Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Ingo Reich
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СКАЧАТЬ (mehr oder weniger bewusst) in unterschiedlicher Weise einsetzen können, um Inhalte indirekt und auf einer impliziten Ebene zu kommunizieren: Indem wir uns an die Maximen halten, aber auch, indem wir gegen die Maximen (scheinbar) verstoßen. Inhalte, die wir auf der Grundlage der Grice’schen Maximen und auf der Grundlage dessen, was explizit gesagt wurde, kommunizieren, nennt Grice Konversationsimplikaturen. Vor allem in der germanistisch-linguistischen Literatur werden Konversationsimplikaturen auch gerne als das GemeinteGemeintes bezeichnet. Der Begriff der Konversationsimplikatur fällt dabei im Wesentlichen zusammen mit dem des kommunikativen Sinns.

      Der Begriff der KonversationsimplikaturKonversationsimplikaturenImplikatur bezeichnet Inhalte, die auf der Basis des Gesagten, auf der Basis der Grice’schen Maximen und auf der Grundlage von allgemeinem und persönlichem Weltwissen (nicht-monoton) kommuniziert werden.

      Das GesagteGesagtes im Sinne von Grice (1975) fällt im Wesentlichen mit der als wahr bzw. falsch beurteilbaren Äußerungsbedeutung eines satzwertigen Ausdrucks zusammen.

      Machen wir uns die Stellung der (Scheinbarer) Verstoß gegen eine MaximeKonversationsmaximen im kommunikativen Verstehensprozess an einem einfachen Beispiel klar. Im letzten Abschnitt wurde ein Szenario entwickelt, in dem ich einer Kollegin auf die Frage, ob ich mit in die Mensa komme, antworte: »Um 12 Uhr findet die Einführungsvorlesung statt«. Das, was ich mit dieser Äußerung explizit gesagt habe, ist, dass (am [45]Tag der Äußerung) um 12 Uhr die Einführungsvorlesung stattfindet. Das ist aber nicht, was meine Kollegin wissen wollte. Sie wollte wissen, ob ich mit zur Mensa komme. Da meine Äußerung diese Frage nicht direkt beantwortet, ist sie zumindest auf den ersten Blick irrelevant (ein Verstoß gegen die Maxime der Relation). Wieso kann ich dann aber mit dieser Äußerung dennoch kommunizieren, dass ich nicht mit in die Mensa kommen kann?

      Nach Grice (1975) räsoniert der Adressat in etwa wie folgt: Ingo Reich hat mir gesagt, dass heute um 12 Uhr die Einführungsvorlesung stattfindet. Das beantwortet aber nicht direkt meine Frage und ist daher streng genommen irrelevant. Da ich aber unterstellen kann, dass er das weiß, kann die Äußerungsbedeutung (das Gesagte) nicht bereits der kommunikative Sinn seiner Äußerung sein. Da es keine erkennbaren Gründe gibt anzunehmen, dass er sich bewusst unkooperativ verhält (sich also nicht an das Kooperationsprinzip hält), muss ich annehmen, dass seine Äußerung einen anderen kommunikativen Sinn hat und dieser kommunikative Sinn für mich von Relevanz ist (also meine Frage beantwortet). Was könnte dieser kommunikative Skizze eines InferenzprozessesSinn sein? Ich weiß, dass Ingo Reich gemeinsam mit Augustin Speyer die Einführungsvorlesung hält. Wenn er mir mit seiner Äußerung sagen möchte, dass er zur Mensazeit die Vorlesung halten muss, dann beantwortet das meine Frage (da ich dann schlussfolgern kann, dass er keine Zeit hat, mich in die Mensa zu begleiten). Also wird er wohl das gemeint haben. Explizit gesagt hat er also, dass heute um 12 Uhr die Einführungsvorlesung stattfindet. Gemeint hat er damit (auf indirekte Weise) aber, dass er nicht mit in die Mensa kann.

      Diese in ihrer Explizitheit vielleicht etwas skurril anmutende Rekonstruktion der Herleitung einer Konversationsimplikatur macht die Charakteristika dieser Art von Implikaturen recht deutlich: Das Gesagte für sich genommen stellt einen Verstoß gegen (mindestens) eine der Maximen dar. Gleichzeitig gibt es aber keine erkennbaren Gründe anzunehmen, dass sich der Sprecher nicht kooperativ verhält. Die Implikatur, das Gemeinte, ergibt sich dann letztlich aus der Frage, wie man diese beiden Sachverhalte miteinander in Einklang bringen kann. Grice spricht hier Ausbeutung und Aufhebbarkeitvon AusbeutungAusbeutung. Bei der Beantwortung der Frage, wie beide obigen Annahmen miteinander vereinbart werden können, müssen wir erstens notgedrungen auf unser Weltwissen zurückgreifen und können zweitens nur plausible Vermutungen anstellen, die sich auch als falsch erweisen können. So hätte ich als Sprecher meine Äußerung ergänzen können durch: »Aber ich glaube Augustin Speyer ist heute dran«. Dies widerspricht explizit der Implikatur, dass ich zur Mensazeit die Einführungsvorlesung halten muss, und der Adressat wird daher entweder die Implikatur erst gar nicht ziehen oder sie wieder verwerfen müssen. Grice spricht hier davon, dass [46]Konversationsimplikaturen aufgrund ihres indirekten (nicht-monotonen) Charakters aufhebbarAufhebbarkeit (cancelable) sind.

      Ein besonderes Charakteristikum dieser Art von Konversationsimplikatur ist, dass die Implikaturen nur in ganz spezifischen Kontexten überhaupt entstehen, also einen sehr hohen Grad an Kontextabhängigkeit aufweisen. Stellen wir uns zur Illustration einen ganz anderen Kontext vor. In diesem anderen Kontext planen wir mit der ganzen Abteilung die Lehre für das kommende Semester. Ein neuer Mitarbeiter sagt, dass er seinen Grundkurs (zur Einführungsvorlesung) gerne dienstags von 12–14 Uhr halten würde. Darauf erwidere ich: »Um 12 Uhr ist die Einführungsvorlesung«. In diesem Kontext löst die Äußerung eine ganz andere Implikatur aus. Der neue Mitarbeiter wird die Äußerung sicher so verstehen, dass er mit seinem Grundkurs auf einen anderen Termin ausweichen muss. Und in einem Kontext, in dem ein Studierender von mir die Grice’sche Theorie der Konversationsimplikaturen erklärt bekommen möchte, wird er die Äußerung als Aufforderung verstehen, vielleicht doch besser in die Vorlesung zu gehen. Implikaturen, die nur in solchen ganz spezifischen Kontexten entstehen, werden in der Partikulare KonversationsimplikaturenLiteratur partikulare Konversationsimplikaturen genannt. Partikulare Konversationsimplikaturen entstehen typischerweise durch Ausbeutung einer Maxime, beinhalten also meist einen (scheinbaren) Verstoß und sind damit für den Adressaten vergleichsweise leicht wahrnehmbar bzw. auffällig.

      Partikulare KonversationsimplikaturenImplikaturpartikulare sind Konversationsimplikaturen, die ganz spezifische Kontexte benötigen, um den fraglichen Inferenzprozess auszulösen.

      Generalisierte KonversationsimplikaturenImplikaturgeneralisierte sind Konversationsimplikaturen, die ganz spezifische Kontexte benötigen, um den Inferenzprozess zu blockieren.

      Die Beachtung von Konversationsmaximen führt in der Regel ebenfalls zu Konversationsimplikaturen, so genannte Generalisierte Konversationsimplikaturengeneralisierte Konversationsimplikaturen. Diese sind aber eher unauffälliger Natur, da sie gewissermaßen den Normalfall darstellen und es ganz spezifische Kontexte braucht, damit sie nicht entstehen. Geben wir auch hierzu ein einfaches Beispiel: Aufgrund der Maxime der Qualität löst bei Annahme der Beachtung jede Äußerung eines (deklarativen) Satzes S die Implikatur aus, dass der Sprecher glaubt, dass S [47]wahr ist. Diese Implikatur wird jetzt nur unter ganz spezifischen Umständen blockiert. Ein solcher Umstand wäre Ironie.

      Da die Maxime der Qualität einen etwas besonderen Status hat, möchte ich das Phänomen der generalisierten Konversationsimplikaturen hier lieber am Beispiel der Beachtung der Maxime der Quantität illustrieren. Nehmen wir an, ich gebe die Klausur zur Pragmatik-Vorlesung zurück und sage in meinen einleitenden Einige sagen, nicht alle meinenWorten: Einige Studierende haben die Klausur bestanden. Wie würden Sie diese Äußerung verstehen? Vermutlich als: Nicht alle Studierende haben die Klausur bestanden. Und entsprechend würde sich wohl etwas Unruhe im Plenum breit machen. Die zentrale Beobachtung ist nun, dass mit der Äußerung von einige X ein Sprecher im Regelfall gleichzeitig nicht alle X kommuniziert: Wenn ich sage, dass einige deutsche Spieler bei der WM 2018 gut gespielt haben, dann lege ich nahe, dass das nicht auf alle zutrifft. Und wenn ich sage, dass einige Würstchen beim Grillen nicht verbrannt sind, dann heißt es für die Adressaten der Äußerung: Augen auf bei der Auswahl der Würstchen.

      Die Tatsache, dass in der Regel mit einer Äußerung von einige auch nicht alle kommuniziert wird, könnte zu der Annahme verführen, dass dies Teil der lexikalischen Bedeutung von einige ist: Einige bedeutet eben einige und nicht alle. Tatsache ist aber auch, dass einige nicht in jeder Verwendung einige und nicht alle bedeuten kann. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich gestern Abend einige Gläser Wein getrunken habe, dann will ich damit nicht nahelegen, dass ich nicht alle Gläser Wein getrunken habe. Oder wenn eine Kollegin bei mir zu Hause anruft und mir sagt, dass einige Studierende vor meinem Büro warten, dann wird sie damit ebenfalls nicht sagen wollen, dass nicht alle Studierende СКАЧАТЬ