Название: Konstantinopel 1453
Автор: Roger Crowley
Издательство: Автор
Жанр: История
isbn: 9783806242430
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In seiner Glanzzeit erstreckte sich das Reich weit über den Mittelmeerraum bis nach Italien und Tunesien, doch unter dem unablässigen Druck seiner Nachbarn schrumpfte es wieder wie eine riesige Landkarte, die sich an den Rändern wellt. Jahr für Jahr liefen kaiserliche Flotten aus den großen Häfen am Marmarameer aus, mit wehenden Fahnen und unter Fanfarenstößen, um eine Provinz zurückzugewinnen oder eine Grenze zu sichern. Byzanz war ein Reich, das sich ständig im Krieg befand, und Konstantinopel geriet aufgrund seiner Lage an der Schnittstelle zweier Kontinente immer wieder sowohl aus Europa als auch aus Asien unter Druck. Die Araber waren nur die entschlossensten von unzähligen Feinden, die in den ersten fünfhundert Jahren seiner Existenz vor der Landmauer von Byzanz aufzogen. Die Perser und die Awaren kamen im Jahr 626, die Bulgaren im 8., 9. und 10. Jahrhundert, Fürst Igor der Russe im Jahr 941. Die Belagerung war ein Daseinszustand für das griechische Volk und sein ältester Mythos: Die Menschen kannten Homers Erzählung von Troja. Dies hatte zur Folge, dass sie gleichermaßen pragmatisch wie abergläubisch wurden. Die Erhaltung der Stadtmauern war eine Bürgerpflicht; die Kornspeicher und Zisternen waren stets gefüllt, doch auch der geistigen Verteidigung wurde von den orthodoxen Gläubigen höchste Bedeutung beigemessen. Die Jungfrau Maria war die Schutzpatronin der Stadt; Bilder von ihr hingen in Krisenzeiten an den Wänden und sollen die Stadt während der Belagerung von 717 gerettet haben. Sie waren eine ähnliche Stütze und Zuflucht wie der Koran für die Muslime.
Keine der Belagerungsarmeen, die vor der Landmauer aufmarschierten, konnte diese physischen und psychologischen Bollwerke überwinden. Keiner der Möchtegern-Eroberer verfügte über die Technik zur Erstürmung der Befestigungsanlagen oder über genug Kriegsschiffe, um das Meer abriegeln. Keiner brachte die Geduld auf, die Bewohner auszuhungern. Das Reich wankte zwar häufig, bewies aber eine beträchtliche Widerstandskraft. Die Infrastruktur der Stadt, die Stärke der Institutionen des Imperiums und der glückliche Zufall, dass es in schwierigen Zeiten über herausragende Führer verfügte, erzeugten sowohl bei den Einwohnern Konstantinopels als auch seinen Feinden den Eindruck, das Oströmische Reich werde die Zeiten überdauern.
Doch die Erfahrung der Belagerung durch die Araber prägte die Stadt nachhaltig. Die Menschen erkannten den Islam als eine Gegenkraft, die sich nicht mehr gänzlich zurückdrängen lassen würde, als einen Gegner, der sich qualitativ von allen bisherigen Feinden unterschied; in ihren Prophezeiungen über die Sarazenen – wie die Araber von den Christen genannt wurden – kamen ihre Vorahnungen über das Schicksal der Welt zum Ausdruck. Ein Autor bezeichnete sie als das vierte Tier der Apokalypse, als »das vierte Reich auf Erden, das zerstörerischste aller Reiche, das die gesamte Welt in eine Wüste verwandeln wird«.24 Und gegen Ende des 11. Jahrhunderts wurde Byzanz vom Islam abermals ein Schlag versetzt. Er kam so unverhofft, dass damals kaum jemand seine Bedeutung erkannte.
Gott, der Allmächtige, sagt: Ich habe ein Heer, welches ich Türken nannte und im Osten ansiedelte. Wenn ich nun einem Volke zürne, lasse ich die Türken über sie herrschen.
Al-Kashgari1
Das Auftauchen der Türken erweckte den schlummernden Geist des Heiligen Krieges. Sie waren erstmals im 6. Jahrhundert an den Grenzen des Byzantinischen Reiches erschienen und hatten Gesandte nach Konstantinopel geschickt, um mit Byzanz ein Bündnis gegen das Perserreich zu bilden. Für die Byzantiner waren sie zunächst nur eines von zahlreichen Völkern, die an die große Stadt heranzukommen versuchten; ihr angestammtes Gebiet lag jenseits des Schwarzen Meeres und erstreckte sich bis nach China. Sie waren heidnische Steppenbewohner aus den grasbewachsenen Ebenen Zentralasiens, von deren Epizentrum immer wieder Schockwellen ausgingen durch nomadische Reiter, die über die sesshaften Völker im Westen herfielen. Sie haben uns das Wort ordu hinterlassen (»Horde«) zur Erinnerung an diese Ereignisse, wie ein schwacher Hufabdruck im Sand.
Byzanz war schon mehrmals durch diese Nomaden verwüstet worden, bevor ihr Name im Reich zu einem Begriff wurde. Die ersten Turkvölker, die den sesshaften Griechen zu schaffen machten, waren vermutlich die Hunnen, die im 4. Jahrhundert über die christliche Welt hinwegfegten; ihnen folgten die Bulgaren, und jede dieser aufeinanderfolgenden Wogen erschien den Opfern so unerklärlich wie eine Heuschreckenplage, die über das Land hereinbrach. Die Byzantiner betrachteten diese Heimsuchungen als eine Strafe Gottes für ihre Sünden. Wie ihre Vettern, die Mongolen, lebten die Türken im Sattel der Pferde zwischen der großen Erde und dem weiten Himmel und verehrten beide mittels ihrer Schamanen. Sie waren rastlos, beweglich und stammesbewusst und lebten von der Viehzucht und Überfällen auf ihre Nachbarn. Beutezüge zu unternehmen, war ein Lebenszweck für sie, Städte galten ihnen als Feinde. Durch den Einsatz des Kompositbogens und ihrer Taktik der Kriegführung zu Pferd waren sie den sesshaften Völkern militärisch überlegen, was der arabische Historiker Ibn Khaldun als einen entscheidenden Faktor der geschichtlichen Entwicklung betrachtete. »Die sesshafte Bevölkerung [hat] sich dem ruhigen und bequemen Leben hingegeben«, schrieb er. »Die Menschen vertrauen auf die Mauern, die sie umgeben, und die Befestigungen, durch die sie abgeschirmt werden. Die nomadische Bevölkerung [verachtet] Mauern und Tore [und] verteidigt sich selbst. So tragen die Menschen stets Waffen, spähen nach allen Seiten des Weges, geben sich nur dann kurz dem Schlummer hin, wenn sie nicht allein sind oder oben auf dem Sattel des Kamels sitzen, lauschen aufmerksam auf die Geräusche und Rufe… So sind Tapferkeit bei ihnen zur Wesensart und Mut zum natürlichen Charakterzug geworden.«2 Dieser Aspekt sollte bald in der christlichen wie auch der islamischen Welt neue Bedeutung erlangen.
Wiederholte Erschütterungen im Herzen Asiens trieben diese Turkvölker nach Westen; im 9. Jahrhundert kamen sie mit der muslimischen Bevölkerung des Iran und des Irak in Berührung. Der Kalif von Bagdad erkannte ihre kämpferischen Qualitäten und gliederte sie als Militärsklaven in seine Heere ein; Ende des 10. Jahrhunderts hatte der Islam nachhaltig Fuß gefasst unter den Türken im Grenzgebiet, doch diese hielten an ihrer Identität und ihrer Sprache fest und sollten bald ihren Herren die Macht entreißen. Mitte des 11. Jahrhunderts übernahm die türkische Dynastie der Seldschuken das Sultanat von Bagdad, und bereits gegen Ende dieses Jahrhunderts wurde die islamische Welt von Zentralasien bis Ägypten von den Türken beherrscht.
Ihr rascher Aufstieg in der islamischen Welt wurde weithin als ein Werk der Vorsehung betrachtet, das Gott ausrichtete, um »den ersterbenden Atem des Islam wiederzubeleben und die Einheit der Muslime wiederherzustellen«.3 Zur selben Zeit regierte in Ägypten eine nichtorthodoxe Schia-Dynastie, sodass die türkischen Seldschuken, die sich der orthodoxen sunnitischen Lehre zugewandt hatten, als legitime gazi auftreten konnten, als Glaubenskämpfer, die den Dschihad gegen die Ungläubigen und den nichtorthodoxen Islam führten. Die Haltung des militanten Islam kam dem Kampfgeist der Türken sehr entgegen; ihre Lust am Plündern konnte als frommer Dienst an Allah gerechtfertigt werden. Unter dem türkischen Einfluss lebte im Islam der Eifer der frühen arabischen Eroberungszüge wieder auf, und der Krieg gegen die christlichen Feinde wurde in größerem Rahmen wieder aufgenommen. Sultan Saladin war zwar Kurde, doch die Armeen, die er und seine Nachfolger ins Feld führten, waren vom Ethos der Türken beseelt. »Gott sei gelobt«, schrieb AlRawandi im 13. Jahrhundert, »der Islam ist stark… Bei den Arabern, Persern, Romäern und Russen ist das Schwert in der Hand der Türken, und die Furcht vor ihrem Schwert ist tief in den Herzen der Menschen verankert.«4
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