Название: Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung
Автор: Ingo Reich
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Reclams Studienbuch Germanistik
isbn: 9783159617152
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Die ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutung eines lexikalischen Ausdrucks ergibt sich aus dessen Ausdrucksbedeutung und ihrer Verankerung im sprachlichen und nicht-sprachlichen Äußerungskontext. Die Äußerungsbedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus den Äußerungsbedeutungen seiner Teile und der Art ihrer Kombination.
Die Unterscheidung zwischen der Ausdrucksbedeutung und der Äußerungsbedeutung sprachlicher Ausdrücke nimmt nicht zuletzt deswegen eine so zentrale Stellung ein, weil sie die (oder zumindest eine mögliche) Grenze markiert zwischen den beiden Gebieten, die sich mit der inhaltlichen Interpretation von sprachlichen Ausdrücken Von der Semantik zur Pragmatikbeschäftigen: Semantik und Pragmatik. Während sich die SemantikSemantik auf die Untersuchung von (komplexen) Ausdrucksbedeutungen fokussiert, fallen Fragen der Äußerungsbedeutung in den Bereich der PragmatikPragmatik. Entsprechend wird die Arbeitsteilung zwischen Semantik und Pragmatik häufig auch so charakterisiert, dass sich die Semantik mit kontext-unabhängigen, die Pragmatik dagegen (eher) mit kontext-abhängigenKontext-Abhängigkeit Phänomenen beschäftigt sowie generell mit Fragen des sprachlichen Gebrauchs. Diese Grenzziehung zwischen Semantik und Pragmatik schränkt die Semantik auf einen vergleichsweise engen Bereich ein. Traditionell sieht die Semantik ihr Feld aber auch in dem Bereich der Äußerungsbedeutungen, die (primär) auf der Basis sprachlicher Kodierung oder allgemeiner auf grammatischer Basis zustande kommen. Auf diese Sichtweise werden wir in den Abschnitten 3.2 und vor allem in 3.4 noch zu sprechen kommen.
Die Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik haben wir auch schon in Kapitel 2 thematisiert und dort die Grenze zwischen einerseits sprachlich kodierter und andererseits kontextuell inferierter Information gezogen. Fällt diese Grenze nun im Wesentlichen zusammen mit der, die auf der Basis der Unterscheidung zwischen Ausdrucks- und Äußerungsbedeutung zustande kommt? Ja und nein. Betrachten wir dazu den folgenden Satz: Freiburg ist eine grüne Stadt. Wird dieser Satz in einem politischen Kontext geäußert, dann wird man grün in dem Sinne interpretieren, dass die Freiburger gerne grün wählen oder zumindest ökologisch bewusst leben. Wird der Satz aber im Kontext von Stadtplanung und Lebensqualität geäußert, dann ist es eher naheliegend, an eine Vielzahl von Grünflächen zu denken. Je nach Äußerungskontext hat dieser Satz und insbesondere das Adjektiv grün also eine andere Interpretation, eine andere Äußerungsbedeutung. Und bei der Bestimmung der Äußerungsbedeutung gehen sicherlich kontextuelle Inferenzen (in irgendeiner Form) ein. Damit sind die Äußerungsbedeutungen von grün aber sowohl kodiertkodiert (da sie auf dem Adjektiv grün basieren) als auch kontextuell inferiertinferiert (wie gerade ausgeführt). Versteht man die Aussage, dass sich die Semantik mit kodierter Information beschäftigt, jetzt so, dass dies kontextuelle Inferenzen strikt ausschließt, dann kommt man zu dem erwähnten engen Verständnis von Semantik (im Sinne von Ausdrucksbedeutung). Lässt man dagegen zu, dass die in der Semantik verhandelten Bedeutungen neben [!] kodierter Information auch (bis zu einem gewissen Grad) auf kontextuellen Inferenzen beruhen dürfen, dann kommt man zu einem wesentlich weiteren Begriff, der auch Aspekte der Äußerungsbedeutung einschließt. Wir werden in Fällen wie dem gerade diskutierten in Abschnitt 3.4 Explizit kodierte Äußerungsbedeutungvon explizit kodierter ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutungexplizit kodierte (oder allgemeiner von grammatisch determinierter ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutunggrammatisch determinierte) sprechen, da es hier in erster Linie um Aspekte der Äußerungsbedeutung geht, die auf einer expliziten sprachlichen Kodierung (oder allgemeiner auf einer grammatischen Basis) beruhen. Wo man die Grenze zwischen Semantik und Pragmatik zieht, wird dann davon abhängen, welche Art kontextuell inferierter Information man noch in der Semantik zulassen will.
[36]3.2 Äußerungssituation und deiktische Interpretation
Da die Interpretation deiktischer Ausdrücke den Bezug auf die Äußerungssituation erfordert und damit ein hohes Kontextabhängigkeit deiktischer AusdrückeMaß an Kontextabhängigkeit aufweist, ist es sicher nicht verkehrt, deiktische Ausdrücke im Rahmen der Pragmatik zu diskutieren. Eine zentrale Eigenschaft deiktischer Ausdrücke wurde bereits im letzten Abschnitt angedeutet: Im Gegensatz zu Eigennamen wie Lisbeth oder Erna weisen deiktische Ausdrücke wie ich oder du keinen festen inhaltlichen Bezug, keine feste Referenz auf. Worauf deiktische Ausdrücke in einer konkreten Äußerung referieren, wird über ihre Ausdrucksbedeutung und relevante Eigenschaften der Äußerungssituation festgelegt.
Wird die Referenz deiktischer Ausdrücke allein über die Ausdrucksbedeutung und relevante Eigenschaften der Äußerungssituation festgelegt, dann spricht man auch Rein indexikalische und echt demonstrative Ausdrückevon rein indexikalischenrein indexikalisch Ausdrücken. Tatsächlich sind die Pronomina ich und du in diesem Sinne rein indexikalisch, genauso wie das Temporaladverb jetzt oder das Lokaladverb hier. Demonstrative Ausdrücke wie der, dieser Mann oder auch das lokale Adverb dort sind dagegen nicht rein indexikalisch, da für die eindeutige Identifizierung der (intendierten) Referenz im Allgemeinen noch weitere Informationen erforderlich sind wie z. B. ein gestischer Verweis auf die gemeinte Person. So wird ein Sprecher bei der [37]Äußerung des Satzes »Diesen Mann dort drüben, den konnte ich noch nie leiden!« in Richtung der fraglichen Person nicken oder vielleicht sogar mit dem Finger auf sie zeigen (ZeigegestusZeigegestus). Ist die fragliche Person auch auf andere Art und Weise identifizierbar (z. B., weil er gerade großspurig eine Runde Champagner spendiert hat), dann kann der Zeigegestus auch entfallen. Echt demonstrativDeixisecht demonstrativ deiktische Ausdrücke sind dadurch charakterisiert, dass sie ohne einen Zeigegestus überhaupt nicht inhaltlich interpretiert werden können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Partikel so in einem Satz wie »Ich habe gestern einen Fisch gefangen, der war SO groß!«.
Der Begriff des rein indexikalischen Ausdrucks geht im Wesentlichen auf die Vorstellung zurück, dass die für die Interpretation von Ausdrücken wie ich, du, hier oder jetzt relevanten Eigenschaften des Äußerungskontexts (Wer ist der Sprecher? Wer ist der Adressat? Wo fand die Äußerung statt? Wann fand die Äußerung statt?) über Indexeinen Index, also eine geordnete Liste von (abstrakten) Gegenständen der Art <Sprecher, Adressat, Ort, Zeit …>, modelliert werden können. Der Index einer Äußerungssituation beinhaltet damit alle relevanten Informationen zur Interpretation dieser Ausdrücke. In diesem Sinne sind sie nur vom Index der Äußerungssituation abhängig (vgl. hierzu z. B. die Arbeiten von Lewis 1970 und Kaplan 1989; weitere Diskussion, insbesondere zum Deutschen, findet sich z. B. in Ehrich 1992a).
Mit der Art der Referenz (Person, Ort, Zeit) werden in der Regel mindestens drei Typen deiktischer Ausdrücke unterschieden: personale DeixisDeixispersonale, lokale DeixisDeixislokale und temporale DeixisDeixistemporale. Für alle diese deiktischen Ausdrücke ist nicht nur charakteristisch, dass sie über die Äußerungssituation zu interpretieren sind. Es ist auch charakteristisch, dass diese Interpretation auf eine ganz spezifische Art und Weise erfolgt: Deiktische Ausdrücke wie ich, jetzt oder hier werden systematisch auf ein mehrdimensionales Koordinatensystem bezogen, in dessen Mittelpunkt (im Normalfall) der Sprecher zu lokalisieren ist. Dieser Mittelpunkt СКАЧАТЬ