Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ Ra­pha­el. Wie! nie­mand kann mir sa­gen, wo Du bist? Und wenn ich es nicht weiß, wer soll es dann wis­sen?« Mehr dar­aus zu er­fah­ren, hat­te er kei­ne Lust; un­ge­rührt nahm er die Brie­fe und warf sie ins Feu­er. Mit stump­fem, un­be­tei­lig­ten Blick sah er dem Spiel der Flam­men zu, in de­nen das duf­ten­de Pa­pier sich krümm­te, zu­sam­men­schrumpf­te, sich dreh­te und zer­fiel.

      Ei­ni­ge Pa­pier­fet­zen flo­gen auf die Asche und lie­ßen ihn An­fän­ge von Sät­zen, ein­zel­ne Wor­te, halb­ver­brann­te Ge­dan­ken er­ken­nen, und er ver­gnüg­te sich ganz un­be­wußt da­mit, sie in den Flam­men zu ent­zif­fern.

      »An Dei­ner Tür ge­ses­sen … ge­war­tet … Lau­ne … ich ge­hor­che … Ne­ben­buh­le­rin­nen … ich nicht! … Dei­ne Pau­li­ne … liebt … kei­ne Pau­li­ne mehr? … Wenn Du mich hät­test ver­sto­ßen wol­len, hät­test Du mich nicht ver­las­sen … Ewi­ge Lie­be … Ster­ben …«

      Die­se Wor­te er­reg­ten in ihm eine Art Reue; er griff nach der Zan­ge und ret­te­te den letz­ten Fet­zen ei­nes Brie­fes aus den Flam­men.

      »… Ich habe ge­murrt«, schrieb Pau­li­ne, »aber ich habe mich nicht be­klagt, Ra­pha­el! Als Du mich von Dir ent­fernt hiel­test, woll­test Du mir ge­wiß die Last ei­nes Kum­mers er­spa­ren. Vi­el­leicht wirst Du mich ei­nes Ta­ges tö­ten, aber Du bist zu gut, um mich lei­den zu las­sen. Oh, rei­se nie wie­der so fort! Ich ver­mag den größ­ten Qua­len zu trot­zen, aber nur, wenn ich bei Dir bin. Der Kum­mer, den Du mir an­tun könn­test, wäre dann kein Kum­mer mehr; in mei­nem Her­zen lebt eine viel grö­ße­re Lie­be, als ich Dir sie zei­gen konn­te. Ich kann al­les er­tra­gen, nur nicht, fern von Dir zu wei­nen und nicht zu wis­sen, was Du …«

      Ra­pha­el leg­te die­ses ge­schwärz­te Bruch­stück ei­nes Brie­fes auf den Ka­min; dann warf er es plötz­lich in das Feu­er zu­rück. Die­ses Stück Pa­pier war ein zu leb­haf­tes Bild sei­ner Lie­be und sei­nes un­se­li­gen Le­bens.

      »Hole Mon­sieur Bian­chon!« be­fahl er Jo­na­thas.

      Als Horace kam, fand er Ra­pha­el im Bett.

      »Lie­ber Freund, kannst du mir einen leicht opi­um­hal­ti­gen Trank brau­en, der mich in ei­nem dau­ern­den Halb­schlaf hält, ohne daß der dau­ern­de Ge­brauch die­ses Ge­trän­kes mir scha­det?«

      »Nichts leich­ter als das«, er­wi­der­te der jun­ge Arzt; »du müß­test je­doch schon ein paar Stun­den am Tag wach sein, um zu es­sen.«

      »Ein paar Stun­den?« un­ter­brach Ra­pha­el; »nein, nein! Ich will höchs­tens eine Stun­de auf sein.«

      »Was hast du denn vor?« frag­te Bian­chon.

      »Schla­fen! Schla­fen heißt doch le­ben!« ant­wor­te­te der Kran­ke.

      »Laß nie­man­den her­ein, wäre es auch Ma­de­moi­sel­le Pau­li­ne de Vit­schnau!« wies er Jo­na­thas an, wäh­rend der Arzt sein Re­zept schrieb.

      »Ist noch eine Hoff­nung, Mon­sieur Horace?« frag­te der alte Die­ner den jun­gen Arzt, den er bis zur Freitrep­pe be­glei­tet hat­te.

      »Es kann noch lan­ge dau­ern, aber auch heu­te abend schon zu Ende sein. Bei ihm sind die Aus­sich­ten für Le­ben und Tod gleich. Ich ver­ste­he den Fall nicht«, ver­setz­te der Arzt und mach­te eine zwei­feln­de Ge­bär­de. »Man muß ihn zer­streu­en.«

      »Ihn zer­streu­en! Mon­sieur, Sie ken­nen ihn nicht. Er hat jüngst einen Men­schen er­schos­sen und hat nicht ein­mal Uff ge­sagt! Ihn zer­streut nichts.«

      Ra­pha­el blieb ei­ni­ge Tage in das Nichts sei­nes künst­li­chen Schla­fes ver­senkt. Dank der Macht, die das Opi­um auf un­se­re See­le, das Ma­te­ri­el­le auf das Im­ma­te­ri­el­le, aus­übt, sank die­ser Mann von so ge­wal­ti­ger, tä­ti­ger Phan­ta­sie auf die Stu­fe je­ner trä­gen Tie­re, die in der Tie­fe der Wäl­der in ih­rem Bau aus Laub­werk hocken und kei­nen Schritt tun, um eine leich­te Beu­te zu fas­sen.

      Er hat­te so­gar das Licht des Him­mels aus­ge­löscht; der Tag drang nicht mehr bis zu ihm her­ein. Ge­gen acht Uhr abends stand er auf; ohne sich sei­nes Da­seins klar be­wußt zu sein, be­frie­dig­te er sei­nen Hun­ger und leg­te sich dann so­fort wie­der hin. Die­se kal­ten, grei­sen­haf­ten Stun­den tru­gen ihm nur ver­schwom­me­ne Bil­der, Er­schei­nun­gen, Schat­ten auf schwar­zem Grund zu. Er hat­te sich in tie­fes Schwei­gen ver­gra­ben, in eine Ver­leug­nung der Be­we­gung und des Den­kens. Ei­nes Abends er­wach­te er viel spä­ter als sonst und fand sein Es­sen nicht ser­viert. Er läu­te­te Jo­na­thas.

      »Du kannst ge­hen«, sag­te er zu ihm. »Ich habe dich reich ge­macht, du wirst auf dei­ne al­ten Tage glück­lich sein; aber ich will dich nicht län­ger mit mei­nem Le­ben spie­len las­sen. Wie, du Elen­der! Ich spü­re Hun­ger. Wo ist mein Es­sen? Ant­wor­te!«