Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ Ver­ach­tung und Mit­leid ste­hen: ih­rer ist das Him­mel­reich, sagt das Evan­ge­li­um. Man stei­ge auf der Stu­fen­lei­ter der or­ga­ni­schen We­sen noch et­was tiefer. Wenn un­ter dem Ge­flü­gel ei­nes Hüh­ner­hofs eins ver­letzt ist, dann ha­cken die an­de­ren mit den Schnä­beln auf es ein, rei­ßen ihm die Fe­dern aus und tö­ten es. Die­sem Grund­ge­dan­ken des Ego­is­mus treu, geht die Welt ge­gen ein Un­glück, das keck ge­nug ist, ihre Fes­te zu stö­ren, ihre Freu­den zu trü­ben, mit gren­zen­lo­ser Stren­ge vor. Wer am Kör­per oder an der See­le lei­det, wem es an Geld oder an Macht fehlt, ist ein Pa­ria. Er blei­be in sei­ner Ver­las­sen­heit! Über­schrei­tet er ihre Gren­zen, so fin­det er über­all Käl­te: fros­ti­ge Bli­cke, fros­ti­ges Be­neh­men, küh­le Wor­te, kal­te Her­zen. Er kann glück­lich sein, wenn er da, wo er Trös­tung such­te, nicht Schimpf und Schan­de ern­tet! Ster­ben­de, bleibt in eu­ren ein­sa­men Bet­ten! Grei­se, bleibt al­lein an eu­rem er­lo­sche­nen Herd! Arme Mäd­chen ohne Mit­gift, friert und brennt in eu­ren lee­ren Dach­stu­ben! Dul­det die Welt ein­mal ein Un­glück, dann nur, um es für ih­ren Ge­brauch zu­rechtzu­ma­chen, dar­aus Ge­winn zu schla­gen, ihm einen Pack­sat­tel über­zu­schnal­len, es an die Kan­da­re zu neh­men, ihm eine Scha­bra­cke auf­zu­le­gen, es zu be­stei­gen und ih­ren Spaß mit ihm zu trei­ben. Be­trüb­te Ge­sell­schafts­da­men, schafft euch ver­gnüg­te Ge­sich­ter an; er­tragt die Lau­nen eu­rer an­geb­li­chen Wohl­tä­te­rin; tragt ihre Hun­de spa­zie­ren; seid selbst ihre Af­fen­pin­scher, amü­siert sie, er­ra­tet ihre Wün­sche und seid im üb­ri­gen still! Und du, Kö­nig der La­kai­en ohne Li­vree, gie­ri­ger Pa­ra­sit, laß dei­nen Cha­rak­ter zu Hau­se; ver­daue ge­nau so wie dein Gast­ge­ber, wei­ne sei­ne Trä­nen, la­che sein La­chen, sei ent­zückt über sei­ne Wit­ze; willst du dich über ihn lus­tig ma­chen, war­te, bis er in Staub ge­sun­ken ist. So ehrt die Welt das Un­glück! Sie tö­tet es oder ver­jagt es, er­nied­rigt es oder ka­striert es.

      Die­se Be­trach­tun­gen ent­spran­gen Ra­phaels In­ne­rem mit der Ge­schwin­dig­keit ei­ner poe­ti­schen Ein­ge­bung; er blick­te um­her und fühl­te die un­heim­li­che Käl­te, wel­che die Ge­sell­schaft um sich ver­brei­te­te, um das Elend zu ent­fer­nen, und die noch ei­si­ger durch die See­le fährt als der Nord­wind im De­zem­ber durch die Glie­der. Er kreuz­te die Arme über der Brust, lehn­te sich an die Wand und ver­sank in tie­fe Schwer­mut. Er dach­te, wie we­nig Glück die­se gräß­li­che so­zia­le Ord­nung der Welt ver­schaff­te. Was denn schon? Ver­gnü­gen ohne Freu­de, Lus­tig­keit ohne Lust, Fes­te ohne Hei­ter­keit, Ra­se­rei ohne Rausch, kurz, das Holz oder die Asche ei­nes Her­des, aber ohne den Fun­ken, der die Flam­me ent­zün­de­te. Als er den Kopf hob, sah er, daß er al­lein war, die Spie­ler wa­ren ent­flo­hen. »Ich brauch­te ih­nen nur mei­ne Macht zu ent­hül­len, und sie wür­den mei­nen Hus­ten an­be­ten!« sag­te er bei sich. Mit die­sen Wor­ten warf er sei­ne Ver­ach­tung wie einen Man­tel zwi­schen sich und die Welt.

      »Mon­sieur le Mar­quis«, sag­te er, nach­dem er lan­ge mit Ra­pha­el ge­plau­dert hat­te, »ich hof­fe, Ihre düs­te­re Stim­mung ver­scheu­chen zu kön­nen. Ich ken­ne jetzt Ihre Kon­sti­tu­ti­on gut ge­nug, um sa­gen zu dür­fen: die Ärz­te von Pa­ris, de­ren großes Kön­nen mir be­kannt ist, ha­ben sich in der Na­tur Ih­rer Krank­heit ge­täuscht. Wenn nichts da­zwi­schen­kommt, Mon­sieur le Mar­quis, kön­nen Sie so alt wer­den wie Methu­sa­lem. Ihre Lun­gen sind so kräf­tig wie die Bla­se­bäl­ge in ei­ner Schmie­de, und Ihr Ma­gen könn­te es mit ei­nem Strau­ßen­ma­gen auf­neh­men; aber wenn Sie in ei­nem Kli­ma mit dün­ner Luft blei­ben, lau­fen Sie Ge­fahr, schnell und si­cher in ge­weih­te Erde zu kom­men. Mon­sieur le Mar­quis wer­den mich in zwei Wo­chen ver­ste­hen. Die Che­mie hat be­wie­sen, daß die At­mung des Men­schen ein rich­ti­ger Ver­bren­nungs­pro­zeß ist, des­sen grö­ße­re oder ge­rin­ge­re Stär­ke von über­mä­ßig oder spär­lich vor­han­de­nen Brenn­stof­fen ab­hängt, wel­che in dem be­son­de­ren Or­ga­nis­mus je­des In­di­vi­du­ums an­ge­sam­melt wer­den. Bei Ih­nen ist Brenn­stoff im Über­fluß da; Sie sind, wenn ich mich so aus­drücken darf, in­fol­ge des feu­ri­gen Na­tu­rells der zu großen Lei­den­schaf­ten fä­hi­gen Men­schen über­reich mit Sau­er­stoff ver­se­hen. Wenn Sie die star­ke und rei­ne Luft at­men, die bei den Men­schen mit schlaf­fen Fi­bern das Le­ben be­schleu­nigt, dann be­schleu­ni­gen Sie den Ver­bren­nungs­pro­zeß, der oh­ne­hin schon zu rasch ist. Zu Ihren Exis­tenz­be­din­gun­gen ge­hört also die di­cke Luft der Stäl­le und Tä­ler. Ja­wohl, die Le­bens­luft für einen vom Ge­nie ver­zehr­ten Mann fin­det man auf den fet­ten Wei­den Deutsch­lands, in Ba­den-Ba­den oder Te­p­litz. Wenn Ih­nen Eng­land nicht zu un­an­ge­nehm ist, so könn­te sein Ne­bel­kli­ma Ihre Sie­deglut lö­schen; aber un­ser Bad, das tau­send Fuß über dem Spie­gel des Mit­tel­meers liegt, ist un­heil­voll für Sie. Das ist mei­ne An­sicht«, schloß er mit ei­ner be­schei­de­nen Hand­be­we­gung, »ich ver­tre­te sie ge­gen un­se­re In­ter­es­sen; denn wenn Sie die­se be­fol­gen, ha­ben wir das Un­glück, Sie zu ver­lie­ren.«

      Ohne die­se letz­ten Wor­te wäre Ra­pha­el durch die falsche Gut­mü­tig­keit des ho­nig­sü­ßen Arz­tes ge­täuscht wor­den; aber er war ein zu gu­ter Beo­b­ach­ter, um nicht aus dem Ton, der Hand­be­we­gung, dem Blick und dem lei­sen Spott, mit de­nen die­ser Satz ge­spro­chen wur­de, die Mis­si­on zu er­ra­ten, die dem klei­nen Mann ohne Fra­ge von der Ge­sell­schaft sei­ner ver­gnüg­ten Pa­ti­en­ten auf­ge­bür­det wor­den war. Die­se Mü­ßig­gän­ger mit dem blü­hen­den Aus­se­hen, die­se ge­lang­weil­ten al­ten Wei­ber, die­se va­ga­bun­die­ren­den Eng­län­der, die­se Bür­ger­weib­chen, die ih­ren Ehe­män­nern ent­wischt und von ih­rem Ge­lieb­ten ins Bad ent­führt wor­den wa­ren, un­ter­nah­men es also, einen ar­men, schwa­chen, hin­fäl­li­gen Kran­ken, der dem Tode ge­weiht war und un­fä­hig schi­en, sich ge­gen täg­li­che Ver­fol­gung zu weh­ren, aus dem Bad zu ver­trei­ben! Ra­pha­el nahm den Kampf auf. Die­se Int­ri­ge mach­te ihm Ver­gnü­gen.

      »Da Sie über mei­ne Abrei­se so un­glück­lich wä­ren«, ant­wor­te­te er dem Arzt, »will ich ver­su­chen, mir Ihren gu­ten Rat zu­nut­ze zu ma­chen und doch hier­zu­blei­ben. Ich wer­de mir ein Haus bau­en las­sen, in dem wir die Luft Ih­rer Ver­ord­nung ent­spre­chend mo­di­fi­zie­ren, und wer­de gleich mor­gen dar­an­ge­hen.«

      Der Dok­tor ver­stand das Lä­cheln bit­te­ren Spot­tes, das um Ra­phaels Lip­pen schweb­te, und emp­fahl sich, ohne ein Wort der Er­wi­de­rung zu fin­den.