Cogito, ergo dumm. Sebastian 23
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Название: Cogito, ergo dumm

Автор: Sebastian 23

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783710951084

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СКАЧАТЬ ihm Glauben zu schenken. Er hatte eine gewisse Neigung zur schroffen Kritik und das, was man heute wohl ein loses Mundwerk nennen würde. Man kann das vielleicht aus heutiger Sicht nachvollziehbar finden, aber damals machte es ihn sehr unbeliebt. So stellte man ihn früh unter strenge Beobachtung, entzog ihm seine Lehrerlaubnis und steckte ihn schließlich 1278 sogar ins Gefängnis. Vielleicht hätte Bacon, statt schroff zu sein, mal ganz sanft auf das allererste schriftlich fixierte vergleichende Experiment zur Überprüfung einer Hypothese hinweisen sollen. Das hätte den christlichen Scholastikern womöglich gefallen, denn es steht in der Bibel, genauer gesagt bei Daniel 1,1.

      Die Geschichte spielt im 7. Jahrhundert vor Christus in Israel, nachdem Nebukadnezar Jerusalem erobert hatte. Daniel wurde zu Hofe geladen, doch erbat sich die Erlaubnis für sich und seine Leute, statt des Weines und der Speisen des Königs nur Gemüse und Wasser zu sich zu nehmen. Das erschien den Leuten am Hof zunächst sehr abwegig, aber man einigte sich auf ein zehntägiges Experiment mit zwei Kontrollgruppen – Daniel und seine Leute auf der einen, der Rest des Hofes auf der anderen Seite. Am Ende sahen Daniel und seine Leute gesünder aus als alle anderen am Hofe. Also erlaubte man ihnen weiterhin den Verzehr von Gemüse.

      Bacon hingegen machte man 2000 Jahre später mundtot. Seine Lehren und Ideen konnte er so nicht weitergeben und geriet zunächst in Vergessenheit. Das ist dann wohl der Unterschied zwischen Bacon und Gemüse. Nur weil seine Schriften und Erfindungen erhalten blieben und später wiederentdeckt wurden, wissen wir heute noch von ihm. Was wir nicht wissen ist jedoch, wie viele Denkerinnen und Denker uns entgingen und entgehen, weil Wissenschaft, Kunst, Meinung und Rede nicht frei waren und an vielen Orten bis heute unfrei sind. Oder es eben einfach Frauen waren, die etwas Entscheidendes erforschten oder eine grandiose Idee hatten. Es kann einem ein kalter Schauer den Rücken runterlaufen, wenn man darüber nachdenkt.

      Greifen wir noch einmal kurz den Aspekt auf, dass Roger Bacon bei seiner Arbeit an optischen Linsen und der Brille auf die Studien eines Wissenschaftlers namens Alhazen aus dem heutigen Irak zurückgriff. Heutzutage scheint es in gewissen Kreisen in Mode zu sein, die muslimischen Länder des Nahen Ostens in erster Linie als Quelle vieler Probleme dieser Welt abzustempeln. Als Hort der Wissenschaft und des freien Denkens, der die führenden Köpfe Europas beeinflusste, kennt man ihn eher nicht. Manche sehen gar ganz generell durch Einflüsse aus dem Ausland ihre einheimische Kultur bedroht. So heißt es im AfD-Programm von 2016 unter Punkt 7.2, »Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus«: »Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur, die sich im Wesentlichen aus drei Quellen speist: erstens der religiösen Überlieferung des Christentums, zweitens der wissenschaftlich-humanistischen Tradition, deren antike Wurzeln in Renaissance und Aufklärung erneuert wurden, und drittens dem römischen Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt.«

      Im weiteren Verlauf wendet sich das Programm explizit gegen kulturelle Einflüsse von außen, und wer in den letzten Jahren der AfD zugehört hat, der kann erahnen, dass damit insbesondere die Kultur der islamischen Länder des Nahen Ostens gemeint ist. Was die Frage aufwirft, wie diese wissenschaftlich-humanistische Tradition, auf dem die sogenannte »deutsche Leitkultur« basieren soll, denn jetzt genau mit dem kulturellen Einfluss aus dem Nahen Osten zusammenhängt.

      Nehmen wir Sokrates, Platon und Aristoteles, diese altgriechische Boygroup, die wenige Jahrhunderte vor Christi Geburt im antiken Athen für Aufsehen sorgte. Allerdings nicht mit ihren flotten Dancemoves, sondern mit ihrer Philosophie. Ein moderner Beleg für die Relevanz von Philosophie findet sich im Internet, genauer gesagt auf Wikipedia. Aber nicht in einem Beitrag, sondern in (fast) allen. Die Artikel dort sind ja mit verlinkten Schlagwörtern versehen. Wenn man nun bei einem Artikel auf den ersten Link im Text klickt, landet man beim nächsten Artikel. Und wenn man dort wieder wahllos auf den ersten Link klickt, geht es weiter. So hüpft man von Artikel zu Artikel – bis wohin? Nun, in 97 Prozent der Fälle landet man am Ende beim Artikel über Philosophie. Kein Wunder, dass man bis heute die Hits der Boygroup der Philosophie kennt.

      Wobei man dazusagen muss, dass bis ins 12. Jahrhundert in Mitteleuropa nur ein einziges Werk Platons bekannt war, der Timaios. Und das ist, wenn ich meine Privatmeinung mal einstreuen darf, nicht sein bestes Buch. Auch von Aristoteles wusste man im Mittelalter wenig, nur zwei logische Schriften waren überliefert und ins Lateinische übersetzt worden, das damals die Sprache der Wissenschaft war. Über Sokrates war so gut wie nichts bekannt.

      Moment mal, die drei größten Philosophen des Abendlandes waren in diesem Abendland fast in Vergessenheit geraten? Aber wie wissen wir dann heute von ihnen? Nun, liebe Leser*innen, gut, dass Sie fragen, ich will es Ihnen verraten: Unter dem abbasidischen Kalif Al-Mansur wurden Mitte des 8. Jahrhunderts erstmals Bücher aus einer fremden Sprache ins Arabische übersetzt, darunter viele altgriechische Bücher von Aristoteles. Seine Nachfolger Kalif al-Mahdi und Kalif Harun al-Raschid folgten seinem Beispiel, bis ein Großteil des Werkes von Aristoteles übersetzt war und, nebenher bemerkt, unter anderem auch Euklids Elemente, ein zentrales Werk der Mathematik. Hunain ibn Ishaq war es dann, der im 9. Jahrhundert Platons Werke ins Arabische übersetzte. Diese Menschen sind der Grund, warum diese tragenden Säulen der westlichen Kultur bis heute erhalten sind. Denn erst ab dem 12. Jahrhundert kamen westliche Denker wie Adelard von Bath und Gerhard von Cremona darauf, all diese Schriften aus dem Arabischen ins Lateinische zu übersetzen und sie so nach Europa »zurückzubringen«. Etwa zur selben Zeit entstanden in Europa die ersten Universitäten, die erste in Bologna im Jahr 1088. An den Universitäten begeisterte man sich insbesondere für Aristoteles, denn er erfand nicht nur Worte wie Ethik und Energie, sondern angeblich auch das Wort Problem. Damit hatte er der Menschheit quasi alle ihre Probleme gebracht, zumindest wusste man vorher nicht, dass man welche hatte. Und wir alle wissen: Menschen lieben Probleme.

      Nicht zuletzt deshalb gab es natürlich sofort Stress mit der Kirche. Aristoteles’ Lehre von der Ewigkeit des Universums widersprach der Idee der Schöpfung durch Gott. Zudem es bei Aristoteles ausführlich um Ursache und Wirkung geht und die Sorge der Kirche war, dass zwischen Ursache und Wirkung kein Platz mehr sei für ein Eingreifen Gottes. Außerdem, wenn alles durch Ursache und Wirkung erklärt werden könne, was würde denn dann nur aus all den Wundern? Und so wurde 1210 die aristotelische Naturphilosophie an der Universität von Paris vom dortigen bischöflichen Konzil verboten. Das Verbot wurde 1231 von Papst Gregor IX., genannt der Wurstfingerpapst, bestätigt. Okay, das mit dem Wurstfingerpapst habe ich mir möglicherweise nur ausgedacht, weil ich gerade beim Schreiben sauer auf den Mann geworden bin. Geholfen haben seine finsteren Umtriebe dann zum Glück nicht mehr, nur 25 Jahre später waren all die Bücher wieder in der Bibliothek der Universität zu finden. Auf einigen steinigen Umwegen haben Aristoteles, Platon und Sokrates also ihren Weg nach Europa und bis ins heutige Deutschland gefunden.

      Man kann allein anhand dieses einen Beispiels leicht sehen, dass die sogenannte »deutsche Leitkultur« ein Widerspruch in sich ist. Denn ihre zentralen Inhalte basieren zu großen Teilen auf kulturellem Einfluss von außen, der sich hier gegen sehr deutlichen anfänglichen Widerstand der Einheimischen durchgesetzt hat. Damals war es in erster Linie die Kirche, heute sind es selbst ernannte Patrioten, die verhindern wollen, dass sich die menschliche Kultur wie eh und je über alle Landesgrenzen hinaus in bunter und freier Art mischt und gegenseitig bereichert. Selbst wenn es stimmen würde, dass wir ohne Aristoteles keine Probleme hätten.

      Natürlich kriegen es aber seit jeher weder Kirche noch Patrioten hin, zu verhindern, dass die Menschen sich kreuz und quer über den Globus bewegen und sich im Zweifelsfall nur eingeschränkt für Grenzen interessieren. Das gilt auch und insbesondere für die Geschichte der »Entdeckung« der Welt. Kennen Sie zum Beispiel Gunnbjörn Úlfsson und Giovanni Caboto?

      Eine sehr beliebte Dummheit ist die Annahme, Kolumbus habe Amerika entdeckt. Daran ist so ziemlich alles falsch. Natürlich war Kolumbus nicht der erste Mensch auf dem amerikanischen Kontinent. Er war nicht mal der erste Europäer. Tatsächlich gab es vorher Menschen, die Amerika entdeckt haben; das geschah aber vor etwa 12 000 bis 15 000 Jahren, genauer weiß man es nicht, weil sie es damals nicht direkt auf Facebook gepostet haben. Der erste Europäer, der erwiesenermaßen um 875 auf Grönland landete СКАЧАТЬ