Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Ingo Reich
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СКАЧАТЬ andererseits: In Schlagzeilen ist die Auslassung des Artikels bei Nomen im Singular möglich, im Lead und Body dagegen nicht. So ist z. B. die Schlagzeile Kuh springt durch Fenster in Küche (dapd vom 22. 6. 2012) im Body eines Artikels schlicht kein akzeptables Deutsch. In einer Schlagzeile dagegen nehmen wir die Auslassung der Artikel in der Regel gar nicht wahr.

      Das Kulturelles WissenWissen über die textstrukturellen und grammatischen Eigenschaften einer Textsorte ist etwas, das erlernt werden muss: Ein Journalist muss lernen, wie man einen Artikel schreibt, ein Meteorologe muss lernen, wie man einen Wetterbericht verfasst, und ein Personalchef muss wissen, wie ein Arbeitszeugnis auszusehen hat. In manchen Fällen erwerben wir dieses Textsortenwissen mehr oder weniger nebenbei (z. B. durch das Lesen von Zeitungen oder das Hören von Wetterberichten), in anderen Fällen muss dieses Wissen bei Bedarf bewusst erworben werden (z. B. das Schreiben einer Hausarbeit oder das Verfassen eines Gutachtens). Über dieses Wissen zu verfügen, heißt allerdings wiederum nicht, in jedem Fall klar entscheiden zu können, ob im Fall zweier gegebener Texte auch unterschiedliche Textsorten vorliegen.

      Geben wir auch hier ein Beispiel zur Illustration. Die meisten von uns haben eine recht klare Vorstellung davon, was einen Geschäftsbrief und E-MailGeschäftsbrief ausmacht. [32]Tatsächlich gibt es hier sogar eine DIN-Vorgabe (DIN 5008, Abschnitt 17): Ein Brief enthält unter anderem ein Adressfeld und eine Rücksendeangabe. Ein Brief ist datiert und es gibt eine Betreffzeile. Der Textteil beginnt mit einer abgesetzten Anrede und schließt mit einer abgesetzten Grußformel, wobei der Grußformel kein Komma folgt. Das im Hinterkopf kann man nun die Frage stellen, ob eine (geschäftliche) E-Mail eine andere Textsorte darstellt oder nicht. Tatsächlich ist diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Zunächst kann man sicher festhalten, dass das kommunikative Ziel in beiden Fällen im Wesentlichen dasselbe ist (die Kommunikation mit einer Geschäftspartner*in). Auch auf grammatischer Ebene unterscheiden sich klassische Geschäftsbriefe nicht wesentlich von geschäftlichen E-Mails. Bleibt also die textstrukturelle Ebene. Auch hier ist natürlich eine große Ähnlichkeit festzustellen: E-Mails verfügen ebenfalls über ein Adressfeld und eine Rückadresse, sie verfügen über eine Betreffzeile und einen Zeitstempel. Und der Textteil einer geschäftlichen E-Mail folgt ebenfalls demselben Muster eines Geschäftsbriefs. Im Gegensatz zum Geschäftsbrief ist bei einer E-Mail jedoch standardmäßig die Möglichkeit von Blindkopien vorgesehen, der (meist versteckte) Header enthält noch zusätzliche Informationen über die Kodierung des Textes, über Servernamen und IP-Adressen. Und nach der Grußformel folgt meist noch eine Signatur mit der klassischen Postadresse und der eigenen Webseite. Möchte man von unterschiedlichen Textsorten sprechen, dann wird man diese Unterschiede als wesentliche einordnen müssen. Kommt man jedoch zu der Auffassung, dass diese Unterschiede nicht wesentlich (und letztlich primär auf Eigenschaften des Mediums zurückzuführen) sind, dann liegt hier lediglich ein Unterschied in der Kommunikationsform vor: elektronisch vs. nicht-elektronisch.

      Empfohlene Literatur

      Adamzik, Kirsten: Textlinguistik: Grundlagen, Kontroversen, Perspektiven. Berlin / New York: de Gruyter, 22016.

      Averintseva-Klisch, Maria: Textkohärenz. Heidelberg: Winter, 2013.

      Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F.: Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. und 2. Halbbd. Berlin / New York: de Gruyter, 2008.

      Gansel, Christina / Jürgens, Frank: Textlinguistik und Textgrammatik. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 2009.

      Schwarz-Friesel, Monika / Consten, Manfred: Einführung in die Textlinguistik. Darmstadt: WBG, 2014.

      [33]3 Pragmatik: Gemeintes

      Als ich vor einigen Jahren mit dem Wagen Richtung Saarbrücken gefahren bin, ist mir an der Grenze zum Saarland ein Plakat aufgefallen: »50 Jahre Saarland. Schön, dass du da bist.« Meine erste Reaktion war: »Was für eine nette Begrüßung!« Meine zweite: »Oh, ich bin ja gar nicht gemeint!« Die Ursache meiner kurzzeitigen Verwirrung ist schnell aufgeklärt: Das Plakat spielt mit einer MehrdeutigkeitMehrdeutigkeit (einer AmbiguitätAmbiguitätMehrdeutigkeit), die auf das Pronomen du zurückzuführen ist: Das Pronomen du kann sich bei diesem Plakat einerseits auf das Saarland beziehen. In diesem Fall wird der inhaltliche Bezug (die Referenz) des Pronomens über die vorherige Äußerung »50 Jahre Saarland« vermittelt, und man spricht von Deiktischer und anaphorischer Gebraucheinem anaphorischen Gebrauchanaphorischer Gebrauch. Das Pronomen du kann sich aber andererseits auch auf den Adressaten des Plakats beziehen. In diesem Fall wird die Referenz des Pronomens über nicht-sprachliche Aspekte der Äußerungssituation festgelegt, und man spricht von einem deiktischen Gebrauchdeiktischer Gebrauch.

      Abb. 3.1: Plakat zum 50-jährigen Bestehen des Saarlandes. – © Staatskanzlei des Saarlands

      3.1 Ausdrucksbedeutung und Äußerungsbedeutung

      Am Beispiel deiktisch gebrauchter Ausdrücke lässt sich gut eine Unterscheidung illustrieren, die die inhaltliche Seite sprachlicher Ausdrücke betrifft, die Unterscheidung Äußerungsbedeutungzwischen Ausdrucksbedeutung und ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutung.

      Zunächst sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass der inhaltliche Bezug, die Referenz des Pronomens du, systematisch von der [34]Äußerungssituation abhängt: Wenn ich, Ingo Reich, an dem Plakat vorbeifahre und es lese, dann konstituiert das eine Äußerungssituation, in der ich, Ingo Reich, der Adressat des Plakats bin. In dieser Situation interpretiere ich das Pronomen du so, dass es sich auf mich, Ingo Reich, bezieht. Wenn mein Kollege Augustin Speyer an dem Plakat vorbeifährt und es liest, dann konstituiert dies eine andere Äußerungssituation, eine Äußerungssituation, in der er der Adressat des Plakats ist. In dieser Situation wird er natürlich das Pronomen du so interpretieren, dass es sich auf ihn, Augustin Speyer, bezieht. Generell wird jeder, der das Plakat liest, das Pronomen du (bei deiktischer Interpretation) so verstehen, dass es sich auf ihn bezieht. Diese kontext-abhängige Referenz von du in einer konkreten Äußerungssituation bezeichnen wir als die Bedeutung der Äußerung des Pronomens du (in dieser Äußerungssituation) oder kurz als die Äußerungsbedeutung von du.

      WoraufAusdrucksbedeutung oder besser auf wen sich das Pronomen du in einer Äußerungssituation bezieht, ist natürlich nicht zufällig. Wir wissen, dass wir uns mit dem Pronomen du auf den Adressaten einer Äußerung beziehen und mit dem Pronomen ich auf den Sprecher. Dieser Aspekt der Bedeutung von du und ich ist etwas, das wir im Erstspracherwerb erlernen müssen und in unserem mentalen Lexikon jeweils als Bedeutung für die beiden Pronomina abgespeichert haben. Diese kontext-unabhängige Bedeutung der beiden Pronomina du und ich bezeichnen wir als Ausdrucksbedeutungihre Ausdrucksbedeutung.

      DerVerankerung Zusammenhang zwischen der Ausdrucks- und der Äußerungsbedeutung von z. B. du lässt sich dann so charakterisieren, dass sich die Äußerungsbedeutung aus der Ausdrucksbedeutung und Eigenschaften der jeweiligen Äußerungssituation ergibt: Mit du beziehen wir uns auf den Adressaten einer Äußerungssituation. Ist Ingo Reich der Adressat in der fraglichen Äußerungssituation, dann bezieht sich das Pronomen du folglich auf Ingo Reich. Ist dagegen Augustin Speyer der Adressat in der Äußerungssituation, dann bezieht sich du eben auf Augustin Speyer. Diese Beziehung lässt sich dabei als eine funktionale beschreiben, d. h., einer Ausdrucksbedeutung und einem Kontext wird eine Äußerungsbedeutung eindeutig zugeordnet. Man sagt auch, dass die СКАЧАТЬ