Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Ingo Reich
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung - Ingo Reich страница 13

СКАЧАТЬ Aus pragmatischer Perspektive kann man dagegen argumentieren, dass die Inferenz von einige auf nicht alle eben in solchen Kontexten blockiert wird, in denen das Quantifizierte (also die Studierenden bzw. der Wein) keine (wie auch immer) abgeschlossene Menge darstellt (innerhalb der wir die eine Gruppe von Personen bzw. Objekten mit der anderen kontrastieren können).

      Die Frage aber bleibt, wie diese Generalisierte Quantitätsimplikaturengeneralisierten Konversationsimplikaturen zustande kommen. Im Allgemeinen wird mit Grice angenommen, dass Implikaturen dieser Art auf die Beachtung der Maxime der Quantität zurückgehen. Nehmen wir an, es hätten tatsächlich alle Studierende die Klausur bestanden. Dann ist sowohl die Aussage, dass alle Studierende die Klausur bestanden haben, wahr als auch die Aussage, dass einige Studierende die Klausur bestanden haben. Denn wenn alle die Klausur bestanden haben, dann haben notwendigerweise immer auch einige die Klausur bestanden. Aber die Aussage, dass alle [48]Studierende die Klausur bestanden haben, ist in diesem Kontext die informativere und damit nach der Maxime der Quantität auch angemessenere Äußerung. Wenn nun aber der Sprecher die weniger informative Aussage äußert und wir davon ausgehen können, dass er die Maxime der Quantität beachtet, dann müssen wir daraus schließen, dass die Voraussetzung für die stärkere Aussage nicht gegeben ist. Und diese Voraussetzung ist, dass alle Studierende die Klausur bestanden haben. Also werden wir daraus schließen, dass nicht alle Studierende die Klausur bestanden haben.

      Interessanterweise findet sich das obige Muster – die Äußerung eines schwächeren AusdrucksSkalare ImplikaturenImplikaturskalare implikatiertimplikatieren das Nichtzutreffen des stärkeren Ausdrucks – nicht nur im Fall von einige und alle, sondern zum Beispiel auch bei können und müssen: Wenn ich mir einen Keks nehmen kann, dann muss ich ihn mir nicht nehmen. Oder auch bei glauben und wissen: Wenn ich sage, dass ich glaube, dass Augustin Speyer in seinem Büro ist, dann heißt das eben auch, dass ich es nicht (sicher) weiß. Dass dieses Phänomen ein sehr systematisches ist, wurde unter anderem in Horn (1972) beobachtet, der die Idee entwickelte, dieses Muster in so genannten SkalenSkala (heute Horn-Skalen genannt) zu formalisieren. Eine Skala meint in diesem Zusammenhang eine geordnete Liste von gleichartigen Ausdrücken, wobei der links stehende Ausdruck immer echt informativer ist als der rechts stehende Ausdruck. So ist < alle, einige > eine Skala bestehend aus den Quantoren einige und alle, < müssen, können > eine Skala bestehend aus den Modalverben können und müssen, und < wissen, glauben > eine Skala bestehend aus den Verben der propositionalen Einstellung glauben und wissen. Die Generalisierung ist nun, dass bei einer Skala < A2, A1 > der Ausdruck A2 (qua lexikalische Bedeutung) echt informativer ist als der Ausdruck A1 und die Äußerung von A1 (daher) im Normalfall das Nichtzutreffen von A2 kommuniziert. Diese Annahme lässt sich auch auf größere Skalen wie z. B. Numerale < n, n-1, …, 5, 4, 3, 2, 1 > generalisieren: Wenn ich einem Polizisten sage, dass ich 2 Gläser Wein getrunken habe, dann wird er davon ausgehen, dass ich keine 3 getrunken habe, und auch keine 4, und auch keine 5 etc. Die Annahme von Default-Folgerungen, die genau genommen nicht mehr direkt auf den Grice’schen Maximen operieren, nimmt die Weiterentwicklung der Theorie der generalisierten Implikaturen in Levinson (2000) bis zu einem gewissen Grad vorweg.

      Die Theorie der skalaren Implikaturen eröffnet unter anderem eine Lösung für ein Problem, das sich im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung der koordinierenden Konjunktion oderoderinklusivesoderexklusives im Deutschen stellt. Das Pendant zu oder in der Aussagenlogik, das formale Symbol ˅, verknüpft zwei Aussagen p und q zu einer komplexen Aussage (p ˅ q), die genau dann wahr ist, wenn mindestens eine der beiden Teilaussagen p und q wahr ist. In Form einer Wahrheitswerttabelle lässt sich diese inklusive Zur Arbeitsteilung zwischen Semantik und PragmatikSemantik des Junktors ˅ wie folgt darstellen: Die beiden Teilaussagen p und q können jeweils entweder den Wahrheitswert 1 (wahr) oder 0 (falsch) annehmen. Damit ergeben sich insgesamt 2 × 2 = 4 Möglichkeiten: Entweder sind beide wahr oder beide falsch oder genau eine der beiden wahr. Jede Zeile in der Tabelle repräsentiert eine dieser Möglichkeiten (vergleiche hierzu die Einträge in den beiden linken Spalten zu p und q). In der Spalte (p ˅ q) ist dann jeweils angegeben, ob der Satz (p ˅ q) unter dieser Wahrheitswertverteilung wahr ist oder falsch:

      Die Frage, die sich nun stellt, ist: Ist die Bedeutungsbeschreibung des Junktors ˅ in der Aussagenlogik auch eine geeignete Bedeutungsbeschreibung für die Konjunktion oder im Deutschen? Auf den ersten Blick möchte man sagen: Nein! Denn oder im Deutschen schließt im Allgemeinen aus, dass beide Aussagen gleichzeitig zutreffen. Wenn ich sage: Ich wasche dir das Auto oder ich mähe den Rasen, dann schließe ich damit offenbar die Möglichkeit aus, dass ich beides mache. Betrachtet man sich nun aber auch die Bedeutungsbeschreibung des Pendants ˄ zu und in der Aussagenlogik, dann sieht man schnell, dass ˅ und ˄ eine Skala <˄, ˅> bilden: Wenn die Aussage (p ˄ q) wahr ist, dann ist immer auch (p ˅ q) wahr, aber nicht umgekehrt. Nach der Theorie der skalaren Implikaturen löst dann aber eine Äußerung von (p ˅ q) die Annahme aus, dass (p ˄ q) nicht zutrifft. Beide Aussagen zusammen, also die komplexe Aussage ((p ˅ q) ˄ ¬ (p ˄ q)), sind aber inhaltlich äquivalent zu einer exklusiven (also ausschließenden) Interpretation von ˅. Übernimmt man also die Bedeutungsbeschreibungen von ˄ und ˅ für die Konjunktionen und und oder, dann lässt sich die exklusive Interpretation von oder auf der Basis einer inklusiven Semantik von oder in Interaktion mit pragmatischen Prinzipien herleiten.

      Beschließen wir den Abschnitt zu Konversationsimplikaturen mit einem weiteren Beispiel. Nehmen wir an, Sie stehen mit Ihrem Kollegen vor Ihrer Bürotür, haben einen Kaffee in der Hand und suchen nach Ihrem Schlüssel. Sie finden ihn aber nicht. Darauf hin sagen Sie zu Ihrem Kollegen: Kannst du mir die Türe öffnen? Genau genommen ist diese Frage eine Frage nach der Fähigkeit [50]oder Möglichkeit des Kollegen, die Türe zu öffnen. Dass dem tatsächlich so ist, zeigt die Tatsache, dass der Kollege die Frage im Prinzip mit ja beantworten kann (z. B., weil alle Bürotüren mit demselben Gruppenschlüssel geöffnet werden). Die Frage nach der Möglichkeit ist aber natürlich nicht der kommunikative Sinn der Äußerung. Was der Sprecher primär möchte, ist, dass der Kollege einfach die Bürotür öffnet. Mit anderen Worten: Wir verstehen die Frage nach der Möglichkeit, etwas zu tun, als die Aufforderung, es zu tun. Dieses Phänomen wird in der Literatur unter dem Indirekte SprechakteBegriff der indirekten SprechakteSprechaktindirekter diskutiert.

      3.5 Sprechakte

      Was ist ein Sprechakt? Bis jetzt haben wir uns darauf konzentriert, dass ein zentraler Aspekt sprachlicher Kommunikation darin besteht, Informationen zu kommunizieren (über sprachliche Kodierung und nicht-monotone Inferenz). Das ist aber nicht die ganze Geschichte. Es ist zwar richtig, dass mit einer Äußerung in der Regel (auf irgendeine Art und Weise) Information kommuniziert wird, gleichzeitig können sprachliche Äußerungen aber immer auch als eine Form der HandlungHandlungAkt aufgefasst werden: Wenn ich den Satz Gib mir doch bitte mal das Buch da rüber! äußere, dann fordere ich den Adressaten mit dieser Äußerung auf, mir das fragliche Buch zu geben. Und wenn der Adressat darauf mit Welches Buch meinst du denn? reagiert, dann werde ich diese Äußerung als eine Frage verstehen, die ich zum Beispiel mit Ich meine »Homers letzter Satz« von Simon Singh beantworte. Die Handlung, die mit einer sprachlichen Äußerung verbunden wird, wird mit Austin (1962) Was ist ein Sprechakt?als Sprechakt bezeichnet.

      Mit sprachlichen Äußerungen wird (typischerweise) auch eine sprachliche Handlung vollzogen. Diese Handlung wird seit Austin (1962) als SprechaktSprechakt bezeichnet.

      Tatsächlich СКАЧАТЬ