Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ ei­ner Fens­ter­schei­be strah­len­för­mig Sprün­ge um sich zieht. Es war ein Stoß nö­tig, um die Schei­be zu zer­spren­gen. Wer hat die­sen Stoß ge­führt? Wis­sen wir es? Ha­ben wir den Pa­ti­en­ten ge­nü­gend be­ob­ach­tet? Ken­nen wir alle Vor­fäl­le sei­nes Le­bens? Mes­sieurs, das Le­ben­s­prin­zip, der ›Ar­cheus‹ des van Hel­mont,31 ist bei ihm an­ge­grif­fen; die Le­bens­kraft selbst ist an ih­rer Wur­zel ver­letzt; der gött­li­che Fun­ke, die tran­si­to­ri­sche In­tel­li­genz, die der Ma­schi­ne als Zu­sam­men­halt dient und den Wil­len er­zeugt, das Be­wußt­sein des Le­bens hat auf­ge­hört, die täg­li­chen Er­schei­nun­gen des Mecha­nis­mus und die Funk­tio­nen je­des Or­gans zu re­geln; das ver­ur­sacht die Stö­run­gen, die mein ge­lehr­ter Kol­le­ge ganz rich­tig kon­sta­tiert hat. Die Be­we­gung ging nicht vom Epi­ga­stri­um zum Hirn, son­dern vom Hirn zum Epi­ga­stri­um. Nein!« rief er und schlug sich da­bei hef­tig auf die Brust, »nein, ich bin kein mensch­ge­wor­de­ner Ma­gen! Nein, da sitzt nicht al­les. Ich habe nicht den Mut, zu be­haup­ten, daß, wenn mei­ne Ver­dau­ung klappt, al­les üb­ri­ge Ne­ben­sa­che sei. Wir kön­nen«, fuhr er dann ru­hi­ger fort, »die schwe­ren Stö­run­gen, die bei ver­schie­de­nen Men­schen mehr oder we­ni­ger hef­tig auf­tre­ten, nicht auf die näm­li­che phy­si­sche Ur­sa­che zu­rück­füh­ren und dür­fen sie nicht ein­för­mig be­han­deln. Kein Mensch ist dem an­de­ren gleich. Wir ha­ben alle be­son­de­re Or­ga­ne, die ver­schie­de­ne Wir­kun­gen her­vor­brin­gen, ver­schie­de­ne Le­bens­grund­la­gen brau­chen, die ver­schie­de­ne Auf­ga­ben er­fül­len und ei­ner Be­stim­mung fol­gen, wel­che zur Vollen­dung ei­ner uns noch un­be­kann­ten Ord­nung der Din­ge er­for­der­lich ist. Der Teil des großen Gan­zen, der ge­mäß ei­nem hö­he­ren Wil­len in uns das Phä­no­men des Le­bens be­wirkt und un­ter­hält, hat in je­dem Men­schen sei­ne ei­ge­ne Aus­drucks­form und macht aus ihm ein We­sen, das an­schei­nend end­lich ist, das aber in ei­nem Punkt mit ei­ner un­end­li­chen Ur­sa­che ver­bun­den ist. Dem­zu­fol­ge müs­sen wir je­des Sub­jekt ge­son­dert stu­die­ren, es durch­drin­gen, er­ken­nen, worin sein Le­ben be­steht, wel­che be­son­de­re Kraft ihm ei­gen ist. Von der Weich­heit ei­nes nas­sen Schwam­mes bis zur Här­te ei­nes Bims­steins gibt es un­end­li­che Ab­stu­fun­gen. So ist es auch mit dem Men­schen. Zwi­schen der schwam­mi­gen Or­ga­ni­sa­ti­on lym­pha­ti­scher Men­schen und der me­tal­li­schen Mus­kel­här­te der­je­ni­gen, die zu ei­nem lan­gen Le­ben be­stimmt sind, was für Irr­tü­mer be­geht da nicht das ein­zi­ge, un­ab­än­der­li­che Sys­tem der Hei­lung durch Schwä­chung, durch völ­li­ge Er­schöp­fung der mensch­li­chen Kräf­te, die Sie stets für ge­reizt hal­ten! Im vor­lie­gen­den Fall also wür­de ich eine rein see­li­sche Be­hand­lung vor­schla­gen, eine tief­ge­hen­de Prü­fung des in­ne­ren We­sens. Su­chen wir den Sitz des Übels in den Ein­ge­wei­den der See­le statt in den Ein­ge­wei­den des Kör­pers! Ein Arzt ist ein er­leuch­te­tes We­sen, das mit ei­ner be­son­de­ren Gabe be­gna­det ist: Gott hat ihm die Macht ver­lie­hen, in der Le­bens­kraft zu le­sen, wie er den Pro­phe­ten Au­gen gibt, die Zu­kunft zu schau­en, dem Dich­ter das Ta­lent, die Na­tur zu be­schwö­ren, dem Mu­si­ker die Kunst, die Töne in ei­ner har­mo­ni­schen Ord­nung an­ein­an­der­zu­rei­hen, de­ren Vor­bild viel­leicht dort dro­ben ist! …«

      »Im­mer sei­ne ab­so­lu­tis­ti­sche, mon­ar­chis­ti­sche und re­li­gi­öse Me­di­zin«, mur­mel­te Bris­set.

      »Mes­sieurs«, mel­de­te sich Mau­gre­die rasch zu Wort, so daß Bris­sets Ein­wand nicht wei­ter be­ach­tet wur­de, »wir dür­fen den Kran­ken nicht aus dem Auge ver­lie­ren …«

      In die­sem Au­gen­blick ver­nahm Va­len­tin die Stim­me des Dok­tor Mau­gre­die: »Der Kran­ke ist ein Mo­no­ma­ne, schön, ein­ver­stan­den!« rief er; »aber er hat zwei­mal 100 000 Li­vres jähr­lich. Mo­no­ma­nen der Art sind sel­ten, und wir schul­den ih­nen min­des­tens einen Rat. Was die Fra­ge an­geht, ob sein Epi­ga­stri­um auf das Hirn ge­wirkt hat oder das Hirn auf sein Epi­ga­stri­um, so kön­nen wir sie viel­leicht nach sei­nem Tode be­ant­wor­ten. Ma­chen wir es also kurz. Daß er krank ist, ist nicht zu be­strei­ten. Ir­gend­wie muß er also be­han­delt wer­den. Las­sen wir die Lehr­mei­nun­gen bei­sei­te. Set­zen wir ihm Blut­egel an, um die in­ne­re Rei­zung und die Neu­ro­se, über de­ren Vor­han­den­sein wir uns ei­nig sind, zu be­sei­ti­gen, und dann schi­cken wir ihn in ein Bad; auf die­se Wei­se wen­den wir bei­de Sys­te­me zu­gleich an! Ist er schwind­süch­tig, dann kön­nen wir ihn so­wie­so kaum ret­ten; also …«

      Ra­pha­el ver­ließ schnell sein Ver­steck und be­gab sich wie­der in sei­nen Lehn­stuhl. Bald ka­men die vier Ärz­te aus dem Ar­beits­zim­mer. Horace führ­te das Wort und sag­te zu ihm: »Die Her­ren ha­ben ein­stim­mig die Not­wen­dig­keit ei­ner so­for­ti­gen Be­hand­lung mit Blut­egeln in der Ma­gen­ge­gend an­er­kannt. Fer­ner ist es nö­tig, Ihr Lei­den zu­gleich phy­sisch und psy­chisch zu be­han­deln. Zu­nächst eine pas­sen­de Diät, um die Rei­zung Ihres Or­ga­nis­mus zu be­ru­hi­gen …«

      Hier mach­te Bris­set ein Zei­chen der Zu­stim­mung.

      Hier war ein Kopf­ni­cken des Dok­tor Caméris­tus zu ver­zeich­nen.

      »Die­se Her­ren«, fuhr Bian­chon fort, »ha­ben in Ihrem At­mungs­ap­pa­rat leich­te Ver­än­de­run­gen be­merkt und ha­ben ein­hel­lig mei­nen bis­he­ri­gen Vor­schrif­ten zu­ge­stimmt. Sie sind der Mei­nung, daß Ihre Hei­lung nicht schwer sein wird und von ei­nem klu­gen Wech­sel in der An­wen­dung die­ser ver­schie­de­nen Mit­tel we­sent­lich ab­hängt … Und …«

      »Und nun sind wir so klug wie vor­her!« sag­te Ra­pha­el lä­chelnd, wäh­rend er Horace in sein Ar­beits­zim­mer führ­te, um ihm das Ho­no­rar für die über­flüs­si­ge Kon­sul­ta­ti­on aus­zu­hän­di­gen.