Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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      »Willst du dich bei ihm ent­schul­di­gen?«

      »Es ist zu spät.«

      Die bei­den Geg­ner wur­den ein­an­der auf 15 Schritt Ent­fer­nung ge­gen­über­ge­stellt. Sie hat­ten je­der ein Paar Pis­to­len bei sich, und nach dem ver­ein­bar­ten Ablauf die­ser Ze­re­mo­nie soll­ten sie, nach­dem die Zeu­gen das Zei­chen ge­ge­ben hat­ten, nach Be­lie­ben je­der zwei Schüs­se ab­feu­ern.

      »Was machst du, Charles?« rief der jun­ge Mann, der Ra­phaels Geg­ner als Se­kun­dant diente, »du schiebst die Ku­gel ein und hast noch kein Pul­ver drin!«

      »Es ist mein Tod!« gab er zu­rück; »ihr habt mich so ge­stellt, daß mich die Son­ne blen­det.«

      »Sie ha­ben sie hin­ter sich«, sag­te Va­len­tin mit erns­ter, fei­er­li­cher Stim­me. Er lud lang­sam sei­ne Pis­to­le und ließ sich we­der durch das Zei­chen, das schon ge­ge­ben war, noch durch die Sorg­falt, mit der sein Geg­ner auf ihn ziel­te, be­ir­ren.

      Die­se über­na­tür­li­che Si­cher­heit hat­te et­was Furch­ter­re­gen­des, das selbst die bei­den Po­stil­lio­ne, die aus grau­sa­mer Neu­gier her­bei­ge­kom­men wa­ren, ent­setz­te. Ob er nun mit sei­ner Macht spie­len oder sie er­pro­ben woll­te, Ra­pha­el sprach mit Jo­na­thas und sah ihn in dem Au­gen­blick an, wo sein Geg­ner feu­er­te. Die Ku­gel zer­riß einen Wei­den­zweig und klatsch­te ins Was­ser. Ra­pha­el schoß aufs Ge­ra­te­wohl los, traf sei­nen Geg­ner ins Herz und zog schnell, ohne den zu­sam­men­sin­ken­den jun­gen Mann wei­ter zu be­ach­ten, das Cha­grin­le­der her­vor, um zu se­hen, was ihn ein Men­schen­le­ben kos­te­te. Der Ta­lis­man war nur noch so groß wie ein klei­nes Ei­chen­blatt.

      »Nun, was habt ihr da zu glot­zen, Po­stil­lio­ne? Auf den Wa­gen! Vor­wärts!« rief der Mar­quis.

      Er lang­te noch am Abend in Frank­reich an, reis­te so­fort in die Au­ver­gne wei­ter und be­gab sich in die Bä­der des Mont-Dore. Auf die­ser Rei­se stieg aus sei­nem Her­zen eine je­ner plötz­li­chen Ein­ge­bun­gen, die, wie ein Son­nen­strahl durch di­cke Wol­ken auf ein dunkles Tal, un­er­war­tet in un­se­re See­le fal­len. Trau­ri­ges Licht, un­er­bitt­li­che Er­kennt­nis! Sie er­hellt, was ge­sche­hen ist, ent­hüllt uns un­se­re Feh­ler, und gna­den­los se­hen wir uns selbst. Er be­griff mit ei­nem Mal, daß der Be­sitz ei­ner Macht, moch­te sie noch so ge­wal­tig sein, nicht die Weis­heit ver­lieh, sich ih­rer zu be­die­nen. Das Zep­ter ist ein Spiel­zeug für ein Kind, eine Axt für Ri­che­lieu und für Na­po­le­on ein He­bel, um die Welt aus den An­geln zu he­ben. Die Macht läßt uns, wie wir sind, nur die Gro­ßen macht sie noch grö­ßer. Ra­pha­el hät­te al­les tun kön­nen und hat­te nichts ge­tan.

      In den Bä­dern des Mont-Dore traf er wie­der die Ge­sell­schaft, die sich stets ei­lig vor ihm zu­rück­zog, wie die Tie­re einen tot da­lie­gen­den Art­ge­nos­sen flie­hen, so­bald sie ihn von wei­tem ge­wit­tert ha­ben. Die­ser Haß war ge­gen­sei­tig. Sein letz­tes Aben­teu­er hat­te ihn mit ei­ner tie­fen Ab­scheu vor der Ge­sell­schaft er­füllt. So war es denn sei­ne ers­te Sor­ge, eine von den Men­schen weit ab­ge­le­ge­ne Blei­be in der Nähe der Bä­der zu su­chen. Er fühl­te in­stink­tiv das Be­dürf­nis, sich der Na­tur zu nä­hern und sich den wah­ren Emp­fin­dun­gen und ei­nem gleich­sam ve­ge­ta­ti­ven Le­ben zu über­las­sen, wie wir es auf dem Land so gern tun. Am Tage nach sei­ner An­kunft er­stieg er, nicht ohne Mühe, den Pic de San­cy und such­te die hoch­ge­le­ge­nen Tä­ler auf, die luf­ti­gen Hö­hen, die un­be­kann­ten Seen, die länd­li­chen Hüt­ten auf die­sem Ge­birgs­zug, des­sen her­be und wil­de Schön­hei­ten die Pin­sel un­se­rer Künst­ler zu lo­cken be­gin­nen. Manch­mal fin­den sich da wun­der­ba­re Land­schaf­ten vol­ler An­mut und Fri­sche, die sich ma­le­risch von dem düs­te­ren An­blick der öden Ber­ge ab­he­ben. Etwa eine hal­be Mei­le von dem Dorf ent­fernt ent­deck­te Ra­pha­el eine Stel­le, wo die Na­tur, schel­misch und mut­wil­lig wie ein Kind, of­fen­bar Ver­gnü­gen dar­an ge­fun­den hat­te, Schät­ze zu ver­ber­gen; als er die­se zau­ber­haft schö­ne, un­be­rühr­te Ein­sam­keit er­blick­te, be­schloß er, hier zu le­ben. Hier muß­te das Le­ben ru­hig, ur­sprüng­lich und ge­deih­lich sein wie das ei­ner Pflan­ze.

      Man stel­le sich einen um­ge­dreh­ten Ke­gel vor, aber einen Ke­gel aus Gra­nit, der, stark er­wei­tert, eine Art Be­cken bil­de­te, des­sen Rän­der durch bi­zar­re Une­ben­hei­ten zer­fetzt sind: hier fla­che, bläu­lich schim­mern­de Ta­feln ohne Ve­ge­ta­ti­on, auf de­nen die Son­nen­strah­len auf­glei­ßen wie auf ei­nem Spie­gel; dort zer­klüf­te­te, von Schluch­ten zer­ris­se­ne Fels­wän­de, von de­nen La­v­ablö­cke her­ab­hin­gen, de­ren Sturz die Re­gen­güs­se lang­sam vor­be­rei­te­ten, zu­wei­len krön­ten sie ein paar ver­krüp­pel­te, von den Win­den ge­peitsch­te Bäu­me; hie und da rag­te auf den düs­ter schat­ti­gen küh­len Fels­bän­ken ein Ge­hölz mit Kas­ta­ni­en­bäu­men em­por, hoch wie Ze­dern; gelb­li­che Grot­ten öff­ne­ten einen schwar­zen, tie­fen Sch­lund, den Brom­beer­sträu­cher und Blu­men um­rank­ten und eine grü­ne Zun­ge zier­te. Auf dem Grund die­ses Be­ckens, wahr­schein­lich der er­lo­sche­ne Kra­ter ei­nes Vul­kans, be­fand sich ein klei­ner See, des­sen kla­res Was­ser wie ein Dia­mant er­strahl­te. Um die­ses tie­fe, von Gra­nit, Wei­den, Schwert­li­li­en, Eschen und tau­sen­der­lei duf­ten­den, in vol­ler Blü­te pran­gen­den Pflan­zen ge­säum­te Be­cken dehn­te sich eine grü­ne Wie­se wie ein eng­li­scher Ra­sen; ihr zar­tes, schmieg­sa­mes Gras nahm das Was­ser auf, das aus den Fels­s­pal­ten si­cker­te, und wur­de von den pflanz­li­chen Über­res­ten ge­düngt, die die Stür­me von den ho­hen Gip­feln un­abläs­sig in die Tie­fe trie­ben. Un­re­gel­mä­ßig ge­zackt wie der Spit­zensaum ei­nes Frau­en­ge­wan­des moch­te der Wei­her etwa drei Mor­gen groß sein; je nach dem Platz, den die her­vor­tre­ten­den Fels­wän­de oder die Krüm­mun­gen der Was­ser­flä­che ihr lie­ßen, war die Wie­se einen oder zwei Mor­gen breit; an ei­ni­gen Stel­len al­ler­dings war kaum so viel Platz, daß die Kühe hin­durch­ge­lan­gen konn­ten. In ei­ner be­stimm­ten Höhe hör­te der Pflan­zen­wuchs auf. Der Gra­nit rag­te in den ab­son­der­lichs­ten For­men gen Him­mel und zeig­te die duns­ti­gen Töne, wel­che die ho­hen Ber­ge Wol­ken glei­chen las­sen. Dem lieb­li­chen An­blick des klei­nen Ta­les setz­ten die­se kah­len, nack­ten Fel­sen das wil­de, trost­lo­se Bild der Öde ent­ge­gen, des Schre­ckens der Berg­stür­ze und so phan­tas­ti­scher For­men, daß ei­ner die­ser Fel­sen »der Ka­pu­zi­ner« ge­nannt wird, so sehr äh­nelt er ei­nem Mönch. Je nach dem Stand der Son­ne oder den Lau­nen der At­mo­sphä­re leuch­te­ten die­se spit­zen Na­deln, die­se küh­nen Pfei­ler, die­se luf­ti­gen Höh­len zu­wei­len auf und schim­mer­ten gol­den, färb­ten sich pur­purn, tief rosa, oder nah­men trü­be oder graue Töne an. Die­se Hö­hen bo­ten stän­dig ein wech­seln­des Far­ben­spiel, wie das schil­lern­de Ge­fie­der auf dem Hals der Tau­ben. Oft drang zwi­schen zwei La­v­ablö­cke, die aus­sa­hen, als hät­te sie ein Beil aus­ein­an­der­ge­hau­en, in der Mor­gen­rö­te oder beim Son­nen­un­ter­gang ein fro­her Licht­strahl in die­ses la­chen­de Schmuck­körb­chen, wo er auf den Was­sern des Tei­ches spiel­te, ähn­lich dem gol­de­nen Strei­fen, der durch den Spalt ei­nes Fens­ter­la­dens in ein spa­ni­sches Zim­mer dringt, das man sorg­fäl­tig für die Sies­ta ge­schlos­sen hat. Wenn СКАЧАТЬ