Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815226
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Die Welt schien hier zu Ende. Diese Kate glich jenen Vogelnestern, die sinnreich in eine Felshöhlung geklebt sind, kunstvoll und nachlässig zugleich. Hier war eine unberührte und gute Natur, eine echte, aber poetische Ländlichkeit, die gerade darum poetisch war, weil sie tausend Meilen von unseren gemalten Poesien entfernt blühte und keiner Idee, sondern – ein wahrer Triumph des Zufalls – nur sich selbst entsprang. Als Raphael dort anlangte, stand die Sonne zu seiner Rechten und ließ die bunten Farben der Pflanzen aufleuchten, die gelben und grauen Gründe der Felsen, das verschiedene Grün des Laubes, die roten, blauen und weißen Blütenmeere, die Schlingpflanzen mit ihren Glocken, den schimmernden Samt der Moose, die purpurnen Trauben des Heidekrauts, vor allem aber die klare Wasserfläche, in der sich die Granithäupter der Berge, die Bäume, das Haus und der Himmel getreulich spiegelten, scharf hervortreten oder schmückte das alles mit dem Zauber von Licht und Schatten. Auf diesem entzückenden Bild hatte alles seinen besonderen Glanz, von dem funkelnden Glimmer bis zu den gelben Grasbüscheln, die in einem sanften Helldunkel standen. Alles bot einen harmonischen Anblick: die gefleckte Kuh mit dem blanken Fell, die hauchzarten Wasserpflanzen, die aus einer Senke wie Fransen über dem Wasser hingen und von azurblau oder smaragdgrün schillernden Insekten umschwirrt wurden, und die Baumwurzeln, die kraus gewundenen sandigen Haarschöpfen glichen und ein unförmiges Steingesicht krönten. Der laue Duft des Wassers, der Blumen und der Grotten, der an diesem stillen Ort die Luft schwängerte, erregten in Raphael ein fast wollüstiges Gefühl. Das majestätische Schweigen, das in diesem Hain herrschte, der vielleicht sogar auf den Listen des Steuereinnehmers vergessen war, wurde plötzlich durch das Kläffen zweier Hunde unterbrochen. Die Kühe wandten den Kopf nach dem Eingang des Tales, streckten Raphael ihre feuchten Mäuler entgegen, und nachdem sie ihn stumpfsinnig angesehen hatten, grasten sie weiter. Eine Ziege und ihr Zicklein, die wie durch Zauberei Halt an den Felsen fanden, setzten in großen Sprüngen den Hang herab und hielten auf einer Granitplatte unweit von Raphael inne, als ob sie ihn ausfragen wollten. Das Bellen der Hunde lockte ein dickes Kind vor das Haus, wo es mit offenem Munde stehenblieb, dann erschien ein weißhaariger, untersetzter Greis. Diese beiden Gestalten standen mit der Landschaft, der Luft, den Blumen und dem Haus im Einklang. In dieser üppigen Natur strotzte alles von Gesundheit, Alter und Kindheit waren hier schön; kurz, alle Geschöpfe, die dort lebten, strahlten ein ursprüngliches Sichgehenlassen, eine Vertrautheit mit dem Glück aus, die unsere philosophischen Kapuzinerpredigten Lügen straften und das von seinen Leiden und Leidenschaften aufgeblähte Herz heilte. Der Greis schien eins von den Modellen, wie sie der männliche Pinsel von Schnetz39 liebt: ein wettergebräuntes Gesicht, dessen zahlreiche Falten hart und vertrocknet schienen, eine gerade Nase, hervorspringende Wangen, die wie ein herbstliches Weinblatt rot geädert waren, eckige Konturen, alle Anzeichen von Kraft, selbst da, wo die Kraft schon dahin war. Seine Hände waren schwielig, obwohl sie nicht mehr arbeiteten, und noch immer mit feinem weißen Haar bedeckt; seine wahrhaft freie, männliche Haltung ließ ahnen, daß er in Italien aus Liebe zu seiner kostbaren Freiheit vielleicht zum Räuber geworden wäre. Das Kind, ein wahres Kind der Berge, hatte schwarze Augen, die in die Sonne sehen konnten, ohne zu blinzeln, dunkle Haut und einen wirren braunen Haarschopf. Es war flink, entschieden und natürlich in seinen Bewegungen wie ein Vogel; durch die Löcher seiner armseligen Kleidung schimmerte eine weiße und frische Haut. Alle beide blieben schweigend nebeneinander stehen; das gleiche Gefühl bewegte sie, und der Ausdruck ihrer Züge zeugte von der vollkommenen Übereinstimmung in ihrer beider gleichermaßen müßigem Leben. Der Greis hatte sich die Spiele des Kindes zu eigen gemacht und das Kind die Launen des Alten angenommen; eine Art Pakt zwischen zwei Schwachen, zwischen einer Kraft, die dem Ende zuging, und einer Kraft, die vor der Entfaltung stand. Bald zeigte sich eine etwa dreißigjährige Frau auf der Schwelle. Sie strickte im Gehen. Es war eine echte Auvergnatin, von lebhafter Gesichtsfarbe, mit offener, heiterer Miene und weißen Zähnen; sie hatte das Gesicht der Auvergne, den Wuchs der Auvergne, Haube und Tracht der Auvergne, die vollen Brüste der Auvergne und die Mundart der Auvergne; ein vollkommenes Idealbild des Landes, seiner arbeitsamen Sitten, seiner Unwissenheit, Sparsamkeit und Herzlichkeit; es fehlte nichts.
Sie grüßte Raphael, und es entspann sich ein Gespräch. Die Hunde beruhigten sich; der Greis setzte sich auf eine Bank in die Sonne, und das Kind wich seiner Mutter nicht von der Seite; es schwieg, aber hörte aufmerksam zu und sah den Fremden forschend an.
»Ihr fürchtet Euch hier nicht, gute Frau?«
»Und weshalb sollten wir Furcht haben, Monsieur? Wenn wir den Eingang versperren, wer sollte dann wohl hereinkönnen? Oh, wir haben keine Furcht! Übrigens« – damit ließ sie den Marquis in das große Zimmer des Hauses treten – »was sollten die Diebe denn bei uns holen?«
Sie wies auf die rauchgeschwärzten Wände, an denen als einziger Schmuck die blau, rot und grün kolorierten Stiche hingen: »Der Tod des Kredits«, »Die Passion Jesu Christi« und »Die Grenadiere der kaiserlichen Garde«. Weiterhin gab es in dem Zimmer ein altes Säulenbett aus Nußbaum, einen Tisch mit gedrechselten Beinen, Holzschemel, den Backtrog, eine Speckseite, die von der Decke baumelte, einen Salztopf, eine Pfanne und auf dem Kamin vergilbte, bemalte Gipsfiguren. Als er das Haus wieder verließ, sah Raphael auf den Felsen einen Mann, der eine Hacke in der Hand hielt, sich neugierig vorbeugte und auf das Haus sah.
»Sehen Sie Monsieur, da ist der Mann«, sagte die Auvergnatin. Dabei lächelte sie, wie man es an Bäuerinnen oft sieht. »Er arbeitet da oben.«
»Und der Alte ist Euer Vater?«
»Sie СКАЧАТЬ