Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ über den zwei­fel­haf­ten Ein­fluß, den er auf ihr künf­ti­ges Ge­schick aus­üben soll­te, lus­tig mach­ten, hat doch noch kei­ner ge­wagt, die­sen von ei­ner un­be­kann­ten Macht so ver­häng­nis­voll vor­ge­schla­ge­nen Pakt ein­zu­ge­hen. Ich den­ke wie sie, ich habe ge­zwei­felt, habe mich ent­hal­ten, und …«

      »Und Sie ha­ben es nicht ein­mal pro­biert?« un­ter­brach ihn der jun­ge Mann.

      »Pro­bie­ren!« rief der Alte. »Wenn Sie auf der Ven­dô­me-Säu­le stän­den, wür­den Sie dann wohl pro­bie­ren, in die Luft zu sprin­gen? Kann man den Lauf des Le­bens auf­hal­ten? Hat der Mensch je ver­mocht, stück­chen­wei­se zu ster­ben? Be­vor Sie in die­ses Ka­bi­nett tra­ten, wa­ren Sie ent­schlos­sen, sich das Le­ben zu neh­men; aber plötz­lich be­schäf­tigt Sie ein Ge­heim­nis und bringt Sie vom Ster­ben ab. Kind! Wird Ih­nen nicht je­der Ih­rer Tage ein noch span­nen­de­res Rät­sel auf­ge­ben, als es die­ses ist? Hö­ren Sie mich an. Ich habe noch den las­ter­haf­ten Hof des Re­gen­ten ge­se­hen. Wie Sie steck­te ich da­mals im Elend, ich habe mein Brot er­bet­telt. Trotz­dem bin ich ein­hun­dertzwei Jah­re alt und Mil­lio­när ge­wor­den: das Un­glück mach­te mich reich, die Un­wis­sen­heit mach­te mich klug. Ich will Ih­nen in we­ni­gen Wor­ten ein großes Ge­heim­nis des mensch­li­chen Le­bens of­fen­ba­ren: Der Mensch er­schöpft sich durch zwei Akte, die er in­stink­tiv voll­zieht und die sei­ne Le­bens­quel­len zum Ver­sie­gen brin­gen. Zwei Ver­ben drücken alle For­men aus, die die­se bei­den To­des­ur­sa­chen an­neh­men: Wol­len und Kön­nen. Zwi­schen die­sen bei­den Grenz­be­grif­fen mensch­li­chen Han­delns liegt ein an­de­rer, des­sen sich die Wei­sen be­mäch­ti­gen, und ihm ver­dan­ke ich das Glück und mein lan­ges Le­ben. Das Wol­len ver­zehrt uns, und das Kön­nen zer­stört uns; aber das Wis­sen läßt un­sern schwa­chen Or­ga­nis­mus in ei­nem im­mer­wäh­ren­den Zu­stand der Ruhe. So ist das Ver­lan­gen oder das Wol­len in mir tot, vom Den­ken ver­nich­tet. Die Be­we­gung oder das Kön­nen ist durch das na­tür­li­che Spiel mei­ner Or­ga­ne auf­ge­ho­ben. Kurz, ich habe mein Le­ben nicht in das Herz, das bricht, nicht in die Sin­ne, die ab­stump­fen, son­dern in das Ge­hirn ver­legt, das sich nicht ab­nutzt und al­les über­lebt. Kein Über­maß hat mei­ner See­le oder mei­nem Leib je ge­scha­det. Den­noch habe ich die gan­ze Welt ge­se­hen. Ich habe mei­ne Füße auf die höchs­ten Ber­ge Asi­ens und Ame­ri­kas ge­setzt, habe alle Spra­chen der Welt ge­lernt und un­ter al­len Herr­schafts­for­men ge­lebt. Ich habe ei­nem Chi­ne­sen mein Geld ge­borgt, der mir den Leich­nam sei­nes Va­ters ver­pfän­de­te, ich habe im Zelt des Ara­bers ge­schla­fen, nur sei­nem Wort ver­trau­end; ich habe in al­len Haupt­städ­ten Eu­ro­pas Ver­trä­ge un­ter­zeich­net und habe mein Gold be­den­ken­los im Wig­wam der Wil­den ge­las­sen; kurz, ich habe al­les er­reicht, weil ich al­les zu ver­ach­ten ver­stand. Mein ein­zi­ger Ehr­geiz war: zu se­hen. Se­hen, heißt das nicht wis­sen? Oh, jun­ger Mann, heißt wis­sen nicht in­tui­tiv ge­nie­ßen? Heißt dies nicht das We­sen der Din­ge ent­de­cken und sich des­sen zu be­mäch­ti­gen? Was bleibt uns vom ma­te­ri­el­len Be­sitz? Eine Vor­stel­lung. Ur­tei­len Sie nun selbst, wie schön das Le­ben ei­nes Man­nes sein muß, der alle Wirk­lich­keit in sein Den­ken auf­zu­neh­men ver­mag, den Ur­sprung des Glücks in sei­ne See­le ver­legt und so tau­send voll­kom­me­ne Freu­den ge­nießt, die von ir­di­schem Ma­kel be­freit sind. Das Den­ken ist der Schlüs­sel zu al­len Schät­zen, es ver­schafft die Freu­den des Gei­zi­gen, ohne des­sen Sor­gen. So habe ich mich über die Welt er­ho­ben, und mei­ne Genüs­se sind geis­ti­ger Art ge­we­sen. Mei­ne Aus­schwei­fun­gen wa­ren die Be­trach­tung der Mee­re, der Völ­ker, der Wäl­der, der Ge­bir­ge. Ich habe al­les ge­se­hen, aber in Ruhe, ohne An­stren­gung; ich habe nie et­was her­bei­ge­wünscht, ich habe al­les ab­ge­war­tet. Ich habe das Uni­ver­sum durch­wan­delt wie den Gar­ten ei­nes Hau­ses, das mir ge­hör­te. Was die Men­schen Kum­mer, Lie­be, Ehr­geiz, Miß­ge­schick, Trau­rig­keit nen­nen, das sind für mich Be­grif­fe, die ich in Träu­me­rei­en ver­wand­le. Statt sie zu emp­fin­den, ver­ar­bei­te ich sie und ver­deut­li­che sie; an­statt von ih­nen mein Le­ben ver­zeh­ren zu las­sen, dra­ma­ti­sie­re und ent­wick­le ich sie und er­göt­ze mich dar­an wie an Ro­ma­nen, die ich mit mei­nem in­ne­ren Auge lese. Da ich mei­ne Or­ga­ne nie­mals über­an­strengt habe, er­freue ich mich noch ei­ner gu­ten Ge­sund­heit. Da mei­ner See­le die gan­ze Kraft, die ich nicht ver­braucht habe, zu­gu­te ge­kom­men ist, so ist mein Kopf noch bes­ser aus­ge­stat­tet als die­se La­ger­räu­me. Hier«, sag­te er und klopf­te sich an die Stirn, »hier sind die wah­ren Mil­lio­nen. Ich ver­brin­ge köst­li­che Tage, wenn ich in Ge­dan­ken den Blick in die Ver­gan­gen­heit schwei­fen las­se; gan­ze Län­der, Land­schaf­ten, Bil­der des Mee­res, Ge­stal­ten von his­to­ri­scher Schön­heit be­schwö­re ich her­auf. Ich habe ein ima­gi­näres Serail, wo ich alle Frau­en be­sit­ze, die mir nie ge­hört ha­ben. Oft las­se ich eure Krie­ge, eure Re­vo­lu­tio­nen an mir vor­über­zie­hen und ur­tei­le über sie. Oh! wie kann man die flüch­ti­ge, hit­zi­ge Lust an mehr oder we­ni­ger ro­si­gem Fleisch, an mehr oder we­ni­ger üp­pi­gen For­men, wie kann man das Un­heil, das von eu­rem be­tro­ge­nen Wil­len kommt, der er­ha­be­nen Fä­hig­keit vor­zie­hen, das Uni­ver­sum an sich zu re­pro­du­zie­ren, das un­ge­hemm­te Glück, sich frei zu be­we­gen, ohne an die Fes­seln von Zeit und Raum ge­ket­tet zu sein, der Se­lig­keit teil­haf­tig zu wer­den, al­les zu um­fas­sen, al­les zu se­hen, sich über den Rand der Welt zu nei­gen, um die an­dern Sphä­ren zu be­fra­gen, um Gott zu lau­schen! Da­rin«, sag­te er mit er­ho­be­ner Stim­me und deu­te­te auf das Cha­grin­le­der, »dar­in sind ›Kön­nen‹ und ›Wol­len‹ gleich. Da sind eure so­zia­len Ide­en, eure aus­schwei­fen­den Be­gier­den, eure maß­lo­sen Genüs­se, eure töd­li­chen Lüs­te, eure le­bens­zeh­ren­den Schmer­zen ver­eint; denn der Schmerz ist viel­leicht nur eine all­zu hef­ti­ge Lust. Wer ver­mag wohl den Punkt zu be­stim­men, wo die Lust Schmerz wird und wo der Schmerz noch Lust ist! Tun nicht die lich­tes­ten Strah­len der idea­len Welt dem Auge noch wohl, wäh­rend jede noch so ge­lin­de Fins­ter­nis der phy­si­schen Welt ihm weh tut? Kommt das Wort Weis­heit nicht von Wis­sen? Und was ist die Tor­heit, wenn nicht das Über­maß ei­nes Wol­lens oder Kön­nens?«

      »Wohl­an denn, ich will le­ben im Über­maß!« sprach der Un­be­kann­te und er­griff das Cha­grin­le­der.

      »Jun­ger Mann, hü­ten Sie sich!« rief der Alte mit un­glaub­li­cher Hef­tig­keit.