Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Ingo Reich
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СКАЧАТЬ ist. Folglich ist es für den Leser des Logbucheintrags naheliegend und plausibel, genau dies anzunehmen. Diese zusätzliche Annahme hat aber lediglich den Status einer Hypothese des Adressaten, die die Äußerung in einen größeren Zusammenhang einordnet und ihr damit einen tieferen, erklärenden Sinn verleiht. Plausibilitätsannahmen dieser [41]Art werden auch als abduktive Schlussfolgerungen bezeichnet (vgl. hierzu Peirce 1997 [1903] und mit Bezug auf die Grice’sche Implikaturtheorie auch Hobbs 2004). Charakteristisch für abduktive Schlüsse ist, dass zusätzliche Information dazu führen kann, dass der Adressat die fragliche Hypothese wieder verwirft (oder erst gar nicht annimmt). Stellen wir uns zum Beispiel vor, dass der Leser des Logbuchs außerdem weiß, dass am 24. März (des fraglichen Jahres) die Trinkwasservorräte an Bord zur Neige gegangen sind und die Besatzung von diesem Zeitpunkt an nur noch Rum trinken konnte, um ihren Durst zu stillen. In einem solchen Kontext wird der Leser sicher nicht den Schluss ziehen, dass der Kapitän sonst immer betrunken ist. Er wird wohl eher annehmen, dass der Kapitän, vermutlich aus Pflichtbewusstsein, an diesem Tag gar nichts getrunken hat. Schlussfolgerungen, die durch zusätzliches Wissen aufgehoben werden können, heißen nicht-monoton.

      Unter einer abduktiven FolgerungSchlussfolgerungabduktive ist eine erklärende Hypothese zu verstehen: Eine beobachtete Äußerung erklärt sich nur über eine plausible Zusatzannahme.

      Eine Schlussfolgerung heißt nicht-monotonSchlussfolgerungnicht-monotone, wenn die Hinzunahme einer weiteren Annahme dazu führen kann, dass die Schlussfolgerung nicht mehr legitim ist.

      Das, was der Produzent einer Äußerung in erster Linie mit seiner Äußerung kommunizieren möchte, werden wir im Folgenden Kommunikativer Sinnden kommunikativen Sinn dieser Äußerung nennen. Der kommunikative Sinn einer Äußerung kann im Wesentlichen mit ihrer Äußerungsbedeutung zusammenfallen (wie das vielleicht im Fall des Kapitäns ist; wobei wir auch hier ein übergeordnetes Ziel unterstellen können, nämlich dass er den Maat für sein unverantwortliches Handeln bestraft wissen will). Das ist aber wohl eher die Ausnahme. Im Normalfall zielen unsere Äußerungen auf mehr oder sogar auf ganz anderes ab, als wir im strikten Sinne eigentlich sagen. Nehmen wir z. B. an, dass mich eine Kollegin fragt, ob ich mit in die Mensa komme, und ich darauf lediglich antworte, dass (heute) um 12 Uhr die Einführungsvorlesung stattfindet. Dann wird die fragliche Kollegin nicht annehmen, dass mein primäres kommunikatives Ziel darin besteht, ihr mitzuteilen, dass (heute) um 12 Uhr die Einführungsvorlesung stattfindet. Sondern sie wird aus meiner Äußerung schließen, dass ich vermutlich die Vorlesung halten muss und deswegen nicht mit in die [42]Mensa gehen kann. Und sie wird annehmen, dass ich ihr genau das mit meiner Äußerung vermitteln wollte. Mit anderen Worten: Sie wird unterstellen, dass genau dies der kommunikative Sinn meiner Äußerung ist.

      Der kommunikative Sinnkommunikativer Sinn einer Äußerung ergibt sich ausgehend von der (angereicherten) Äußerungsbedeutung als nicht-monotoner Schlussprozess auf der Grundlage von Relevanzbetrachtungen und weiteren kontextuellen Annahmen.

      3.4 Gesagtes und Gemeintes

      In der Literatur gibt es inzwischen eine Vielzahl prominenter Ansätze, die das oben angedeutete Phänomen zu erklären versuchen. Ein besonders einflussreicher Ansatz ist sicher die von Sperber & Wilson (1986) entwickelte Relevanztheorie, in deren Zentrum die Annahme der (optimalen) Relevanz sprachlicher Äußerungen steht. Der Fixpunkt in dieser Diskussion ist und bleibt aber nach wie vor die Arbeit von H. Paul Grice (1975) zu Logic and Conversation. H. Paul Grice war der Erste, der dem Phänomen, dass wir Mehr meinen als sagenmehr meinen können als wir sagen, systematisch nachgegangen ist.

      Der zentrale Gedanke seines Erklärungsansatzes besteht in der Annahme, dass Kommunikation als rationales VerhaltenKommunikation eine Form rationalen Verhaltens ist: Sprecher und Adressat verfolgen in einem Gespräch im Regelfall ein gemeinsames Ziel. Dieses Ziel kann sehr unterschiedlicher Natur sein (Sprecher und Adressat möchten sich vielleicht auf einen Cappuccino verabreden; oder Sprecher und Adressat sind Tischnachbarn bei einer Feier und wollen sich nur unterhalten; oder beide sind Wissenschaftler und diskutieren über eine neue Theorie), und wir können dieses Ziel vielleicht nicht einmal klar formulieren, aber wir unterstellen, dass wir ein solches gemeinsames Ziel haben. Um dieses Ziel zu erreichen, so Grice, orientieren wir uns an bestimmten Regeln oder Maximen. Diese beiden Annahmen bilden gewissermaßen den theoretischen Überbau.

      Wenn wir uns jetzt der Kommunikation auf der Ebene einer einzelnen Äußerung zuwenden, dann ist hier der zentrale Gedanke, dass ein Sprecher mit seiner Äußerung immer eine Kommunikative Intention und Hypothesenbildungbestimmte kommunikative Intentionkommunikative Intention (Absicht) verfolgt. Die Aufgabe des Adressaten in einer Kommunikationssituation ist dann, ausgehend von der Annahme, dass der Sprecher eine solche Intention verfolgt, diese Intention zu rekonstruieren, also danach zu fragen, warum der Sprecher das geäußert hat, was er geäußert hat, und was der Sprecher mit seiner Äußerung kommunizieren wollte, was also ihr [43]kommunikativer Sinn ist. Da dieser im Allgemeinen nicht mit dem zusammenfällt, was der Sprecher mit seiner Äußerung explizit gesagt hat, wird der Adressat plausible Hypothesen darüber aufstellen müssen, was die kommunikative Intention des Sprechers sein könnte.

      Hier wird sich der Adressat nicht zuletzt davon leiten lassen, was das gemeinsame Ziel der Konversation ist. Und er wird unterstellen, dass sich der Sprecher an denselben Regeln orientiert wie er. Und er wird annehmen, dass auch der Sprecher unterstellt, dass sich der Adressat an denselben Regeln orientiert wie der Sprecher. Und er wird davon ausgehen, dass sie sich nicht nur dieses Verhalten gegenseitig zuschreiben, sondern dass sie sich auch gegenseitig zuschreiben, dass sie sich dieses Verhalten zuschreiben. Diese gestufte Gegenseitige ZuschreibungenForm der gegenseitigen Zuschreibung führt leicht zu einem Knoten im Kopf, sie ist aber absolut zentral dafür, dass wir als Adressat die kommunikative Intention des Sprechers rekonstruieren können: Nur wenn der Adressat davon ausgehen kann, dass auch der Sprecher davon ausgeht, dass Sprecher und Adressat voneinander annehmen, dass sie sich an denselben Regeln orientieren, kann der Adressat unterstellen, dass der Sprecher diese Regeln gezielt einsetzt, um das zu kommunizieren, was er kommunizieren möchte. Und nur weil der Sprecher annimmt, dass der Hörer dies annimmt, kann er die Ausrichtung an diesen Regeln erst gezielt einsetzen.

      So viel zu den zentralen Gedanken, die dem Grice’schen Ansatz zugrunde liegen. Wie hat Grice diese Gedanken jetzt aber in seinem Ansatz umgesetzt? Die Annahme, dass Sprecher und Adressat in einem Gespräch ein gemeinsames Ziel verfolgen, geht in ein Kooperationsprinzip und Konversationsmaximenübergeordnetes KooperationsprinzipKooperationsprinzip ein (das nur bei unkooperativem Verhalten in Frage gestellt wird). Die erwähnten Regeln, an denen sich Sprecher und Adressat nach Grice in einem Gespräch orientieren, finden sich in vier KonversationsmaximenKonversationsmaximenMaxime wieder, die in Anlehnung an Immanuel Kants Kategorienlehre in der Kritik der reinen Vernunft als Maxime der QualitätMaximeder Qualität, Maxime der QuantitätMaximeder Quantität, Maxime der RelationMaximeder Relation (oder auch der Relevanz) und Maxime der ModalitätMaximeder Modalität bezeichnet werden. Die Maximen sind in Abbildung 3.2 in vereinfachter Form und in Übersetzung wiedergegeben.

      Abb. 3.2: Die Grice’schen Konversationsmaximen

      Um es gleich ganz deutlich zu sagen: Grice nimmt weder an, dass die Zum Status der KonversationsmaximenMaximen alle gleichrangig nebeneinander stünden (er gesteht z. B. der Maxime der Qualität eine besondere Rolle zu), noch nimmt er etwa an, dass es eine perfekte Arbeitsteilung zwischen den Maximen gäbe (so ist zum Beispiel ein Zuviel an Information in der Regel irrelevante Information). Auch nimmt Grice nicht an, dass wir uns in unserer alltäglichen Kommunikation sklavisch СКАЧАТЬ