder zu verderben.
Jedoch waren es nicht nur die oft geschmacklosen Horrorgeschichten von EC, die Werthams Rage anheizten: Es waren vor allem die unschuldigen, dahinvegetierenden Superhelden, die ihn zum Schäumen brachten. Wie jeder gute Jäger konnte er ihre Schwäche spüren und wusste, dass sich keine eloquente Stimme als Advokat der Comics gegen ihn stellen würde. Wenn ein „Experte“ wie Wertham sie als Pornografie hinstellte, dann waren sie das auch. Da es in diesen Comics nicht viel gab, das anstößig gewesen wäre, musste er tief im Subtext graben, um seinen Angriff, den er mit stumpfsinniger, ignoranter Respektlosigkeit gegenüber der Wahrheit durchführte (die man gerne Amerikas Feinden unterstellte), rechtfertigen zu können.
Zum Beispiel beschrieb er Batmans Wohngemeinschaft mit seinem Mündel Dick Grayson (Robin) und Alfred dem Butler als „Wunschtraum von zwei zusammenlebenden Homosexuellen“. Möglicherweise war es der Wunschtraum zweier Homosexueller, doch nur diese beiden bestimmten Homosexuellen hätten uns darüber aufklären können.
Ja, es ist nur zu einfach, aus der Perspektive eines Erwachsenen in Bruce Wayne homophile Tendenzen zu erkennen. Es wäre auch nicht allzu schwer, alle vertrauten Elemente einer Batman-Story so lange aufzulisten, bis die fetischistischen, homoerotischen Untertöne, die man im zugrunde liegenden Szenario von drei Männern aus drei Generationen, die im Luxus zusammenleben, sich in all ihrer Latex- und Lederpracht herauskristallisieren würden.
Regisseur Joel Schumacher bediente sich in Anspielungen dieser Dynamik in seinem gründlich verrissenen Film Batman & Robin (1997), in dem George Clooney, Chris O’Donnell und Michael Gough die betreffenden Rollen bekleideten. Das satanische und sogar sexuell grenzüberschreitende Appeal, das Batman auf Erwachsene hat, kommt nicht von ungefähr: Batman – reich und ein Vertreter der Unterwelt – bewohnt ein unterirdisches Geheimversteck, kleidet sich in abgefahrenes schwarzes Leder, genießt die Gesellschaft eines kleinen Jungen in Strumpfhosen und hat keine feste Freundin. Vielleicht müsste ja noch die große schwule Batman-Story geschrieben werden, in der er und Robin, eventuell auch Alfred, es wie die Hamster miteinander treiben, nur unterbrochen durch Ausfahrten im Batmobil. Aber trotzdem kann mir Dr. Wertham Glauben schenken, wenn ich behaupte, dass junge Leser in Batman nichts außer Freiheit und Abenteuer sahen. Es ist Wertham, der in die Annalen der Perversion einging, nicht Batman.
Wenig überraschend entlarvte Wertham auch Wonder Woman, und zwar als unverschämte Lesbierin, hinter der eine ganze Insel von perversen, militanten Lesben mit einer Vorliebe für Fesselspiele lauerte. Verwunderlich, dass er keinen Anstoß an den gewagten Schrullen seines Kollegen Marston nahm, aber sich stattdessen in einen gern verwendeten Ausruf von Wonder Woman – „SUFFERING SAPPHO!“ – verbiss, da es zweifellos eine vorhersagbare Assoziationskette im Hirn des Onkel Doktors in Gang gesetzt haben dürfte.
Aber es war Superman – der gutmütige Superman –, der die Inbrunst von Werthams Hass am meisten zu spüren bekam. Er beschrieb ihn als faschistische Ausgeburt, die Kinder dazu bringen sollte, sich unzulänglich zu fühlen und sie so zu Delinquenten machen würde: „Wie sollen sie da ihren hart arbeitenden Müttern, Vätern oder Lehrern, die so gewöhnlich sind und nicht einmal bildlich in der Lage, durch die Luft zu fliegen, Respekt entgegenbringen? Psychologisch betrachtet, untergräbt Superman die Autorität und Würde des normalen Mannes und der alltäglichen Frau gegenüber den Kindern.“
Laut Werthams Diagnose waren Kinder also zu unterentwickelt, um die ausgefallenen Fantasiewelten ihrer Comics von der Realität zu unterscheiden, und dies machte sie verwundbar gegenüber kaum versteckten homosexuellen oder gesellschaftsfeindlichen Inhalten. Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall: Es sind die Erwachsenen, die sich schwertun, Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Ein Kind weiß, dass Krabben am Strand nicht singen wie die Zeichentrick-Krabbe in Die kleine Meerjungfrau. Ein Kind akzeptiert allerhand seltsam aussehende Kreaturen und bizarre Begebenheiten in einer Geschichte, weil ein Kind versteht, dass Geschichten anderen Regeln folgen. Denn genau das ermöglicht, dass so ziemlich alles passieren kann.
Erwachsene hingegen mühen sich entsetzlich, der Fiktion die Regeln des alltäglichen Lebens aufzuzwingen. Erwachsene verlangen Erklärungen für Supermans Flugfähigkeit oder dafür, wie es Batman möglich ist, tagsüber ein Milliarden-Dollar-Imperium zu führen und nachts Verbrechen zu bekämpfen – die Antwort wäre so naheliegend: weil es nicht echt ist.
Werthams Angriffe beförderten die Comics in den Fokus einer landesweiten Hetzkampagne. Gute Amerikaner, die mit den harmlosen Abenteuern Supermans und Batmans aufgewachsen waren, versammelten sich nun, um Superhelden-Comics zu verbrennen (zehn Jahre später sollten ähnlich hirnlose Menschen-Rudel zusammentreffen, um dieses mal Beatles-Platten auf Scheiterhäufen brennen zu sehen).
Die Anhörungen vor dem Kongress im Jahr 1954 beschädigten den Horrorverlag EC Comics nachhaltig. Die verbliebenen Verlage taten sich zusammen und verfassten ein drakonisches Regelwerk, den Comics Code, das kinderfreundlichen Inhalt garantieren sollte. In seiner kleinlichen, maschinellen Durchdringlichkeit, seiner präzisen Formulierung von Ge- und Verboten, war der Comics Code beinahe – um die Sprache dieser Zeit zu gebrauchen – „sowjetisch“ angehaucht. Entstanden unter ähnlichen Umständen, erinnerte der Comics Code auf vielerlei Weise an den Hays Code von 1930, der darauf abgezielt hatte, frivole, heitere Hollywood-Filme in lahme, entsexualisierte Märchen zu verwandeln.
Die Gedanken-Polizei marschierte mit wehenden Fahnen ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein:
Polizisten, Richter, Regierungsbeamte und angesehene Einrichtungen dürfen nie auf respektlose Weise dargestellt werden.
Szenen oder Abbildungen von Gegenständen, die mit Toten, Folter, Vampiren und Vampirismus, Ghuls, Kannibalismus oder Werwölfen assoziiert werden können, sind verboten.
Respekt vor den Eltern, dem moralischen Kodex und ehrenhaftem Verhalten soll gefördert werden.
Und so weiter. Comics, die sich dem Code unterwarfen, wurden mit einer anerkennenden Notiz im rechten oberen Eck gestempelt. Comics, СКАЧАТЬ