Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ Gür­tel ist ein gan­zes Ge­dicht; die Frau, die er schütz­te, exis­tiert nicht mehr; sie ge­hört dem Ge­lieb­ten, ist eins ge­wor­den mit ihm; ver­rät er sie von nun an, ver­wun­det er sich selbst. Ra­pha­el sah sich ge­rührt in die­sem Zim­mer um, das vol­ler Lie­be, vol­ler Erin­ne­run­gen war, das der Tag in wol­lüs­ti­ges Licht tauch­te, und wand­te dann sei­nen Blick wie­der der Frau mit ih­ren rei­nen, jun­gen For­men zu, die noch in der Lie­be weil­te, de­ren Ge­füh­le mehr als al­les an­de­re ihm un­ge­teilt ge­hör­ten. Er wünsch­te, ewig zu le­ben. Als sein Blick auf Pau­li­ne fiel, schlug sie mit ei­nem Mal die Au­gen auf, als hät­te ein Son­nen­strahl sie ge­trof­fen.

      »Gu­ten Mor­gen, mein Freund«, be­grüß­te sie ihn lä­chelnd. »Wie schön du bist, Bö­ser.«

      Ihre bei­den Köp­fe, ganz von der An­mut ver­klärt, wel­che die Lie­be, die Ju­gend, die Däm­me­rung und das Schwei­gen ver­lie­hen, zeig­ten ei­nes je­ner gött­li­chen Bil­der, de­ren flüch­ti­ger Zau­ber nur den ers­ten Ta­gen der Lei­den­schaft ge­hört, wie Nai­vi­tät und Un­schuld die At­tri­bu­te der Kind­heit sind. Ach, die­se Lenz­freu­den der Lie­be müs­sen ent­schwin­den wie das La­chen un­se­rer Kin­der­ta­ge und le­ben nur in un­se­rer Erin­ne­rung fort, um uns je nach den Lau­nen der ge­hei­men Vor­gän­ge un­se­res In­ne­ren ent­we­der trost­los zu ma­chen oder uns flüch­ti­ge Trös­tung zu ge­wäh­ren.

      »Wa­rum bist du er­wacht?« sag­te Ra­pha­el; »ich war so glück­lich, dich schla­fend zu se­hen, daß ich wein­te.«

      »Auch ich habe heu­te nacht ge­weint«, er­wi­der­te sie, »als ich dei­nen Schlum­mer be­wach­te, aber nicht vor Freu­de. Höre, mein Ra­pha­el, höre mich an! Wenn du schläfst, ist dein Atem nicht frei, es ist et­was Ras­seln­des in dei­ner Brust, das mir Angst ge­macht hat. Wäh­rend du schläfst, hast du so einen kur­z­en, tro­ckenen Hus­ten, der aufs Haar dem mei­nes Va­ters gleicht, der an der Schwind­sucht da­hin­siecht. An dem Geräusch dei­ner Lun­gen habe ich ei­ni­ge Sym­pto­me die­ser Krank­heit er­kannt. Und du hat­test Fie­ber, ich weiß es ge­wiß, dei­ne Hand war feucht und glü­hend. Ge­lieb­ter, du bist jung«, füg­te sie hin­zu und schau­er­te zu­sam­men, »du könn­test noch ge­heilt wer­den, wenn zum Un­glück … Aber nein«, rief sie froh, »es ist kein Un­glück, die Krank­heit ist an­ste­ckend, sag­ten die Ärz­te.« Sie um­schlang Ra­pha­el mit bei­den Ar­men und sog sei­nen Atem mit ei­nem Kuß ein, in den die gan­ze See­le ström­te. »Ich will kei­ne alte Frau wer­den. Wir wol­len zu­sam­men jung ster­ben und mit Blu­men in den Hän­den gen Him­mel pil­gern.«

      »Sol­che Plä­ne macht man leicht, wenn man ge­sund ist«, er­wi­der­te Ra­pha­el und strich mit bei­den Hän­den durch Pau­li­nes Haar.

      Aber plötz­lich be­kam er einen furcht­ba­ren Hus­ten­an­fall. Es war ein schwe­rer, hoh­ler Hus­ten, der aus ei­ner Gruft zu schal­len scheint, der Bläs­se auf die Stirn des Kran­ken treibt, ihn am gan­zen Lei­be zit­ternd und in Schweiß ge­ba­det zu­rück­läßt, sei­ne Ner­ven auf­wühlt, den Brust­korb er­schüt­tert, sein Rücken­mark über­an­strengt und blei­er­ne Schwe­re in sei­nen Adern ver­brei­tet hat. Nie­der­ge­schla­gen und bleich ließ sich Ra­pha­el auf sein Bett sin­ken, er war er­schöpft wie ein Mensch, der sei­ne gan­ze Kraft in ei­ner letz­ten An­stren­gung ver­braucht hat. Pau­li­ne sah ihn mit star­ren, angst­voll ge­wei­te­ten Au­gen an. Sie blieb re­gungs­los, blaß und stumm.

      »Wir dür­fen kei­ne Tor­hei­ten mehr an­stel­len, Liebs­ter«, sag­te sie schließ­lich, um Ra­pha­el die furcht­ba­ren Vorah­nun­gen, die sie be­fie­len, zu ver­ber­gen.

      Sie schlug die Hän­de vors Ge­sicht. Das gräß­li­che Ge­rip­pe des To­des stand vor ihr. Ra­phaels Ant­litz war fahl und hohl wie ein Schä­del, der für die Stu­di­en ei­nes Ge­lehr­ten dem Sch­lund des Kirch­hofs ent­ris­sen wor­den ist. Pau­li­ne fiel Va­len­tins Aus­ruf vom Vora­bend ein, und sie sprach zu sich selbst: »Ja, es gibt Ab­grün­de, die die Lie­be nicht über­win­den kann, aber sie muß in ih­nen ver­sin­ken.«

      Ein paar Tage nach die­ser trost­lo­sen Sze­ne saß Ra­pha­el an ei­nem März­mor­gen in sei­nem Lehn­stuhl. Vier Ärz­te stan­den um ihn her­um, die ihn ans Fens­ter sei­nes Schlaf­zim­mers hat­ten rücken las­sen, wo es hell war, und ihm nach­ein­an­der den Puls be­fühl­ten, ihn ab­klopf­ten und mit schein­ba­rem In­ter­es­se be­frag­ten. Der Kran­ke such­te aus ih­ren Ges­ten und den kleins­ten Fal­ten auf ih­rer Stirn ihre Ge­dan­ken zu er­ra­ten. Die­se Kon­sul­ta­ti­on war sei­ne letz­te Hoff­nung. Die­se höchs­ten Rich­ter soll­ten sein Ur­teil spre­chen: Le­ben oder Tod. Um der mensch­li­chen Wis­sen­schaft das letz­te Wort zu ent­rei­ßen, hat­te Va­len­tin die Ora­kel der mo­der­nen Me­di­zin be­ru­fen. Dank sei­nem Ver­mö­gen und sei­nem Na­men be­fan­den sich die drei Sys­te­me, zwi­schen de­nen sich das mensch­li­che Wis­sen be­wegt, hier vor ihm. Drei von die­sen Dok­to­ren tru­gen die gan­ze ärzt­li­che Phi­lo­so­phie mit sich her­um und re­prä­sen­tier­ten den Kampf, den der Spi­ri­tua­lis­mus, die Ana­ly­se und ein ge­wis­ser spöt­ti­scher Ek­lek­ti­zis­mus un­ter­ein­an­der füh­ren. Der vier­te Arzt war Horace Bian­chon, ein Mann der Zu­kunft und rei­cher Kennt­nis­se, viel­leicht der aus­ge­zeich­nets­te un­ter den neu­en Ärz­ten, der klu­ge und be­schei­de­ne Ver­tre­ter der for­schen­den Ju­gend, die sich an­schickt, die Erb­schaft der seit 50 Jah­ren von der Éco­le de Pa­ris an­ge­häuf­ten Schät­ze an­zu­tre­ten, und die viel­leicht das Mo­nu­ment er­rich­ten wird, zu dem die frü­he­ren Jahr­hun­der­te so­viel ver­schie­de­nes Ma­te­ri­al zu­sam­men­ge­tra­gen ha­ben. Er war ein Freund des Mar­quis und Ras­ti­gnac und hat­te vor meh­re­ren Ta­gen sei­ne Be­hand­lung über­nom­men. Jetzt half er ihm, die Fra­gen der drei Pro­fes­so­ren zu be­ant­wor­ten, die er zu­wei­len mit ei­ni­ger Dring­lich­keit auf die Sym­pto­me hin­wies, die ihm eine Lun­gen­schwind­sucht an­zu­zei­gen schie­nen.

      »Sie ha­ben ohne Zwei­fel sehr aus­schwei­fend ge­lebt, ha­ben, wie man so sagt, ein tol­les Le­ben ge­führt und ha­ben sich auch großen geis­ti­gen An­stren­gun­gen ge­wid­met?« frag­te ei­ner der drei be­rühm­ten Dok­to­ren, des­sen ecki­ger Kopf, wuch­ti­ge Ge­stalt und ener­gi­sches Auf­tre­ten auf eine geis­ti­ge Über­le­gen­heit über sei­ne bei­den Geg­ner schlie­ßen ließ.

      »Ich woll­te mich durch Aus­schwei­fung zu­grun­de rich­ten, nach­dem ich drei Jah­re lang an ei­nem großen Werk ge­ar­bei­tet habe, mit dem Sie sich viel­leicht ein­mal be­schäf­ti­gen wer­den«, ant­wor­te­te ihm Ra­pha­el.

      Der große Arzt nick­te mit dem Kopf als Zei­chen sei­ner Zufrie­den­heit, als hät­te er sich selbst ge­sagt: »Ich wuß­te es!«