Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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Ich begann das Haus systematisch zu durchsuchen. Ich vermutete, dass der Bucklige schon einige Zeit allein dort gewohnt haben musste. Er war ein sonderbarer Kauz. – Alles, was mir möglicherweise von Nutzen sein konnte, trug ich in das Zimmer mit den Kleidern, um dort eine sorgfältige Auswahl zu treffen.
Ich hatte daran gedacht, mein Gesicht und alles, was von mir sichtbar sein sollte, zu schminken und zu pudern; dies hätte aber den Nachteil gehabt, dass ich Terpentin und andere Mittel und ziemlich viel Zeit gebraucht hätte, um mich wieder unsichtbar zu machen. Endlich wählte ich eine etwas besser geformte Nase, die nicht lächerlicher war als die vielen anderen menschlichen Nasen, dunkle Augengläser, einen grauen Backenbart und eine Perücke. Unterkleider fand ich keine, aber die konnte ich später kaufen; so nahm ich inzwischen einen Domino und einige weiße Halstücher. Auch Socken suchte ich vergeblich, aber die Schuhe des Buckligen waren ziemlich weit und genügten mir. In der Geldlade unten waren drei Sovereigns und 30 Schilling in Silber, und in einem versperrten Kasten, den ich aufbrach, acht Pfund in Gold. So konnte ich, neu ausgestattet, wieder in die Welt hinausgehen.
Dann zögerte ich wieder. War meine Erscheinung wirklich glaubwürdig? Ich versuchte es, mich in dem kleinen Schlafzimmerspiegel von allen Seiten zu betrachten, ob nicht irgendwo eine Lücke klaffe, aber alles schien in Ordnung zu sein. Ich war eine groteske Figur, wie man sie auf dem Theater zu sehen pflegt, aber sicher keine physische Unmöglichkeit. Dann schloss ich die Fensterladen und unterzog mit Hilfe des großen Stehspiegels meine ganze Gestalt einer genauen Untersuchung.
Es dauerte einige Minuten, bis ich den Mut fand, die Tür aufzuschließen und auf die Straße hinauszutreten. Der kleine Mann sollte sich aus dem Tuch wickeln, wann er wollte. Nach fünf Minuten lagen ein Dutzend Straßenbiegungen zwischen mir und dem Laden. Ich schien nicht besonders aufzufallen. Die letzte Schwierigkeit schien beseitigt.«
Er hielt wieder ein.
»Und Sie kümmerten sich nicht weiter um den Buckligen?«, fragte Kemp.
»Nein«, erwiderte der Unsichtbare. »Ich habe auch niemals gehört, was aus ihm wurde. Ich vermute, dass er sich losband oder das Tuch zerriss. Die Knoten waren ziemlich fest.«
Er schwieg, ging ans Fenster und blickte hinaus.
»Was geschah, als Sie hinauskamen?«
»O! Nichts als Enttäuschungen erlebte ich. Ich dachte, meine Leiden wären vorüber. Tatsächlich glaubte ich ungestraft tun zu dürfen, was ich wollte – nur mein Geheimnis durfte ich nicht verraten. So dachte ich. Was ich nun tat, welche Folgen meine Handlungen auch haben mochten – mir galt es gleich. Ich brauchte nur meine Kleider abzulegen und zu verschwinden. Niemand konnte mich halten. Ich konnte mir Geld nehmen, wo ich es fand. Ich beschloss, mir ein besonders gutes Mahl zu gönnen, dann wollte ich in einem guten Hotel absteigen und meine Garderobe ergänzen. Ich war erstaunlich hoffnungsselig; es ist nicht besonders angenehm, erzählen zu müssen, was für ein Esel ich war. Ich ging in ein Gasthaus und war schon nahe daran, mein Frühstück zu bestellen, als ich mich besann, dass ich nicht essen konnte, ohne mein unsichtbares Gesicht zu zeigen. So sagte ich dem Mann, dass ich in zehn Minuten zurück sein würde, und ging verzweifelt fort. Ich weiß nicht, ob Sie, wenn Sie sehr hungrig waren, jemals eine solche Enttäuschung erlebten.«
»Vielleicht keine so bittere«, sagte Kemp, »aber ich kann sie mir vorstellen.«
»Ich hätte die dummen Kerle prügeln können. Endlich konnte ich dem Verlangen nach einer anständigen Mahlzeit nicht länger widerstehen, ging in ein anderes Gasthaus und verlangte ein Separatzimmer. Ich sei arg entstellt, erklärte ich. Sie sahen mich neugierig an, aber natürlich war es nicht ihre Sache – und so kam ich endlich zu meinem Mittagsmahl. Es war nicht besonders gut, aber es genügte; und als ich damit fertig war, zündete ich mir eine Zigarre an und suchte einen neuen Plan zu entwerfen. Und draußen stürmte und schneite es.
Je länger ich darüber nachdachte, Kemp, desto besser begriff ich, welch eine hilflose Ungereimtheit ein unsichtbarer Mensch eigentlich ist – in einem kalten und schmutzigen Klima und einer bevölkerten, zivilisierten Stadt. Bevor ich dieses wahnsinnige Experiment machte, hatte ich von tausend Vorteilen geträumt. An jenem Nachmittag erkannte ich die bittere Täuschung. Ich dachte an all die Dinge, die ein Mensch für wünschenswert hält. Allerdings wurde es mir durch meine Unsichtbarkeit möglich, sie zu erlangen, aber zugleich wurde es mir unmöglich, sie zu genießen. Ehrgeiz – was half mir der errungene Platz, wenn ich mich auf demselben nicht zeigen konnte? Liebe – sie konnte mir nicht werden. Politik, barmherzige Werke, Sport – sie flößen mir kein Interesse ein. Und dazu war ich ein vermummtes Geheimnis, die Karikatur eines Menschen geworden.«
Er schwieg und schien einen Blick durchs Fenster zu werfen.
»Aber wie kamen Sie nach Iping?«, fragte Kemp, ängstlich bemüht, ein lebhaftes Gespräch in Gang zu halten.
»Dort begann ich zu arbeiten. Ich hatte noch eine Hoffnung, eine unklare Idee. Ich habe sie noch. Jetzt ist sie zur vollen Gewissheit geworden. Ich will zurück! Wieder den alten Zustand herstellen, wann es mir beliebt. Wenn ich alles getan haben werde, was ich unsichtbar tun will. Und darüber möchte ich hauptsächlich mit Ihnen sprechen – –«
»Sie gingen direkt nach Iping?«
»Ja. Ich hatte nichts zu tun, als mein Gepäck und eine Anzahl von Chemikalien kommen zu lassen, um meine Idee auszuführen – ich werde Ihnen die Berechnungen zeigen, sobald ich meine Bücher bekomme – und dann ging ich an die Arbeit. Himmel! Ich erinnere mich noch heute an den Schneesturm, der damals wütete und welche Mühe ich hatte, meine falsche Nase vor der Feuchtigkeit zu schützen –.«
»Zuletzt haben Sie vorgestern«, sagte Kemp, »als man Ihr Geheimnis entdeckte – wie die Zeitungen sagen –«
»Es ist richtig. Habe ich diesen Narren von einem Gendarmen erschlagen?«
»Nein«, СКАЧАТЬ