Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
isbn:
Die Beobachtungen, welche ich als ungesehener Zuschauer machte, waren neu und interessant, aber trotzdem war ich ihrer herzlich müde und ungeduldig, lange bevor er seine Mahlzeit beendet hatte. Endlich war er fertig, legte die Reste seines Brotes und die Krumen, die er von dem senfbefleckten Tischtuch aufgelesen hatte, auf die schwarze Zinnplatte, auf welcher die Teekanne stand, und nahm alles mit sich hinaus. Seine Last verhinderte ihn, die Tür hinter sich zu schließen – wie er gewiss gern getan hätte. Ich habe niemals jemand gesehen, der auf das Schließen von Türen so erpicht gewesen wäre wie dieser Mann. Ich folgte ihm in eine sehr schmutzige, im Souterrain gelegene Küche, wo ich das Vergnügen hatte, ihm zuzusehen, wie er das Geschirr abzuwaschen begann. Dann stieg ich, als ich fand, dass ich auf dem Steinboden kalte Füße bekam und mein Warten nutzlos war, wieder hinauf und setzte mich in seinen Stuhl beim Kamin. Das Feuer brannte schlecht und ich legte gedankenlos ein wenig Kohle auf. Das Geräusch brachte ihn sofort herauf und er suchte das ganze Zimmer ab – auf ein Haar hätte er mich berührt. Selbst nach eingehender Untersuchung schien er nicht befriedigt. Er blieb auf der Schwelle stehen und warf einen Blick zurück, ehe er wieder hinunterging.
Eine Ewigkeit musste ich in dem kleinen Wohnzimmer warten; endlich kam er herauf und öffnete die Tür, die zum oberen Stockwerk führte. Ich folgte ihm unmittelbar auf den Fersen.
Auf der Treppe blieb er plötzlich stehen, sodass ich beinahe in ihn hineingestoßen wäre. Er wendete sich um, blickte mir gerade ins Gesicht und lauschte. ›Ich hätte schwören können‹, sagte er. Er legte die lange, haarige Hand an die Unterlippe und blickte die Treppe hinauf und hinunter. Dann brummte er etwas vor sich hin und stieg wieder aufwärts.
Die Hand auf der Türklinke blieb er von neuem stehen, mit demselben zornig-erstaunten Ausdruck im Gesicht. Er begann meine leisen Bewegungen zu gewahren – der Mann muss teuflisch feine Ohren gehabt haben. Plötzlich brach er in Wut aus.– – ›Wenn jemand hier im Hause ist …‹ rief er mit einem Fluch, ohne die Drohung zu beendigen. Er steckte die Hand in die Tasche, fand nicht, was er suchte, und eilte geräuschvoll an mir vorüber die Treppe hinunter. Ich folgte ihm nicht, sondern setzte mich auf die oberste Stufe und wartete seine Rückkehr ab.
Bald kam er wieder herauf, noch immer vor sich hinsprechend. Er öffnete die Tür des Zimmers und schlug sie, bevor ich noch eintreten konnte, rasch hinter sich zu.
Ich beschloss nun, das Haus zu durchstöbern; es war sehr alt und baufällig, so dumpfig, dass sich die Tapeten von den Mauern lösten, und voll von Ratten. Die Türangeln waren verrostet und ich fürchtete mich, die Türen zu öffnen. Mehrere Zimmer waren unmöbliert, in anderen lag Theaterkram herum. In einem Zimmer fand ich einen Haufen alter Kleider, die ich zu durchstöbern begann. In meinem Eifer vergaß ich sein scharfes Gehör vollkommen. Ich hörte leise Tritte und blickte gerade zur richtigen Zeit auf, um ihn mit einem altmodischen Revolver in der Hand zu erblicken. Ich verhielt mich ganz still, während er mit offenem Munde argwöhnisch umherschaute. ›Das muss sie gewesen sein‹, sagte er langsam. ›Verflucht!‹
Leise schloss er die Tür und unmittelbar darauf hörte ich, wie der Schlüssel rasch umgedreht wurde. Dann verklangen seine Schritte und ich wurde mir plötzlich bewusst, dass ich eingeschlossen war. Eine Minute lang wusste ich nicht, was ich beginnen sollte. Ratlos ging ich von der Tür zum Fenster und wieder zurück. Endlich entschloss ich mich, vor allem anderen die Kleider zu untersuchen, dabei warf ich aus einem oberen Fach einen ganzen Stoß zu Boden. Dies brachte ihn, noch finsterer blickend, zurück. Diesmal berührte er mich sogar, sprang erschreckt zurück und blieb fassungslos in der Mitte des Zimmers stehen.
Bald beruhigte er sich. ›Ratten‹, flüsterte er, die Hand an die Lippen legend. Ich glitt leise aus dem Zimmer, aber ein Brett knackte unter meinen Füßen. Dann ging der teuflische kleine Kerl im ganzen Hause herum, sperrte alle Türen ab und steckte die Schlüssel in die Tasche. Als ich mir über seine Absichten klar wurde, bekam ich einen Wutanfall – ich konnte mich kaum so lange beherrschen, bis meine Zeit gekommen war. Jetzt wusste ich schon, dass er allein im Hause sei, so machte ich keine Umstände weiter und schlug ihn nieder.«
»Was?«, rief Kemp.
»Ja, ich schlug ihn nieder, während er die Treppe hinabging. Von rückwärts, mit einem Stuhle, der im Flur stand. Er fiel die Treppe hinunter wie ein Sack.«
»Aber hören Sie! Die allgemeinen Gesetze der Menschlichkeit – –«
»Sind sehr gut und wohltätig für gewöhnliche Menschen. Aber die Sache war, Kemp, dass ich aus dem Hause musste, ohne dass er mich bemerkte, und zwar in einer Verkleidung. Einen anderen Ausweg gab es nicht. Und dann knebelte ich ihn mit einer Louis-Quartorze-Weste und band ihn in ein Betttuch ein!«
»In ein Betttuch!«
»Machte eine Art Bündel aus ihm. Es war eine ziemlich gute Idee; denn so brachte ich den Esel zum Schweigen und machte es ihm verteufelt schwer, wieder herauszukommen. Mein lieber Kemp, es nützt nichts, dass Sie dasitzen und mich anstarren, als ob ich einen Mord begangen hätte. Er hatte einen Revolver. Wenn er mich einmal gesehen hätte, hätte er mich auch beschreiben können.«
»Und doch«, sagte Kemp, »in England – heutzutage! Und der Mann war in seinem eigenen Hause, und Sie – nun ja! Sie beraubten ihn!«
»Berauben! Was Teufel! Nächstens werden Sie mich einen Dieb nennen. Sie sind doch gewiss nicht so töricht, noch nach der alten Pfeife zu tanzen. Können Sie meine Lage nicht begreifen?«
»Aber auch die seinige!«, sagte Kemp.
Der Unsichtbare erhob sich. »Was wollen Sie damit sagen?«
Ein Ausdruck der Entschlossenheit trat auf Kemps Gesicht. Er wollte sprechen, bezwang sich aber. »Schließlich«, sagte er in plötzlich verändertem Ton, »musste es wohl geschehen. Sie befanden sich in einer Zwangslage. Und doch – –«
»Natürlich СКАЧАТЬ