Название: Superhelden
Автор: Grant Morrison
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783854454199
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Das Goldene Zeitalter war vorbei. Aber die Welt, welche die Superhelden sterben sehen wollte, benötigte sie eigentlich mehr denn je zuvor. Das Amerika der Fünfziger war ein Land voller nervöser Angstmache und Paranoia, das sich am Abgrund einer thermonuklearen Katastrophe befand. Allein in der Nacht, umgeben von unerwartetem Luxus, waren die Amerikaner ein verängstigtes Volk: Man fürchtete sich vor der Bombe, dem Kommunisten, dem Neger, dem Homo, dem Teenager, den fliegenden Untertassen, der existenziellen Leere. Der Wettlauf um die Vormacht im Weltraum hatte begonnen. Und Kinseys bahnbrechender Report über die sexuellen Gewohnheiten der Amerikaner öffnete eine prall gefüllte Schatztruhe, die das zugeknöpfte Innenleben der Nation enthielt, und enthüllte eine Welt von polychromatischen und polymorphen Perversitäten, die sich bis dahin hinter der Fassade von Pfeife rauchenden Patriarchen und fürsorglichen Hausfrauen verborgen gehalten hatte.
Und während Amerika seinen Blick nach innen richtete, um Lösungen für seine Probleme zu finden, fand es stattdessen die Dunkelheit, und ein vielköpfiges Unding kam aus dem Keller und blinzelte ins Tageslicht: Anhänger von Überlebenssekten, gespaltene Persönlichkeiten und UFO-Kontaktler wie George Adamski waren alle zum Diskurs zugelassen, und die Leute waren gewillt, ihnen zuzuhören. Die Zen-Gammler und Beatniks schickten sich an, sich zu einer Bewegung zu entwickeln. Der Schwule, der Kriminelle, der Verkommene und der Inspirierte erhoben sich wie Morlocks aus den unterirdischen Nachtclubkellern und verbreiteten ihre Poesie. Die Verbreitung von Marihuana und psychedelischer Substanzen durch den Jazz-Underground und die Kunstschulen sowie die aufkommende Rock’n’Roll-Kultur beschleunigten den Aufstieg dieser Randphänomene. Der Drang, das amerikanische Unterbewusstsein zu kontrollieren und zu zähmen, brachte neue Dinge hervor, die kontrolliert werden mussten, neue und absonderliche Ideen, die es zu verstehen und zu interpretieren galt.
Zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hin beschleunigte sich der Verlauf der Geschichte rapide, und der Strom der Zeit konnte auch nicht mehr gebremst werden. Nichts war mehr so wie einst. Weder der Krieg noch der Frieden – und man selbst auch nicht. Vielleicht hätten nur die Superhelden dieser rasanten Medienwelt einen Sinn verleihen können, aber sie waren verschwunden, verbannt durch ihre angsterfüllte Gegnerschaft.
Bald jedoch sollten sie zurückkehren – schneller, höher und weiter als je zuvor sollten sie fliegen. So schnell, so hoch und so weit sogar, dass man ein komplett neues Zeitalter für sie einrichten musste, um sie zu beherbergen zu können.
1958 verkauften sich Superman-Comics nach wie vor gut, da sie die wilden Stürme der Hexenjagden dadurch überstanden hatten, dass sie sich genau an die Inhalte des Comic Codes hielten sowie die Formel der populären Fernsehserie nachäfften. Nachdem im selben Jahr Mortimer Weisinger ins Büro des Herausgebers eingezogen war, überholte Superman sogar die Titel aus dem Hause Disney, was ihn zur beliebtesten Comic-Figur der Welt machte. Mort Weisinger, den Comic-Autor Roy Thomas als „boshafte Kröte“ beschrieb, hatte als Story Editor für die Serie The Adventures of Superman fungiert, bevor er nach New York zurückkehrte, um den Comics einen neuen Anstrich zu verleihen. Während andere Comics versuchten, ihre Leserschaft um ein älteres Publikum zu erweitern, hatte es Weisinger auf die gigantische Zielgruppe der Kinder, die in den Nachkriegsjahren auf die Welt gekommen waren, abgesehen. Um die cleveren und aktiven Kids der Fünfziger bei der Stange zu halten, tauschten Weisinger und seine Schreiber den alltägliche Realismus der Fernsehserie gegen ein mehr an Science-Fiction orientiertes Spektakel, das sich in Film und Fernsehen nicht nachstellen lassen konnte. Es gab keine andere kreative Form des Ausdrucks, die Männer, die aufeinander mit Planeten schossen, mit einem gewissen Grad an Glaubwürdigkeit abzubilden in der Lage war. Unter Weisinger, einem Fan von Science-Fiction, erreichte Superman neue Kraftebenen, welche vorher bloß von Hindugöttern erreicht wurden.
Sogar die Covers wurden aufregender: Sie wandelten sich zu verlockenden, plakativen Ankündigungen des enthaltenen Inhalts. In den Vierzigern und frühen Fünfzigern bildete ein Cover von Superman üblicherweise den Helden in ikonenhafter Pose ab: Er stemmte ein Auto über den Kopf, schleppte ein Linienschiff ab oder schwenkte das Sternenbanner. Weisinger jedoch bevorzugte sensationelle Szenarien auf dem Cover, mit Sprechblasen und Setups, die sich nur dann gänzlich erschließen ließen, wenn man die Ausgabe auch erwarb, um weiterzulesen. Interessanterweise wurden die Geschichten in ihrer Wirkung aber auch intimer und universeller. Im Einklang mit der psychoanalytischen Welle (und um sich dem Code zu entziehen), entwickelte Weisinger die verblüffende Fähigkeit, jeden noch so schmutzigen Klumpen aus dem kollektiven Unterbewusstsein in eine seltsamerweise unwiderstehliche Geschichte zu verwandeln.
Superman war nun ein erwachsener, reifer Patriarch, gezeichnet in der klaren Linienführung der Fünfziger – und zwar von einem Zeichner mit dem unglücklichen Namen Wayne Boring.
Boring schenkte uns den klassischen Superman. Statisch. Konservativ. Reserviert. Verschwunden war der ruhelose Futurist, der sich gegen das Establishment auflehnte. Borings Zeichnungen teilten sich einige ihrer Eigenschaften mit römischen Fresken. Während Joe Shuster versucht hatte, die Geschwindigkeit der verfliegenden Zeit einzufangen, bremste Boring alles ein, um den einzelnen Moment zum Mythos zu überhöhen. Es entstand ein förmlicher Abstand, ein Bühnenportal, das die Distanz zwischen dem Leser und der Action absichern sollte. Wayne Borings gesamter Kosmos ließ sich auf einen 2 x 2 Zoll großen Raum reduzieren. Seine geschmeidigen, polierten Panelen flossen wie Billardkugeln über ein komprimiertes, flaches Universum, wo der Raum weder unvorstellbar groß noch einschüchternd, dafür aber geschlossen war und vor Farben und Leben nur so überquoll. Während er zuvor die gleiche Flugpose immer und immer wieder einnahm, sprang Borings Version von Superman gemütlich zwischen unglaublichen Distanzen, die sich zwischen zwei einzelnen Bildern befanden, hin und her, stets stoisch und ausdruckslos. Jahrhundertelange, epische Zeitspannen verflogen zwischen wenigen Panelen. Dynastien vergingen neben den Sprechblasen, und Sonnen konnten alt werden und sterben im Verlauf einer einzigen Seite.
Es war auch wie eine Spielzeugwelt, die man durch das verkehrte Ende des Teleskops betrachtete. Boring ließ die Ewigkeit winzig wirken, als könnte man sie sogar in Händen halten. Er reduzierte die Unendlichkeit auf einen Cameo-Auftritt, denn – so die große Erkenntnis der Ära Weisinger – menschliche Emotionen können stärker sein als die unglaubliche Größe des Raums und die Grenzenlosigkeit der Zeit. Wayne Borings enge Linienführung war notwendig, um dem dionysischen Sturm und Drang, der die Seiten mit Leben erfüllte, Einhalt zu gebieten und Form zu verleihen.
Diese Storys konzentrierten sich gänzlich auf die Gefühle. Der Superman der Fünfziger plumpste in allumfassende Gefühlswelten, die so groß und unbezwingbar waren, dass sie ein junges Herz brechen oder sogar die Sterne blenden konnten. Die sozialistischen Machtfantasien, die chauvinistische Propaganda, die mit Gimmicks überladenen Abenteuer, welche die vorangegangen 20 Jahre in Supermans Karriere bestimmt hatten, machten Platz für Geschichten über Liebe und Verlust, Schuld, Trauer, Freundschaft, Terror und Sühne. Sie waren geradezu biblisch in ihren Ausmaßen und ihrer Reinheit. Und immer war Weisingers gottgleicher Superman uns dabei ähnlicher, als er es je zuvor gewesen war. Er verkörperte das Amerika der Fünfziger mitsamt seiner atomaren Faust, seinem tödlichen Erzfeind sowie seinen tapferen Verbündeten. Wie Amerika war auch er ein Koloss, der Fehler beging, die Welt vor Tyrannei schützte und doch von nagenden Schuldgefühlen heimgesucht wurde, innerlich zerrissen war und sich vor Veränderungen fürchtete.
Weisinger unterzog sich einer Psychotherapie und versorgte seine Schreiber mit dem in den jeweiligen Sitzungen angefallenen Material, damit sie es für ihre Geschichten verwenden konnten. Das Innenleben des Herausgebers wurde auf dem Seziertisch augebreitet, zerlegt und fand sich ohne jegliche Scham СКАЧАТЬ