Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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Der Zug kam heran, die Teilnehmer brüllten mit unbewusster Ironie irgendeine Hymne, und es schien mir eine endlose Zeit, bevor die Flut sich an mir vorübergewälzt hatte. ›Dum, dum, dum‹ ging die Trommel, und für den Augenblick bemerkte ich zwei Straßenjungen nicht, die vor den Stufen neben mir stehenblieben. ›Schau her‹ sagte der eine. ›Auf was soll ich schauen?‹ fragte der andere. ›Diese Fußtapfen hier – von einem Barfüßigen.‹
Ich blickte hinab und sah, dass die beiden Jungen stehengeblieben waren, um auf die schmutzigen Fußspuren zu gaffen, welche ich auf den frisch geweißten Stufen zurückgelassen hatte. Die Vorbeigehenden stießen und drängten sie aus dem Wege, aber ihre verfluchte Neugierde war einmal erregt worden. ›Da ist ein barfüßiger Mensch die Stufen hinaufgegangen, oder ich verstehe gar nichts‹ sagte der eine. ›Und er ist nicht wieder heruntergegangen. Und sein Fuß hat geblutet.‹
Das größte Gedränge war schon vorüber. ›Sieh her, Ted‹, sagte der jüngere der beiden in dem Ton höchster Überraschung und deutete gerade auf meine Füße. Ich blickte nieder und sah, dass sie durch den sie bedeckenden Kot in ihren Umrissen sichtbar geworden waren. Vor Schreck war ich wie gelähmt.
›Das ist doch sonderbar!‹ sagte der ältere. ›Höchst sonderbar. Wie das Gespenst eines Fußes, nicht wahr?‹ Er zögerte und trat dann mit ausgestreckter Hand vor. Ein Mann blieb stehen, um zu sehen, was er fangen wollte; bald darauf ein Mädchen. In einem Augenblick würde er mich berührt haben. Da sah ich, was ich zu tun hatte. Ich machte einen Schritt, der Bursche fuhr mit einem Schrei zurück, und mit einer schnellen Bewegung schwang ich mich über die Zwischenmauer in die Toreinfahrt des nächsten Hauses. Aber der kleinere Junge war klug genug, die Bewegung zu verfolgen, und noch bevor ich die Stufen ganz hinabgestiegen war und die Straße erreicht hatte, hatte er sich von seiner augenblicklichen Bestürzung erholt und rief laut, dass die Füße hinter der Mauer verschwunden seien.
Sie eilten hin und verfolgten meine frischen Fußspuren über die Treppe bis auf die Straße hinunter.
›Was gibt es?‹ fragte jemand.
›Füße! Sehen Sie dort hin! Rennende Füße!‹
Alle Leute auf der Straße, meine drei Verfolger ausgenommen, zogen hinter der Heilsarmee her, und dieser Menschenstrom hinderte nicht nur mich, sondern auch sie. Man vernahm verwunderte Ausrufe und Fragen. Auf die Gefahr hin, einen jungen Menschen umzurennen, drang ich durch das Gewühl und lief im nächsten Augenblick, so schnell ich konnte, gegen Russel Square zu, während fünf oder sechs erstaunte Menschen meinen Fußspuren folgten. Ich hatte keine Zeit, ihnen die Sache zu erklären, sonst wäre die ganze Heilsarmee hinter mir hergekommen.
Zweimal bog ich um Ecken, dreimal kreuzte ich die Straße und trat wieder in meine alten Fußspuren. Und als meine Füße heiß und trocken wurden, begannen die feuchten Eindrücke zu verschwinden. Endlich konnte ich einen Augenblick Atem schöpfen, rieb meine Füße mit den Händen rein und entkam auf diese Weise. Das letzte, was ich von meinen Verfolgern sah, war eine Gruppe von einem Dutzend Menschen, die unsagbar verblüfft auf die Fußspuren starrten, die ihnen ebenso unverständlich waren als Robinson Crusoe die Spur im Sande.
Der eilige Lauf hatte mich bis zu einem gewissen Grade erwärmt, und mit neuem Mut setzte ich meinen Weg durch die weniger belebten Straßen fort. Mein Rücken war sehr steif und wund geworden, die Füße schmerzten mich und ich hinkte infolge eines kleinen Schnittes am Fuße. Zur rechten Zeit sah ich einen Blinden herankommen und floh mit Mühe, weil ich seinen feinen Spürsinn fürchtete. Hie und da ereigneten sich zufällige Zusammenstöße, und die Leute blieben verwundert stehen, als ihnen Flüche, deren Ursprung sie nicht ergründen konnten, in die Ohren klangen. Dann fiel etwas still und ruhig auf mein Gesicht; es waren feine Schneeflocken, die langsam die Erde bedeckten. Ich hatte mich erkältet, und so sehr ich mich beherrschte, ich musste von Zeit zu Zeit niesen. Und jeder Hund, der in meine Nähe kam, gab mir Anlass zu neuem Schrecken.
Dann eilten Männer und Knaben vorbei und riefen laut, während sie vorüberhasteten. Es brannte. Sie liefen in die Richtung meiner Wohnung und ich sah eine schwarze Rauchsäule über die Dächer und Telefondrähte emporsteigen. Ich war überzeugt, dass in meiner Wohnung das Feuer ausgebrochen war. Meine Kleider, meine Apparate und Hilfsmittel, kurz meine Habe bis auf das Scheckbuch und die drei Tagebücher, welche mich auf dem Postamt erwarteten, waren dort. Es brannte! Wenn je ein Mensch, so hatte ich meine Schiffe hinter mir verbrannt. Das Haus stand in Flammen.«
Der Unsichtbare hielt ein und blieb in Gedanken versunken. Kemp warf einen nervösen Blick durch das Fenster. »Ja«, sagte er, »fahren Sie fort.«
22. Kapitel – Im Warenhaus
So begann ich im Januar dieses Jahres, eben als ein Schneesturm loszubrechen drohte – und wenn sich der Schnee auf mir festsetzte, musste er mich verraten! – erkältet, müde, mit Schmerzen, unsagbar elend und noch immer erst halb von meiner Unsichtbarkeit überzeugt, dieses neue Leben, zu welchem ich verdammt bin. Ich hatte keine Zuflucht, keine Hilfe, kein menschliches Wesen auf der ganzen Welt, welchem ich vertrauen konnte. Hätte ich mein Geheimnis verraten, hätte ich mich selbst zugrunde gerichtet – wäre zu einer bloßen Sehenswürdigkeit, einem Naturwunder herabgesunken. Nichtsdestoweniger war ich unschlüssig, ob ich nicht den ersten besten Vorübergehenden ansprechen und mich seiner Barmherzigkeit anvertrauen sollte. Aber ich kannte nur zu gut den Schrecken, den mein Geständnis hervorrufen würde. Auf der Straße fasste ich keinen Plan. Mein einziger Gedanke war, vor dem Schnee Schutz zu finden, mir Kleider zu verschaffen und mich zu erwärmen; dann konnte ich daran denken, Pläne zu machen. Aber die Häuser in London waren alle verschlossen und verriegelt und selbst für mich Unsichtbaren unzugänglich.
Da kam ich auf einen glänzenden Gedanken. Ich kehrte um und ging durch die Gower Street bis zum Omnium, dem СКАЧАТЬ