Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ und wie leich­te kaum ge­färb­te Wol­ken in uns ver­flie­gen. Die Trau­er ist in die­sem Zu­stand sanft, die Freu­de sche­men­haft, und die See­le schlum­mert. So über­ließ sich Va­len­tin die­sem Le­ben der Sin­ne, er­quick­te sich an der lau­en At­mo­sphä­re des Abends und sog die rei­ne, wür­zi­ge Ber­g­luft ein. Er war glück­lich, kei­nen Schmerz zu füh­len und sein dro­hen­des Cha­grin­le­der end­lich zur Ruhe ge­bracht zu ha­ben. Die ro­ten Töne der Abend­däm­merung er­lo­schen auf den Gip­feln, es wur­de küh­ler. Er ver­ließ sei­nen Platz und schloß das Fens­ter.

      »Ha­ben Sie die Güte, Mon­sieur«, sag­te eine alte Dame zu ihm, »das Fens­ter nicht zu schlie­ßen! Wir er­sti­cken.«

      Die­ser Satz klang Ra­pha­el selt­sam schrill und wi­der­wär­tig im Ohr; er war wie das Wort, das ei­nem Freund, auf den wir bau­ten, un­vor­sich­tig ent­schlüpft und das den sü­ßen Wahn der Freund­schaft zer­reißt und uns in einen Ab­grund des Ego­is­mus bli­cken läßt. Der Mar­quis warf der al­ten Dame den küh­len Blick ei­nes un­zu­gäng­li­chen Di­plo­ma­ten zu, rief dann einen Die­ner und be­fahl die­sem tro­cken: »Öff­nen Sie das Fens­ter!«

      Bei die­sen Wor­ten brei­te­te sich auf al­len Ge­sich­tern leb­haf­tes Be­frem­den aus. In der Ge­sell­schaft ent­stand ein Ge­flüs­ter, und man blick­te den Kran­ken mit mehr oder we­ni­ger be­red­ter Mie­ne an, als hät­te er sich sehr un­ziem­lich be­nom­men. Ra­pha­el, der sei­ne frü­he­re Jüng­lings­schüch­tern­heit noch nicht ab­ge­legt hat­te, spür­te eine Re­gung von Scham; aber er schüt­tel­te sei­ne Er­star­rung ab, ge­wann sei­ne Ener­gie zu­rück und frag­te sich, was die­se selt­sa­me Sze­ne wohl be­deu­te. Blitz­ar­tig kam Le­ben in sei­ne Ge­dan­ken, die Ver­gan­gen­heit er­schi­en ihm in ei­ner deut­li­chen Vi­si­on: die Ur­sa­chen der Ge­füh­le, die er her­vor­rief, spran­gen scharf her­vor wie die Adern ei­nes Leich­nams, an dem die Prä­pa­ra­to­ren durch eine zweck­dien­li­che Ein­sprit­zung die ge­rings­ten Ver­äs­te­lun­gen ge­färbt ha­ben; er sah sich selbst in die­sem flüch­ti­gen Bil­de, ver­folg­te sein Le­ben, Tag für Tag, Ge­dan­ken für Ge­dan­ken; er sah sich, nicht ohne Über­ra­schung, düs­ter und zer­streut in­mit­ten die­ser la­chen­den Welt; er ge­wahr­te sich, wie er im­mer über sein Schick­sal nach­grü­bel­te, mit sei­nem Lei­den be­schäf­tigt war, das harm­lo­ses­te Ge­spräch an­schei­nend ver­schmäh­te, wie er die flüch­ti­gen Ver­trau­lich­kei­ten scheu­te, die sich zwi­schen Rei­sen­den schnell ein­stel­len, weil sie zwei­fel­los da­mit rech­nen, ein­an­der nie wie­der zu be­geg­nen; er war kaum um die an­de­ren be­küm­mert und glich letzt­end­lich je­nen Fel­sen, die ge­gen das Ko­sen wie ge­gen das Wü­ten der Wo­gen un­er­schüt­tert blei­ben. Jetzt las er mit ei­ner sel­te­nen Gabe der In­tui­ti­on in al­len See­len: im Schein ei­nes Leuch­ters ent­deck­te er den gel­ben Schä­del und das hä­mi­sche Pro­fil ei­nes Grei­ses und er­in­ner­te sich, daß er ihm sein Geld ab­ge­won­nen hat­te, ohne ihm Re­van­che ein­zuräu­men; ein Stück wei­ter saß eine hüb­sche Frau, ge­gen de­ren ko­ket­te Win­ke er kalt ge­blie­ben war; je­des Ge­sicht warf ihm ein an­schei­nend un­er­klär­li­ches Un­recht vor, sein Ver­bre­chen be­stand in­des im­mer in ei­ner un­sicht­ba­ren Ver­let­zung der Ei­gen­lie­be. Un­ge­wollt hat­te er all die klei­nen Ei­tel­kei­ten, die um ihn kreis­ten, be­lei­digt. Die Teil­neh­mer an sei­nen Fes­ten oder die­je­ni­gen, de­nen er sei­ne Pfer­de an­ge­bo­ten hat­te, hat­ten sich über sei­nen Lu­xus ge­är­gert; von ih­rer Un­dank­bar­keit über­rascht, hat­te er ih­nen die­se Art De­mü­ti­gung er­spart; von da an hiel­ten sie sich für ver­ach­tet und war­fen ihm Dün­kel vor. Wäh­rend er so auf dem Grund der Her­zen las, konn­te er ihre ge­heims­ten Re­gun­gen ent­zif­fern; die Ge­sell­schaft, ihre Höf­lich­keit, ihr Fir­nis wa­ren ihm wi­der­wär­tig. Weil er reich und geis­tig über­le­gen war, wur­de er be­nei­det und ge­haßt; sei­ne Schweig­sam­keit ent­täusch­te die Neu­gier; sei­ne Be­schei­den­heit schi­en die­sen klein­li­chen, ober­fläch­li­chen Leu­ten Hoch­mut. Er kann­te jetzt das ver­bor­ge­ne, das nicht wie­der­gutz­u­ma­chen­de Ver­bre­chen, das er ge­gen sie be­gan­gen hat­te: er ent­zog sich dem Ur­teilss­pruch ih­rer Mit­tel­mä­ßig­keit. Er lehn­te sich ge­gen ih­ren zu­dring­li­chen Des­po­tis­mus auf, er brauch­te sie nicht; um sich für die­ses heim­li­che Kö­nig­tum zu rä­chen, hat­ten sich alle in­stink­tiv ver­bün­det, um ihn ihre Macht spü­ren zu las­sen, ihn ei­ner Art Scher­ben­ge­richt zu un­ter­wer­fen und ihm zu zei­gen, daß sie ihn gleich­falls nicht brauch­ten. Zu­erst war er bei die­sem An­blick der Welt vol­ler Mit­leid; aber bald schau­der­te ihn, wenn er an die selt­sa­me Gabe dach­te, die ihm so den kör­per­li­chen Schlei­er, un­ter dem die in­ne­re Na­tur ge­bor­gen ist, lüf­te­te. Plötz­lich senk­te sich ein schwar­zer Vor­hang über die­ses düs­te­re Bild der Wahr­heit, und er fand sich al­lein in der furcht­ba­ren Ein­sam­keit, die das Los der Gro­ßen und Mäch­ti­gen ist. In die­sem Au­gen­blick über­fiel ihn ein hef­ti­ger Hus­ten­an­fall. An­statt ein ein­zi­ges der gleich­gül­ti­gen und ba­na­len Wor­te zu ver­neh­men, mit de­nen die zu­fäl­lig zu­sam­men­ge­führ­ten Mit­glie­der der gu­ten Ge­sell­schaft we­nigs­tens eine Art höf­li­ches Mit­leid heu­cheln, hör­te er feind­se­li­ge Rufe und lei­se ge­mur­mel­te Be­schwer­den. Die Ge­sell­schaft gab sich nicht ein­mal mehr die Mühe, sich für ihn zu ver­stel­len, viel­leicht weil er sie doch durch­schaut hät­te.

      »Sei­ne Krank­heit ist an­ste­ckend.« – »Die Di­rek­ti­on müß­te ihm ver­bie­ten, ins Kur­haus zu kom­men.« – »Es ist ja wahr­haf­tig po­li­zei­wid­rig, so zu hus­ten!« – »Je­mand, der so krank ist, soll nicht ins Bad rei­sen.« – »Er wird mir den Auf­ent­halt ver­lei­den.«

      Ra­pha­el stand auf, um sich der all­ge­mei­nen Ver­wün­schung zu ent­zie­hen, und ging im Saal auf und ab. Er woll­te einen Schutz fin­den und nä­her­te sich ei­ner jun­gen Dame, die ge­lang­weilt da­saß; er dach­te, ihr ei­ni­ge Schmei­che­lei­en zu sa­gen, aber als er her­an­trat, wand­te sie ihm den Rücken und tat so, als sähe sie den Tän­zern zu. Ra­pha­el fürch­te­te, an die­sem Abend sei­nen Ta­lis­man schon ge­braucht zu ha­ben; er fühl­te we­der den Wil­len noch den Mut, ein Ge­spräch zu be­gin­nen, so ver­ließ er den Sa­lon und zog sich in das Bil­lard­zim­mer zu­rück. Da sprach nie­mand mit ihm, kei­ner grüß­te ihn oder warf ihm auch nur den kür­zes­ten wohl­wol­len­den Blick zu. Sein von Na­tur aus nach­denk­li­cher Geist ent­hüll­te ihm wie in ei­ner Ein­ge­bung die all­ge­mei­ne und ver­ständ­li­che Ur­sa­che der Ab­nei­gung, die er her­vor­ge­ru­fen hat­te. Die­se klei­ne Welt ge­horch­te, viel­leicht un­be­wußt, dem großen Ge­setz, das die vor­neh­me Ge­sell­schaft re­giert, de­ren un­ver­söhn­li­che Moral sich vor Ra­phaels Au­gen völ­lig ent­hüll­te. Er sah in die Ver­gan­gen­heit zu­rück und er­kann­te das vollen­de­te Ur­bild die­ser Ge­sell­schaft in Fœ­do­ra. Er konn­te bei die­ser Ge­sell­schaft nicht mehr Mit­ge­fühl für sei­ne Lei­den fin­den als bei Fœ­do­ra für die Qua­len sei­nes Her­zens. Die fei­ne Ge­sell­schaft ver­bannt die Un­glück­li­chen aus ih­rer Mit­te, wie ein Ge­sun­der einen Krank­heits­trä­ger aus sei­nem Kör­per ab­stößt. Die Welt ver­ab­scheut Schmer­zen und Un­glück; sie fürch­tet sie wie eine an­ste­cken­de Krank­heit, und nie schwankt sie zwi­schen ih­nen und den Las­tern; das Las­ter ist ein Lu­xus. Wie er­ha­ben ein Un­glück auch sein mag, die Ge­sell­schaft weiß es her­ab­zu­wür­di­gen, es durch ein Witz­wort lä­cher­lich СКАЧАТЬ