Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Читать онлайн книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac страница 189

Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ in die Welt ge­setzt ha­ben: Dumm wie eine Tat­sa­che.«

      »Dein Grund­satz«, ver­setz­te der Che­mi­ker, »scheint mir aber erst recht dumm zu sein.«

      Sie bra­chen in La­chen aus und speis­ten zu Abend wie Män­ner, die in ei­nem Wun­der nur noch ein Phä­no­men der Wis­sen­schaft er­blick­ten.

      *

      Va­len­tin war zu Hau­se an­ge­langt. Eine kal­te Wut hat­te ihn be­fal­len; er glaub­te an nichts mehr; sei­ne Ge­dan­ken strit­ten in sei­nem Hirn, dreh­ten sich und schwank­ten, wie es ei­nem Men­schen geht, der ei­ner un­mög­li­chen Tat­sa­che ins Auge sieht. Er hät­te gern an einen ver­bor­ge­nen Feh­ler in der Ma­schi­ne Spieg­hal­ters ge­glaubt; auch die Ohn­macht der Wis­sen­schaft und des Feu­ers hat­te ihn nicht ge­wun­dert; aber die Ge­schmei­dig­keit des Le­ders, als er es in die Hand nahm, und sei­ne Wi­der­stands­fä­hig­keit, als alle dem Men­schen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zer­stö­rungs­mit­tel ge­gen es ge­rich­tet wur­den, flö­ßten ihm Grau­en ein. Die­se un­be­streit­ba­re Tat­sa­che er­reg­te ihm Schwin­del.

      »Ich bin wahn­sin­nig«, sag­te er sich. »Ich habe seit heu­te mor­gen nichts ge­ges­sen und ver­spü­re trotz­dem we­der Hun­ger noch Durst, und da­bei füh­le ich in der Brust eine bren­nen­de Glut.«

      Er schob das Cha­grin­le­der wie­der in den Rah­men, in dem es bis vor kur­z­em ge­we­sen war, und nach­dem er mit ro­ter Tin­te die au­gen­blick­li­chen Kon­tu­ren des Ta­lis­mans nach­ge­zo­gen hat­te, setz­te er sich in sei­nen Lehn­stuhl.

      »Schon acht Uhr!« rief er. »Die­ser Tag ist wie ein Traum ver­gan­gen.«

      Er leg­te die Arme auf die Ses­sel­leh­ne, stütz­te den Kopf auf die lin­ke Hand und blieb in düs­te­re Be­trach­tun­gen, in jene ver­zeh­ren­den Ge­dan­ken ver­sun­ken, de­ren Ge­heim­nis die zum Tode Ver­ur­teil­ten mit sich neh­men.

      »Ach, Pau­li­ne!« rief er. »Ar­mes Kind! Es gibt Ab­grün­de, die selbst die Lie­be nicht zu über­win­den ver­mag, trotz der Kraft ih­rer Flü­gel.« In die­sem Au­gen­blick hör­te er ganz deut­lich einen un­ter­drück­ten Seuf­zer. Er horch­te auf, und in­fol­ge ei­ner der rüh­rends­ten Vor­zü­ge der Lie­be er­kann­te er den Atem sei­ner Pau­li­ne. »Oh«, sag­te er sich, »das ist mein To­des­ur­teil. Wenn sie da wäre, woll­te ich in ih­ren Ar­men ster­ben!«

      Ein un­be­schwer­tes, fröh­li­ches La­chen er­klang. Er wand­te den Kopf nach sei­nem Bett und sah durch die durch­schei­nen­den Vor­hän­ge Pau­li­nes Ge­sicht. Sie strahl­te, glück­lich wie ein Kind, das sich über einen ge­lun­ge­nen Streich freut; ihr schö­nes Haar fiel ihr in tau­send Lo­cken über die Schul­tern; sie glich ei­ner ben­ga­li­schen Rose in ei­nem Blü­ten­meer wei­ßer Ro­sen.

      »Ich habe Jo­na­thas ver­lei­tet«, sag­te sie; »ge­hört die­ses Bett nicht mir, bin ich nicht dei­ne Frau? Schilt nicht, Ge­lieb­ter, ich woll­te nur in dei­ner Nähe schla­fen, woll­te dich über­ra­schen. Ver­zeih mir die Tor­heit!« Sie sprang wie eine Kat­ze aus dem Bett, stand strah­lend schön in ih­rem Mus­se­lin vor Ra­pha­el und setz­te sich ihm auf den Schoß. »Von wel­chem Ab­grund sprachst du denn, Liebs­ter?« frag­te sie, und ihre Stirn zeig­te ihre Be­sorg­nis.

      »Vom Tode.«

      »Du tust mir weh«, ant­wor­te­te sie; »es gibt Vor­stel­lun­gen, die wir ar­men Frau­en nicht er­tra­gen kön­nen; sie tö­ten uns. Kommt es von un­se­rer star­ken Lie­be oder vom Man­gel an Mut? Ich weiß es nicht. Der Tod schreckt mich nicht.« Da­bei lach­te sie schon wie­der. »Mit dir mor­gen früh in ei­nem letz­ten Kuß zu ster­ben wäre eine Won­ne. Mir ist, als hät­te ich schon mehr als 100 Jah­re ge­lebt. Was liegt an der Zahl der Tage, wenn wir in ei­ner Nacht, in ei­ner Stun­de ein gan­zes Le­ben vol­ler Frie­den und Glück aus­ge­schöpft ha­ben?«

      »Du hast recht. Aus dei­nem hol­den Mund spricht der Him­mel. Laßt ihn mich küs­sen, und dann wol­len wir ster­ben.«

      »Ster­ben wir also!« gab sie la­chend zur Ant­wort.

      Ge­gen neun Uhr mor­gens schi­en der Tag durch die Spal­ten der Ja­lou­si­en; die Mus­selin­vor­hän­ge dämpf­ten das Licht, aber schon konn­te man die kräf­tigs­ten Far­ben des Tep­pichs und die sei­denglän­zen­den Mö­bel des Zim­mers er­ken­nen, in dem die bei­den Lie­ben­den ruh­ten. Ve­rein­zelt schim­mer­ten Ver­gol­dun­gen auf. Ein Strahl erstarb auf dem wei­chen Dau­nen­kis­sen, das im Lie­bes­s­piel zu Bo­den ge­fal­len war. Pau­li­nes Kleid, das an ei­nem ho­hen Spie­gel auf­ge­hängt war, sah wie eine Geis­ter­ge­stalt aus. Die zier­li­chen Schu­he wa­ren weit vom Bett ent­fernt lie­gen­ge­las­sen wor­den. Eine Nach­ti­gall hat­te sich aufs Fens­ter­brett ge­setzt; ihr hel­les Sin­gen, ihr ra­scher Flü­gel­schlag, als sie plötz­lich da­von­flog, weck­ten Ra­pha­el auf.

      »Wenn ich ster­ben soll«, sag­te er sich und vollen­de­te da­mit einen Ge­dan­ken sei­nes Trau­mes, »muß mein Or­ga­nis­mus, die­ser Ap­pa­rat von Fleisch und Kno­chen, der von mei­nem Wil­len be­seelt ist und aus mir ein mensch­li­ches In­di­vi­du­um macht, eine be­trächt­li­che Schä­di­gung auf­wei­sen. Die Ärz­te müs­sen die Sym­pto­me der an­ge­grif­fe­nen Le­bens­kraft er­ken­nen und mir sa­gen kön­nen, ob ich ge­sund oder krank bin.«

      Er be­trach­te­te sei­ne schla­fen­de Frau, die sei­nen Kopf um­schlun­gen hielt und ihn auch im Schlum­mer mit der zärt­li­chen Für­sor­ge der Lie­be um­gab. Zier­lich aus­ge­streckt wie ein Kind, das Ge­sicht ihm zu­ge­wandt, schi­en Pau­li­ne ihn noch im­mer an­zu­se­hen, ihm den hüb­schen halb­ge­öff­ne­ten Mund dar­zu­bie­ten, aus dem ihr re­gel­mä­ßi­ger, rei­ner Atem drang. Ihre klei­nen schim­mern­den Zäh­ne ho­ben das Rot ih­rer fri­schen Lip­pen her­vor, um die ein Lä­cheln schweb­te; die ro­si­ge Fär­bung ih­res Ant­lit­zes war in die­sem Au­gen­blick leb­haf­ter, sein Weiß ge­wis­ser­ma­ßen noch wei­ßer als in den ver­lieb­tes­ten Stun­den des Ta­ges. Ihre an­mu­ti­ge Hin­ge­ge­ben­heit, aus der so rei­nes Ver­trau­en sprach, füg­te dem Zau­ber der Lie­be noch den wun­der­vol­len Reiz schlum­mern­der Kind­heit hin­zu. Selbst die na­tür­lichs­ten Frau­en ge­hor­chen wäh­rend des Ta­ges ge­wis­sen ge­sell­schaft­li­chen Kon­ven­tio­nen, die nai­ve Ge­fühls­äu­ße­run­gen hem­men, der Schlaf je­doch scheint ih­nen jene un­be­fan­ge­ne Na­tür­lich­keit wie­der­zu­ge­ben, die die ers­ten Le­bens­jah­re so köst­lich schmückt: Pau­li­ne er­rö­te­te über nichts, sie war eins der hol­den himm­li­schen Ge­schöp­fe, de­nen die Ver­nunft noch kei­ne Ge­dan­ken in die Be­we­gun­gen, kei­ne Ge­heim­nis­se in die Bli­cke ge­mischt hat. Ihr Pro­fil hob sich klar von dem fei­nen Ba­tist der Kopf­kis­sen ab; die brei­ten Spit­zen­rü­schen, die sich in ihr ge­lös­tes Haar misch­ten, ga­ben ihr ein leicht schel­mi­sches Aus­se­hen; aber sie war auch in Won­ne ein­ge­schla­fen. Ihre lan­gen Wim­pern ruh­ten auf ih­ren Wan­gen, wie um die Au­gen vor grel­lem Licht zu schüt­zen oder die See­le, wenn sie eine voll­kom­me­ne, aber flüch­ti­ge Lust fest­zu­hal­ten sucht, in ih­rer Samm­lung zu un­ter­stüt­zen; ihr zier­li­ches, ro­si­ges Ohr, das, von Haa­ren um­lockt, aus Me­chel­ner Spit­zen her­vor­schau­te, hät­te einen Künst­ler, einen Ma­ler, СКАЧАТЬ