Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Ingo Reich
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СКАЧАТЬ was mit ihr gemeintGemeintes ist. In einem Kontext, in dem ein Studierender außerhalb der Sprechstunde an meine Tür klopft und etwas mit mir besprechen möchte, könnte dies zum Beispiel die Aufforderung sein, ein anderes Mal vorbei zu kommen. Dies wäre eine (partikulare) Konversationsimplikatur. Die Beziehung der fraglichen Ebenen zueinander ist in Abbildung 3.4 schematisch dargestellt.

      Abb. 3.4: Erste schematische Darstellung der Interpretationsebenen

      Wie die Darstellung in Abbildung 3.4 nahelegt und auch schon mehrfach angedeutet wurde, werden die Begriffe Sprechakt und kommunikativer Sinn in dieser Einführung so verwendet, dass sie Unterschiedliches bezeichnen: Der Begriff des Sprechakts bezieht sich auf eine sprachliche Handlung, der Begriff des Kommunikativer Sinn und Sprechaktkommunikativen Sinnskommunikativer Sinn ist dagegen ein rein inhaltlicher Begriff und fällt im Wesentlichen mit dem Begriff der (partikularen) Konversationsimplikatur im Sinne von Grice (1975) zusammen. Das ist grundsätzlich konsistent mit der ursprünglichen Verwendung in Bierwisch (1980), auf den der Begriff des kommunikativen Sinns letztlich zurückgeht. Tatsächlich ist die Beziehung zwischen kommunikativem Sinn und Sprechakt mit Bierwisch (1980) jedoch etwas komplexer: Der kommunikative Sinn ist in dem Sinne als Teil eines Sprechaktes aufzufassen, als er erst zur Realisierung eines Sprechaktes führt. Daher müsste der kommunikative Sinn in dem obigen Schema eigentlich dem Sprechakt vorausgehen. Da wir die Beziehung zwischen der Äußerung eines Satzes und dem mit der Äußerung typischerweise verbundenen Sprechakt direkter charakterisieren würden (über eine Default-Beziehung), weichen wir hier von Bierwisch (1980) ab. Im Fall indirekter Sprechakte müsste man dem kommunikativen Sinn aber tatsächlich eine weitere Sprechaktebene nachschalten, die die primäre Illokution bezeichnet.

      So weit, so gut. Die zentrale Idee von Grice ist also, dass wir das Gemeinte auf der Basis des Gesagten, den Grice’schen Maximen und Weltwissen ableiten. Das Gesagte ist dabei als der Teil einer Äußerungsbedeutung aufzufassen, der grundsätzlich als wahr oder als falsch bewertbar ist. In der Semantik (Kapitel 7) ist hierfür auch der Begriff der PropositionProposition (Aussage) üblich. Eine zentrale Beobachtung ist nun, dass sprachliche Unvollständige ÄußerungenÄußerungen für sich genommen im Allgemeinen noch keine Proposition (also eine als wahr oder falsch bewertbare Aussage) ausdrücken. Machen wir hierzu ein konkretes Beispiel: Zu Beginn von Kapitel 2 hatten wir eine Situation beschrieben, in der Erna, Lisbeths beste Freundin, nachmittags bei Lisbeth zu Besuch ist. Erna setzt sich an den Tisch und Lisbeth bietet ihr daraufhin mit den Worten »Eine Tasse Kaffee?« eine Tasse Kaffee an. Lassen wir Erna nun wie folgt antworten: »Ich hatte schon drei.«

      Wie für die Frage »Eine Tasse Kaffee?« ist auch für die Antwort »Ich hatte schon drei.« offensichtlich, dass sie keinen vollständigen Satz darstellt und die Verankerung der deiktischen Ausdrücke damit allein noch nicht zu einer als wahr oder falsch bewertbaren Aussage (einer Proposition) führt: Die Äußerung »Ich hatte schon drei.« ist in dem Sinne unvollständig, dass durch die Äußerung selbst nicht explizit gemacht wird, wovon Erna schon drei hatte. Im Kontext der Frage ist zwar sofort klar, dass es sich um drei Tassen Kaffee handelt, und wir werden die Äußerung auch sofort entsprechend gedanklich ergänzen, aber diese Annahme ist eben eine Annahme, die wir auf der Basis des Kontexts machen und nicht (allein) auf der Basis der Äußerung. Da die Verankerung der Ausdrucksbedeutung einer Äußerung im Äußerungskontext nicht immer unmittelbar zu einer Proposition führt, werden wir im Folgenden zwischen Sprachliche Kodierung und pragmatische Anreicherungeiner explizit kodierten ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutungexplizit kodierte und einer pragmatisch angereicherten ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutungpragmatisch angereicherte unterscheiden. Letztere ist die (gegebenenfalls erforderliche) pragmatische AnreicherungAnreicherungpragmatische der explizit kodierten Äußerungsbedeutung auf der Basis kontextuell plausibler Annahmen, mit dem Resultat einer (minimalen) als wahr oder falsch bewertbaren Aussage (Proposition). Wenn wir im Folgenden also von Äußerungsbedeutung sprechen, dann ist damit (solange nichts anderes gesagt wird) immer die pragmatisch angereicherte Äußerungsbedeutung gemeint.

      [59]Die explizit kodierte Äußerungsbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus dessen Ausdrucksbedeutung und ihrer Verankerung im Äußerungskontext. (In Abschnitt 3.1 haben wir sie noch einfach Äußerungsbedeutung genannt.)

      Werden sprachliche Äußerungen vom Adressaten (über nicht-monotone Inferenzen) inhaltlich ergänzt, dann spricht man von pragmatischer Anreicherung.

      Die (pragmatisch angereicherte) Äußerungsbedeutung ergibt sich aus der explizit kodierten Äußerungsbedeutung über pragmatische Anreicherungen. Sie ist im Prinzip als wahr oder falsch beurteilbar, kann aber auch expressive Bedeutung tragen.

      Die Beobachtung, dass die explizit kodierte Äußerungsbedeutung im Allgemeinen noch pragmatisch angereichert werden muss, um eine grundsätzlich als wahr oder falsch beurteilbare Aussage zu erhalten, ist für den Grice’schen Ansatz nicht ganz unproblematisch. Das Problem ist – wie z. B. Levinson (2000) ausführlich darstellt –, dass nach Grice (1975) Konversationsimplikaturen immer auf der Basis des Gesagten (unter Bezug auf die Gesprächsmaximen) herzuleiten sind. Um bei unvollständigen Äußerungen aber überhaupt zu einer als wahr oder falsch beurteilbaren Aussage (also dem Gesagten) kommen zu können, muss die explizit kodierte Äußerungsbedeutung pragmatisch angereichert werden. Dieser Prozess der pragmatischen Anreicherung ist aber wiederum ein nicht-monotoner Inferenzprozess, der dem der konversationellen Implikaturen zumindest sehr nahekommt, wenn nicht sogar mit ihm identisch ist. Im Allgemeinen braucht man also das Gesagte, um Implikaturen abzuleiten, gleichzeitig aber auch Implikaturen, um zum Gesagten zu kommen. Levinson (2000) nennt dies Der Grice’sche Zirkelden Grice’schen ZirkelGrice'sche Zirkel. Dieser wird von Levinson (2000) in der Weise aufgelöst, dass erstens generalisierte und partikulare Implikaturen als unterschiedliche Prozesse betrachtet werden: Generalisierte Konversationsimplikaturen sind Default-Annahmen auf der Basis von Heuristika, während partikulare Konversationsimplikaturen alleine über Relevanzbetrachtungen ausgelöst werden. Zweitens nimmt Levinson (2000) an, dass pragmatische Anreicherung nur über generalisierte Konversationsimplikaturen erfolgt. Damit muss bei der pragmatischen Anreicherung nicht mehr Bezug auf die Maximen genommen werden und die Zirkularität ist damit aufgelöst.

      In der Relevanztheorie (Sperber & Wilson 1986) wird dieses Problem gelöst, indem die Grenze zwischen Semantik und Pragmatik verschoben und zwischen dem gezogen wird, was wir Ausdrucksbedeutung (›Logische Form‹ in der Terminologie der Relevanztheoretiker) und explizit kodierte Äußerungsbedeutung genannt haben: Dem Prozess der pragmatischen Anreicherung (der ›Explikatur‹) und des Ziehens weiterer Schlussfolgerungen (also von ›Implikaturen‹ im engeren Sinne) liegt zwar derselbe Mechanismus zugrunde (die Annahme optimaler Relevanz), aber da beide Prozesse (i) pragmatischer Natur und (ii) nicht linear geordnet sind (im Sinne von zuerst Explikatur, dann Implikatur), kann Zirkularität erst gar nicht entstehen.

      Betrachtet man das obige Beispiel »ich hatte schon drei« nochmal etwas genauer, dann ist am Ende gar nicht so klar, dass die Äußerung in syntaktischer Hinsicht wirklich unvollständig ist. Man kann in der Syntax durchaus argumentieren, dass das Numeral drei hier allein noch kein geeignetes Objekt ist und aus strukturellen Gründen einen so genannten nominalen Kopf benötigt. Tatsächlich wird von nicht wenigen Linguisten in solchen Fällen angenommen, dass hier eine Ellipse vorliegt: Auf syntaktischer Ebene ist die Phrase Tassen Kaffee eigentlich präsent, sie wird aber (aus Ökonomiegründen) nicht ausgesprochen, da sie über die vorige Äußerung leicht rekonstruierbar ist. So gesehen wäre die Phrase Tassen Kaffee sprachlich kodiert, aber eben nur auf syntaktischer Ebene und nicht auf phonetischer Ebene, also implizit und nicht explizit. Damit ist sie СКАЧАТЬ