Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Seltsam.«
»Ich kann es nicht erklären. Sie war natürlich gebunden und auf ihrem Lager festgemacht, sodass sie mir nicht entwischen konnte. Aber sie war noch halb im Nebel sichtbar, als sie wieder zu sich kam und kläglich zu miauen begann. Da klopfte es an der Türe. Es war eine alte Frau aus dem unteren Stockwerk, die mich im Verdacht hatte, Vivisektionen vorzunehmen – eine dem Trunke ergebene alte Person, die auf der ganzen Welt für niemand Liebe empfand als für ihre Katze. Ich gab dem Tiere etwas Chloroform zu riechen und zeigte mich an der Türe. ›Ist hier nicht eine Katze?‹ fragte sie. ›Meine Katze?‹ ›Hier nicht‹, antwortete ich sehr höflich. Sie war nicht ganz überzeugt und versuchte, an mir vorbei ins Zimmer zu blicken – merkwürdig genug mag es ihr erschienen sein, mit seinen kahlen Wänden, den unverhüllten Fenstern, dem Feldbette, dem leise arbeitenden Gasmotor, den fahlen Blitzen an den Polen der Dynamomaschinen und dem schwachen Chloroformgeruch in der Luft. Endlich musste sie sich zufrieden geben und fortgehen.«
»Wie lange Zeit nahm es in Anspruch?«, fragte Kemp.
»Drei oder vier Stunden – bei der Katze. Am längsten widerstanden die Knochen, die Sehnen, das Fett und die Spitzen der farbigen Haare. Und wie ich schon sagte, der rückwärtige Teil des Auges, ein zäher, regenbogenfarbiger Stoff, wollte überhaupt nicht verschwinden.
Draußen war es Nacht geworden, lange bevor die Sache vorüber war und von dem Tier war nichts mehr zu sehen als undeutlich die Augen und die Krallen. Ich brachte den Gasmotor zum Stehen, tastete nach dem Tiere, das noch immer besinnungslos lag und streichelte es. Dann löste ich die Schnüre, die es festhielten, ließ es dann, da es ganz erschöpft war, auf dem unsichtbaren Kissen weiterschlafen und ging zu Bett. Doch konnte ich lange keinen Schlaf finden. Ich lag wach und wälzte dummes, sinnloses Zeug in meinem Kopf herum, ging meinen Versuch in Gedanken wieder und wieder durch, und dann träumte ich, dass alles um mich her, sogar der Erdboden, auf dem ich stand, unsichtbar wurde. Gegen zwei Uhr früh begann die Katze zu miauen. Ich versuchte sie zum Schweigen zu bringen, indem ich mit ihr sprach, und dann entschloss ich mich, sie hinauszujagen. Ich erinnere mich an den Schrecken, den ich ausstand, als ich ein Licht anzündete und grünschillernde Augen – und sonst nichts! – vor mir sah. Ich hätte ihr Milch gegeben, aber ich hatte keine mehr. Sie setzte sich neben die Türe und miaute ununterbrochen. Da versuchte ich sie zu fangen, um sie beim Fenster langsam hinauszulassen; sie ließ sich aber nicht ergreifen, sondern verschwand. Dann hörte ich sie in verschiedenen Teilen des Zimmers ohne Unterlass jammernd miauen. Endlich öffnete ich das Fenster und begann sie zu jagen. Da verließ sie vermutlich das Zimmer. Wenigstens sah und hörte ich nie mehr etwas von ihr.
Dann wanderten meine Gedanken – der Himmel weiß warum – wieder zu dem Begräbnisse zurück und zu dem verlassenen, kahlen Hügel, unter dem mein Vater die letzte Ruhe gefunden hatte. So ging es ununterbrochen fort, bis endlich die Dämmerung anbrach. Ich fühlte, dass ich doch nicht schlafen konnte, so verschloss ich die Türe hinter mir und wanderte in die morgenfrischen Straßen hinaus.«
»Wollen Sie damit sagen, dass eine unsichtbare Katze in der Welt frei herumläuft?«, fragte Kemp.
»Wenn sie nicht getötet worden ist«, sagte der Unsichtbare. »Warum nicht?«
»Allerdings warum nicht?«, wiederholte Kemp. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen.«
»Sie ist wahrscheinlich getötet worden«, sagte der Unsichtbare. »Dass sie vier Tage später noch lebte, weiß ich, denn in der Great Tichfield Street kam ich damals zufällig an einer großen Menschenmenge vorbei, die sich an einem Abzugskanal angesammelt hatte, weil man dort lautes Miauen hörte, ohne sich erklären zu können, woher es kam.«
Wohl eine Minute schwieg er still. Dann fuhr er unvermittelt fort:
»Des Tages vor der großen Verwandlung entsinne ich mich deutlich. Ich muss die Great Portland Street hinaufgegangen sein. Denn ich erinnere mich an die Kaserne in Albany Street, aus der eben Soldaten herausritten. Endlich fand ich mich in der Sonne auf dem Gipfel von Primrose Hill und fühlte mich sehr krank und sonderbar erregt. Es war ein sonniger Januartag – einer jener sonnig kalten Tage, die den Schneefällen dieses Jahres vorangingen. Mit brennendem Kopfe suchte ich mir meine Lage klarzumachen und einen Plan für die Zukunft zu fassen.
Jetzt, da ich den Preis mit Händen greifen konnte, sah ich mit Erstaunen, wie wenig Vorteile ich mir von dem Erfolg versprach. Tatsächlich war ich überarbeitet. Die Anspannung einer fast vierjährigen angestrengten Arbeit hatte mich geistig und körperlich heruntergebracht. Vergeblich trachtete ich den Enthusiasmus über meine ersten Versuche, meine Leidenschaft für neue Entdeckungen, die mich in den Stand gesetzt hätten, selbst den Tod meines greisen Vaters mit Gleichmut zu ertragen, wiederzugewinnen. An nichts war mir gelegen. Ich sah ziemlich klar, dass dies eine vorübergehende Stimmung war, die von Überanstrengung und Mangel an Schlaf herrührte, und dass es mir entweder durch ärztliche Behandlung oder vollständige Ruhe leicht gelingen würde, meine frühere Energie wiederzufinden. Nur ein Gedanke schwebte mir klar vor: dass die Sache durchgeführt werden musste. Dieser fixe Gedanke beherrschte mich noch immer. Und zwar musste sie bald durchgeführt werden, denn mein Geld ging zur Neige. Ich versuchte an die märchenhafte Macht zu denken, über die ein unsichtbarer Mensch auf der Welt verfügen würde.
Endlich schleppte ich mich nach Hause, nahm etwas Nahrung zu mir, dann eine starke Dosis Strychnin und legte mich angekleidet auf mein zerwühltes Bett … Strychnin ist ein großartiges Mittel, Kemp, um einen Menschen aufzurütteln.«
»Es ist ein teuflisches Mittel«, sagte Kemp.
»Ich erwachte neugestärkt und sehr erregbar. Sie kennen den Zustand?«
»Ich kenne die Wirkung sehr gut.«
»Da klopfte es an die Tür. Es war der Hausherr. Er kam mit Drohungen; ich hätte in der Nacht eine Katze gequält, er wüsste es bestimmt – die Zunge der alten Frau war also geschäftig gewesen – und bestehe СКАЧАТЬ