Cogito, ergo dumm. Sebastian 23
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Название: Cogito, ergo dumm

Автор: Sebastian 23

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783710951084

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СКАЧАТЬ Schädel einzudringen und nach Gefühl weiter zu bohren, bis man eben dachte, an der richtigen Stelle zu sein. Dann zerstörte man durch ruckartige Bewegungen Teile des frontalen Kortex. Zurück blieb meist nur ein blauer Fleck – und ein apathischer Patient oder eine apathische Patientin. Diese konnten in der Regel nicht mehr wirklich viel, aber stellten damit eben auch kein Problem mehr für sich und ihre Umwelt dar. Wenn Sie meinen, das sei aber eine ziemlich grobe Methode, dann seien Sie getrost, dass das selbst Walter Freeman höchstpersönlich auch so gesehen hat: »Die Psychochirurgie erlangt ihre Erfolge dadurch, dass sie die Fantasie zerschmettert, Gefühle abstumpft, abstraktes Denken vernichtet und ein roboterähnliches, kontrollierbares Individuum schafft.« Was man so alles als Erfolg bezeichnen kann, ist schon manchmal erstaunlich. Wobei man fairerweise sagen muss, dass Moniz für seine Erfindung tatsächlich den Nobelpreis in Medizin erhielt. Eine Weile lang gab es einen regelrechten Hype um die Lobotomie, nicht zuletzt, weil Walter Freeman sie gekonnt vermarktete.

      Der vielleicht dümmste Auswuchs dieser »Mode« war es, als 1967 drei Wissenschaftler in einem Leserbrief an das Journal of the American Medical Association schrieben, die Ursachen der damaligen Unruhen in Detroit lägen in einer »fokalen Hirnstörung«, die man operativ entfernen sollte, wenn man weitere Unruhen verhindern wollte. Gemeint waren übrigens Proteste der Bürgerrechtsbewegung. Was die Autoren also scheinbar sagen wollten: Nicht-weiße Menschen sind eigentlich okay, aber wenn sie Krawall machen, zerstört ihre Gehirne und macht sie zu roboterähnlichen, kontrollierbaren Individuen.

      Mir persönlich hilft der Gedanke nur eingeschränkt weiter, dass Lobotomie inzwischen glücklicherweise verboten ist, meinen Glauben an die Menschheit wiederzufinden. Vor allem habe ich nach diesem Kapitel irgendwie so gar keine Lust mehr, krank zu werden. Denn Gründe, nicht krank werden zu wollen, gibt es aktuell immer noch genug. Heutzutage sind die Zeitungen gut gefüllt mit Skandalen rund um angebliche Behandlungsfehler, Unfälle in Krankenhäusern oder andere Fehlleistungen von Ärzt*innen. Oft kommt es dann zu aufsehenerregenden Prozessen, denn die Mediziner*innen lassen sich scheinbar ungern Vorwürfe gefallen. Nicht zuletzt deswegen kursiert das Klischee der Halbgötter in Weiß. Nun ist es sicher so, dass Patient*innen nicht immer im Recht sind, wenn sie sich über Ärzt*innen beklagen. Und nicht alle Fehler, die tatsächlich passieren, haben dramatische Konsequenzen. Doch es ist auch klar, dass es nicht vermeidbar ist, dass manchmal gravierende Fehler vorkommen. Und es gibt eine erstaunliche Studie dazu, wie man am besten damit umgehen kann.

      Moralisch betrachtet ist es recht einfach: Wer einen Fehler macht, sollte in der Lage sein, diesen zuzugeben und so den Verarbeitungsprozess auf beiden Seiten zu ermöglichen. Doch es zeigt sich, dass es womöglich auch aus finanzieller Sicht viel besser für eine Klinik ist, Fehler einzugestehen. In einem Fachartikel dazu schildern Richard Boothman und seine Kolleg*innen, wie die Universitätsklinik von Michigan ab 2001 anfing, ihren Umgang mit geschädigten Patient*innen und Vorwürfen von Behandlungsfehlern komplett neu aufzustellen. Es mag kontra-intuitiv erscheinen, aber ihr Modell namens Offenlegung und Angebot basiert auf Eingeständnissen und Transparenz, statt auf strikter Verteidigung des eigenen Standpunkts. Es zeigte sich in der Folge, dass dadurch die Prozesskosten und auch die Schadensersatzsummen massiv gesenkt wurden. Mehr noch, es scheint, der generelle Umgang zwischen Ärzt*innen und Patient*innen hat sich deutlich verbessert.

      Ich bin mir nicht sicher, ob das bei John Taylor geholfen hätte, nachdem er Johann Sebastian Bach Blei und Taubenblut ins Auge injiziert hatte. Aber einen Versuch wäre es vielleicht wert gewesen, denn wir machen alle Fehler, so viel ist klar. Dumm ist es nicht, das zuzugeben, sondern das zu bestreiten.

      5. Unwissenschaft und Technik

       »Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit Radius null – und das nennen sie ihren Standpunkt.«

      Mag sein, dass man es nicht jedem Menschen sofort anmerkt, aber auch das Wissen der Menschheit entwickelt sich ständig weiter. Das Begreifen der Welt und die Nutzbarmachung ihrer Ressourcen gehen dabei Hand in Hand. Und an der dritten Hand geht die Dummheit. Denn Wissenserweiterung geschieht immer auch durch Überschreitung des bestehenden Konsenses. Der erste Affe, der ein Werkzeug eingesetzt hat, war umgeben von Affen, die vermutlich dachten: Der Typ spinnt!

      Bevor der erste Affe erfolgreich einen Stein als Werkzeug einsetzte, um eine Nuss zu knacken, haben es vermutlich Hunderte andere Affen mit einer Banane oder einem Blatt versucht. Darum finde ich es auch so bedenklich, dass mittlerweile viele technische Neuerungen die Dummheit der Nutzer*innen miteinberechnen und von vornherein »fail safe« konstruiert sind. Wir haben schließlich gute Gründe, die Bedienungsanleitung nicht zu lesen, denn Fehler sind eben notwendige Schritte auf dem Weg zum richtigen Weg. Und nein, es ist kein Zufall, dass sich im letzten Satz ein Stilfehler befindet. Und wenn Sie jemanden sehen, der im Stadtpark mit einer Banane auf eine Kokosnuss einprügelt, seien Sie versichert: Er bringt das Wissen der Menschheit voran. Vielleicht nicht ganz so sehr wie Roger Bacon, aber immerhin.

      Roger Bacon war ein mittelalterlicher Visionär und Erfinder, er lebte im 13. Jahrhundert und ersann Erfindungen wie das Mikroskop, das Teleskop, fliegende Maschinen und Dampfschiffe. Ja, Sie haben richtig gelesen, diese Dinge wurden im 13. Jahrhundert erfunden, während der Großteil der Menschheit noch damit beschäftigt war, Pest und Kreuzzüge terminlich zu koordinieren und sich nackte Hühner auf den Kopf zu setzen. Natürlich konnte Roger Bacon die meisten seiner Erfindungen technisch nicht umsetzen. Allerdings gilt er vielen als Erfinder der Brille. Falls Sie das hier lesen können, liegt das also eventuell an ihm. Falls Sie das hier nicht lesen können, GEHEN SIE ZUM AUGENARZT!

      Am Rande bemerkt: Roger Bacon war bei der Erfindung der Brille inspiriert durch den im heutigen Irak geborenen Wissenschaftler Alhazen, der als Erfinder der Lupe gilt und ein weiteres exzellentes Beispiel dafür ist, wie antikes europäisches Wissen im arabischen Raum erhalten und weiterentwickelt wurde, während man hierzulande im Hochmittelalter beinahe alles vergessen, verdrängt und verbrannt hatte, was nicht der Lehre der katholischen Kirche und der damals schwer angesagten Philosophie der Scholastik entsprach.

      Die Scholastik war sehr theoretisch und versuchte als Weiterentwicklung der aristotelischen Logik, Probleme zu lösen. Das hatte nur ganz am Rande mit der Welt zu tun, sondern war sehr, sehr kopflastig. Ein scholastischer Denker wie Thomas von Aquin klang in etwa so: »Ich würde nicht ewig leben, weil wir nicht ewig leben sollten, weil, wenn wir ewig leben sollten, dann würden wir ewig leben, aber wir können nicht ewig leben, weshalb ich auch nicht ewig leben würde.« Gut, okay, ich gebe zu, das ist tatsächlich nicht von Thomas von Aquin, sondern in Wahrheit ein wörtliches Zitat einer Bewerberin um den Titel der Miss Alabama 1994, kam also gut 700 Jahre zu spät. Aber viele scholastische Beweisführungen klangen nicht weniger verworren und verkopft. Der echte Thomas von Aquin war beispielsweise überzeugt, dass die Welt nicht notwendig existiere, aber dass Dinge, die nicht notwendig existieren, nicht aus sich selbst heraus existieren können, sondern nur aus einem notwendigen Wesen heraus geschaffen sein können, und dieses notwendige Wesen sei eben Gott. Das muss man jetzt nicht notwendig verstehen, aber es klingt lecker logisch.

      Roger Bacon war ein früher Vertreter der Versuche der Überwindung dieses rein theoretischen Denkens und er war einer der wichtigsten Vordenker der empirischen Methode, also der Überprüfung von Hypothesen durch Versuche. Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man Roger Bacon eine gewisse Wichtigkeit für die Wissenschaft zugesteht. Denn natürlich war sein Konzept der Erfahrungswissenschaft ein Vorgriff auf unser heutiges Verständnis, und inzwischen haben wir deshalb sogar die technischen Möglichkeiten, sämtliche seiner Visionen Realität werden zu lassen. Sogar den Ornithopter, also ein Flugzeug, dass per Flügelschlag fliegt. Das gibt es heute allerdings nur als Kinderspielzeug aus Holz, Papier und Gummi.

      Doch vor 700 Jahren sah man das weniger spielerisch. Wenn man seiner Zeit so weit voraus ist wie Roger Bacon, dann reagieren die Zeitgenossen darauf erst mal skeptisch. Denken Sie an den ersten Affen, der einen Stein statt einer Banane nutzte, um eine Kokosnuss zu knacken. Nicht weniger problematisch СКАЧАТЬ