Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ auf der an­de­ren üp­pi­ge Na­tur, ein Ar­mer beim Gast­mahl ei­nes Rei­chen, bil­den die­se Har­mo­ni­en und Dis­so­nan­zen ein Schau­spiel, in dem al­les groß, in dem al­les klein ist. Der An­blick der Ber­ge än­dert die Be­din­gun­gen der Op­tik und Per­spek­ti­ve: eine Tan­ne, die 100 Fuß hoch ist, sieht wie ein Schilf­rohr aus, wei­te Tä­ler eng wie schma­le Pfa­de. Die­ser See ist der ein­zi­ge, auf dem man trau­lich von Herz zu Herz spre­chen kann. Hier kann man sin­nen und lie­ben. Nir­gends trifft man ein schö­ne­res Ein­ver­neh­men zwi­schen Was­ser, Him­mel, Ber­gen und Erde. Auf ihm fin­det man Bal­sam für je­den Kum­mer des Le­bens. Die­ser Ort be­wahrt das Ge­heim­nis des Lei­des, er trös­tet und ver­rin­gert es, der Lie­be ver­leiht er et­was Erns­tes, An­däch­ti­ges, das die Glut tiefer und rei­ner macht. Ein Kuß stei­gert sich dort zur Se­lig­keit. Aber vor al­lem ist er der See der Erin­ne­run­gen; er ist ih­nen hold, gibt ih­nen die Far­be sei­ner Wel­len, ist ih­nen ein Spie­gel, in dem al­les er­scheint. Ra­pha­el er­trug sei­ne Bür­de nur in die­ser schö­nen Land­schaft. Hier konn­te er un­be­küm­mert, träu­me­risch und wunsch­los sein. Nach dem Be­such des Arz­tes ging er spa­zie­ren und ließ sich nach der ein­sa­men Spit­ze ei­nes hüb­schen Hü­gels über­set­zen, auf des­sen Höhe das Dorf Saint-In­no­cent liegt. Von die­ser Art Vor­ge­bir­ge aus um­fängt der Blick die Ber­ge von Bu­gey, an de­ren Fuß die Rhô­ne fließt, und das Ende des Sees; von hier aus be­trach­te­te Ra­pha­el gern die me­lan­cho­lisch an­mu­ten­de Ab­tei Hau­te-Com­be auf dem ge­gen­über­lie­gen­den Ufer, die Be­gräb­nis­stät­te der Kö­ni­ge von Sar­di­ni­en, die zu Fü­ßen der Ber­ge ruh­ten wie Pil­ger, die am Ziel ih­rer Rei­se an­ge­langt sind. Ein gleich­mä­ßi­ger, rhyth­mi­scher Ru­der­schlag stör­te den Frie­den der Land­schaft und lieh ihr eine mo­no­to­ne Stim­me, die an die Li­ta­nei­en der Mön­che er­in­ner­te. Der Mar­quis war er­staunt, in die­sem Teil des Sees, der für ge­wöhn­lich ein­sam war, Ge­sell­schaft an­zu­tref­fen, und wand­te, ohne sein Träu­men auf­zu­ge­ben, sei­ne Auf­merk­sam­keit den Per­so­nen zu, die in dem Boot sa­ßen. Er er­kann­te auf der hin­te­ren Bank die alte Dame, die ihn am Abend zu­vor so hart an­ge­las­sen hat­te. Als der Kahn an Ra­pha­el vor­über­fuhr, wur­de er nur von der Ge­sell­schaf­te­rin die­ser Dame ge­grüßt, ei­ner ar­men Ad­li­gen, die er zum ers­ten­mal zu se­hen glaub­te. Nach ein paar Au­gen­bli­cken schon hat­te er die Ge­sell­schaft ver­ges­sen, die schnell hin­ter dem Vor­ge­bir­ge ver­schwun­den war, als er in sei­ner Nähe das Ra­scheln ei­nes Klei­des und leich­te Trit­te hör­te. Er wand­te sich um und er­blick­te die Ge­sell­schaf­te­rin; an ih­rer ver­le­ge­nen Mie­ne merk­te er, daß sie ihn spre­chen woll­te, und nä­her­te sich ihr. Sie war sechs­und­drei­ßig Jah­re alt, groß und dürr, ver­trock­net und kühl, und wie alle al­ten Jung­fern recht be­klom­men von sei­nem Blick, der mit ei­nem un­si­che­ren, zö­gern­den Gang ohne Elas­ti­zi­tät nicht mehr über­ein­stim­men woll­te. We­der alt noch jung, gab sie durch eine ge­wis­se wür­de­vol­le Hal­tung zu er­ken­nen, welch ho­hen Wert sie auf ihre Tu­gen­den und Ei­gen­schaf­ten leg­te. Sie hat­te üb­ri­gens die stil­len und klös­ter­li­chen Be­we­gun­gen der Frau­en, die nur mit sich selbst zärt­lich um­zu­ge­hen pfle­gen, ge­wiß um der Lie­be, die ihre Be­stim­mung ist, nicht zu er­lie­gen.

      »Mon­sieur le Mar­quis, Ihr Le­ben ist in Ge­fahr, kom­men Sie nicht mehr ins Kur­haus!« sag­te sie zu Ra­pha­el und wich da­bei ein paar Schrit­te zu­rück, als wäre ihre Tu­gend schon in Ge­fahr.

      »Aber bit­te, Ma­de­moi­sel­le«, er­wi­der­te Va­len­tin lä­chelnd, »wol­len Sie sich nicht deut­li­cher er­klä­ren, wenn Sie schon die Freund­lich­keit hat­ten, hier­her­zu­kom­men?«

      »Oh!« gab sie zu­rück, »wäre es nicht eine so wich­ti­ge Sa­che, hät­te ich nie ge­wagt, die Un­gna­de von Ma­da­me la Com­tes­se auf mich zu len­ken, denn wenn sie je­mals er­füh­re, daß ich Sie ge­warnt habe …«

      »Und wer soll­te es ihr sa­gen?« rief Ra­pha­el.

      »Das ist wahr«, ver­setz­te das alte Fräu­lein und warf ihm einen scheu­en Blick zu, wie ein Käuz­chen, das der Son­ne aus­ge­setzt wird.

      »Aber den­ken Sie an sich«, füg­te sie hin­zu; »meh­re­re jun­ge Leu­te, die Sie aus dem Bade ver­trei­ben wol­len, ha­ben ab­ge­spro­chen, Sie zu pro­vo­zie­ren und Sie zu zwin­gen, sich zu du­el­lie­ren.«

      Aus der Fer­ne hör­te man die Stim­me der al­ten Dame.

      »Ma­de­moi­sel­le«, sag­te der Mar­quis, »mei­nen Dank …«

      Sei­ne Gön­ne­rin war be­reits ge­flüch­tet, als sie die Stim­me ih­rer Her­rin hör­te, die aber­mals aus den Fel­sen gell­te.

      »Ar­mes Mäd­chen! Die Un­glück­li­chen ver­ste­hen und hel­fen ein­an­der im­mer«, dach­te Ra­pha­el, wäh­rend er sich un­ter einen Baum setz­te.

      Der Schlüs­sel zu al­len Wis­sen­schaf­ten ist un­be­strit­ten das Fra­ge­zei­chen; wir ver­dan­ken die meis­ten großen Ent­de­ckun­gen dem Wie, und die Le­bens­weis­heit be­steht viel­leicht dar­in, sich bei je­der Ge­le­gen­heit zu fra­gen: Wa­rum. Aber das künst­li­che Vor­her­wis­sen zer­stört auch un­se­re Il­lu­sio­nen. So hat­te Va­len­tin, ohne lan­ge phi­lo­so­phi­sche Er­wä­gung, die gute Tat der al­ten Jung­fer zum Ge­gen­stand sei­ner un­s­te­ten Ge­dan­ken ge­macht und fand lau­ter Gal­le dar­in.

      »Daß ich von ei­ner Ge­sell­schafts­da­me ge­liebt wer­de«, dach­te er sich, »ist kein Wun­der; ich bin sie­ben­und­zwan­zig Jah­re alt, bin Mar­quis und habe zwei­mal 100 000 Li­vres im Jahr! Aber daß ihre Her­rin, die den Kat­zen die Pal­me der Was­ser­scheu strei­tig macht, sie im Boot in mei­ne Nähe ge­führt hat, ist das nicht selt­sam, fast wun­der­bar? Die­se bei­den Frau­en­zim­mer, die nach Sa­voy­en ge­kom­men sind, um hier wie Mur­mel­tie­re zu schla­fen, die des Mit­tags fra­gen, ob schon Tag ist, soll­ten heu­te vor acht Uhr auf­ge­stan­den sein, um die­ses Wag­stück, mich auf­zu­spü­ren, zu un­ter­neh­men!«

      Bald war die­se alte Jung­fer und ihre vier­zig­jäh­ri­ge Un­schuld in sei­nen Au­gen eine neue Ver­wand­lung die­ser künst­li­chen und tücki­schen Welt, eine elen­de List, ein täp­pi­sches Kom­plott, eine bos­haf­te Spitz­fin­dig­keit, die ein Pries­ter oder eine Frau er­son­nen hat­te. War das Duell ein Mär­chen, oder woll­te man ihm nur Angst ein­ja­gen? Die­se dürf­ti­gen See­len, die frech und auf­dring­lich wie Flie­gen wa­ren, durf­ten sich rüh­men, sei­ne Ei­tel­keit er­regt, sei­nen Stolz ge­weckt, sei­ne Neu­gier ge­kit­zelt zu ha­ben. Er woll­te we­der ihr Narr sein noch als Feig­ling gel­ten, und da ihn die­se Pos­se zu amü­sie­ren an­fing, ging er noch am näm­li­chen Abend ins Kur­haus. Er stütz­te sich auf den Mar­mor des Ka­mins und blieb ru­hig in der Mit­te des großen Sa­lons ste­hen, sorg­sam be­dacht, sich kei­ne Blö­ße zu ge­ben; aber er prüf­te die Mie­nen und bot viel­leicht ge­ra­de durch die­se Um­sicht der Ge­sell­schaft die Stirn. Wie eine Dog­ge, die ih­rer Kraft si­cher ist, war­te­te er den Kampf ru­hig ab, ohne un­nütz zu bel­len. Ge­gen Ende des Abends schlen­der­te er durch den Spiel­sa­lon bis zur Tür des Bil­lard­zim­mers, von wo aus er von Zeit zu Zeit einen Blick auf die jun­gen Leu­te warf, die dort eine Par­tie spiel­ten. Nach kur­z­er Zeit hör­te er sei­nen Na­men nen­nen. Ob­wohl СКАЧАТЬ