Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Ingo Reich
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СКАЧАТЬ deiktische ZentrumZentrumdeiktischesOrigo) genannt.

      Als deiktisch oder indexikalisch bezeichnet man sprachliche Ausdrücke, die nicht aus eigener Kraft direkt auf einen (abstrakten) Gegenstand referieren, sondern deren Referenz relativ zum deiktischen Zentrum, der Origo, über relevante Eigenschaften der Äußerungssituation und weitere Hinweise wie z. B. Gesten festgelegt wird.

      Dieser relationale Bezug auf die Origo lässt sich am besten an einem Ein BeispielBeispiel illustrieren: Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Promotionsfeier und Sie hören eine Ihnen unbekannte Person in der Ferne sagen: »Dort hinten habe ich gestern ganz alleine das Buffet aufgebaut.« Nehmen wir außerdem an, Sie stehen gerade direkt neben dem Buffet. Dann werden Sie keine Probleme haben aufzulösen, was die fragliche Person mit »dort hinten« gemeint hat, und Sie werden sich etwas denken in der Art: »Ah, hier hat er gestern (angeblich) ganz alleine das Buffet aufgebaut«. Vergleicht man nun die beiden Äußerungen, dann ist klar, dass sich die beiden lokalen Adverbien dort und hier in den Äußerungen auf denselben Ort beziehen (den Ort des Buffets) und die beiden Personalpronomina ich und er auf dieselbe Person (die Person, die das Buffet nach eigener Aussage ganz alleine aufgebaut hat). Aber während der Sprecher der ersten Äußerung das Adverb dort benutzt, um sich auf den Ort des Buffets zu beziehen, und das Pronomen ich, um auf sich selbst zu referieren, benutzen Sie in ihrer gedanklichen Äußerung bei gleichem Bezug das Adverb hier und das Pronomen er. Die Wahl des pronominalen Ausdrucks hängt also offenbar erstens davon ab, wer der Produzent der Äußerung ist: Mit ich bezieht sich der Produzent einer Äußerung auf sich selbst, mit er bezieht er sich (im Normalfall) auf eine dritte Person (und mit du bezieht er sich auf den Adressaten der Äußerung). Zweitens hängt sie aber (mindestens) im Fall von dort und hier auch davon ab, wie der fragliche Ort relativ zum Sprecher zu verorten ist: Ist er in seiner unmittelbaren Nähe, dann wird der Sprecher hier verwenden. Ist der Ort aber hinreichend weit vom Sprecher entfernt, dann wird er dort verwenden.

      Dieses Beispiel zeigt, dass man bei lokaler Deixis zwischen Nahraum und (gerichteter) Distanzraumeinem NahraumNahraum, dem Hier, der den Ort des Sprechers inkludiert, und einem komplementären DistanzraumDistanzraum, dem Dort, unterscheiden kann. Die Ausdehnung des Nahraums ist dabei selbst wieder stark kontextabhängig (ich kann von hier in meinem Büro, von hier in Saarbrücken oder auch von hier in Europa sprechen) und die Grenze zwischen Nah- und Distanzraum ist im Allgemeinen vage. Die Richtung, in der das distaledistal (vom Sprecher entfernte) Objekt zu lokalisieren ist, ist dagegen zumindest im Fall von dort für die Unterscheidung zwischen Nahraum und Distanzraum zunächst unerheblich.

      Im Fall der temporalen Deixis ist das etwas anders. Zeit hat (in unserer Vorstellung) eine gerichtete lineare Struktur und der Zeitpunkt der Äußerung, das Jetzt, teilt diese gerichtete Zeitlinie ein in ein Davor und ein Danach, in eine Vergangenheit und eine Zukunft. Diese Zweiteilung schlägt sich natürlich auch in der Art der Versprachlichung nieder: Mit gestern beziehen wir uns eben auf den Tag vor dem Tag der Äußerung und mit morgen auf den Tag nach dem [39]Tag der Äußerung. Mit vorhin bezeichnen wir einen Zeitraum, der zwar Teil des Davor ist, dabei aber relativ nahe am Jetzt, und mit nachher bezeichnen wir einen ebenfalls Jetzt-nahen Zeitraum im Danach.

      Ob die Unterscheidung zwischen Nähe und Distanz auch bei der personalen Deixis sinnvoll ist, ist nicht völlig klar. Für die Charakterisierung von ich und du ist eigentlich die Unterscheidung zwischen Produzent und Adressat ausreichend. Dennoch wird nicht selten angenommen, dass die erste Person ich ein proximalesproximal (inkludiert den Sprecher) und die zweite Person du ein medialesmedial Verhältnis ausdrückt in dem Sinne, dass der Adressat zwar nicht mehr Teil der Origo, aber noch Teil der Äußerungssituation ist. Die dritte Person er, sie, es dagegen würde man eher als distal charakterisieren: Sie ist im Gegensatz zu ich und du eben nicht mehr notwendig Teil der Äußerungssituation.

      Abschließend sei noch erwähnt, dass der Bezugspunkt deiktischer Ausdrücke, die Ich-Jetzt-Hier-Origo, entlang jeder der drei Dimensionen Das Verschieben der Origoverschoben werden kann. Man spricht hier auch von Deixis am PhantasmaDeixisam Phantasma (vgl. Bühler 1934). Am deutlichsten ist dies wohl im Fall der lokalen Deixis: Wenn eine Ärztin in einer Krankenakte notiert, dass das linke Bein des Patienten gebrochen ist und operiert werden muss, dann meint links hier links vom Patienten aus gesehen, und nicht links von der Ärztin aus gesehen. Die Ärztin nimmt hier bei der Formulierung per Konvention (aus guten Gründen) gedanklich die Perspektive des Patienten ein.

      3.3 Äußerungsbedeutung und kommunikativer Sinn

      In Abschnitt 3.1 wurde gezeigt, dass sich die Äußerungsbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks direkt aus seiner Ausdrucksbedeutung durch Verankerung der in der Äußerung enthaltenen deiktischen Ausdrücke in der Äußerungssituation ergibt. Machen wir uns das noch einmal an einem inzwischen klassischen Beispiel von Posner (1979: 357) klar, das als »Maat-Beispiel« in die Literatur eingegangen ist:

      Ein Schiffsmaat versteht sich nicht mit seinem Kapitän. Der Kapitän ist Antialkoholiker, während der Maat häufig betrunken ist. Der Kapitän möchte ihm deshalb gerne eine Ordnungsstrafe verpassen lassen, wenn das Schiff wieder in den Hafen kommt. Eines Tages, als der Kapitän Wache hat und der Maat wieder zu grölen anfängt, wird es dem Kapitän zu viel, und er schreibt in das Logbuch: […] »Heute, 23. März, der Maat ist betrunken.« Als der Maat [40]einige Tage später selbst Wache hat, sieht er diesen Logbucheintrag und überlegt, wie er dagegen angehen kann, ohne sich weiter zu kompromittieren. Schließlich macht auch er einen Eintrag ins Logbuch, der lautet: […] »Heute, 26. März, der Kapitän ist nicht betrunken«.

      Betrachten wir zunächst den Logbucheintrag des Der Maat und sein KapitänKapitäns. Der Kapitän hat »Heute, 23. März, der Maat ist betrunken.« in das Logbuch eingetragen. Diesen Eintrag können wir natürlich als eine Form der Äußerung auffassen, und in dieser Äußerung sind deiktische Ausdrücke wie heute auch bereits (im Wesentlichen) im Äußerungskontext verankert. Die Äußerungsbedeutung des Logbucheintrags lässt sich damit in aller Kürze wie folgt zusammenfassen: »Dass der Maat (des fraglichen Schiffs) am 23. März (des fraglichen Jahres) betrunken ist.« Dies ist im Wesentlichen auch die Information, die der Kapitän mit seinem Logbucheintrag den verantwortlichen Personen kommunizieren möchte. Analog können wir die Äußerungsbedeutung des zweiten Logbucheintrags wie folgt paraphrasieren: »Dass der Kapitän (des fraglichen Schiffs) am 26. März (des fraglichen Jahres) nicht betrunken ist.« Der wesentliche Unterschied zum Eintrag des Kapitäns und damit der Witz der ganzen Geschichte ist natürlich, dass der Maat mit seiner Äußerung dem Leser des Logbuchs etwas ganz anderes nahelegen möchte, ohne dies aber explizit zu formulieren: »Dass der Kapitän normalerweise betrunken ist.« Tatsächlich zielt der Logbucheintrag des Maats vor allem darauf ab. Mit anderen Worten: Der Maat hat etwas (intentional und erfolgreich) kommuniziert (»dass der Kapitän normalerweise betrunken ist«), ohne dies explizit zu sagen. Das, was er im eigentlichen Sinne ›gesagt‹ hat und worauf man ihn festnageln kann, ist lediglich die unstrittige Aussage, dass der Kapitän am 26. März nicht betrunken war.

      Die zentrale Frage, die dieses Beispiel aufwirft, ist die folgende: Wie kann es sein, dass wir mehr (intentional und erfolgreich) kommunizieren können, als wir im strikten Sinne des Wortes eigentlich sagen? Eine erste Ein erster ErklärungsversuchErklärung liegt gerade bei diesem Beispiel recht nahe: Ein Logbuch ist dadurch charakterisiert, dass in ihm nur besonders relevante bzw. erwähnenswerte Ereignisse verzeichnet werden. Indem der Maat die Aussage, dass der Kapitän am 26. März nicht betrunken war, explizit ins Logbuch aufnimmt, kennzeichnet СКАЧАТЬ