Cogito, ergo dumm. Sebastian 23
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Название: Cogito, ergo dumm

Автор: Sebastian 23

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783710951084

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СКАЧАТЬ man wissen, dass Wakefield nur zwölf Kinder untersucht hatte. Erste Untersuchungen kleiner Gruppen sind in der Wissenschaft nicht unüblich, erfordern aber, bevor sie wirklich aussagekräftig sind, die Überprüfung ihrer Ergebnisse in größeren Studien. Eine Reproduktion von Wakefields Ergebnissen ist allerdings in der Folge nicht gelungen, im Gegenteil. Studien an Zigtausenden von Kindern haben keinen Zusammenhang herstellen können, ob in Kanada, Dänemark, Japan oder anderswo. Was man jedoch herausfand, war, dass Wakefield im Vorfeld der Studie Gelder von einer Gruppe Anwälte erhalten hatte, die einige der zwölf Kinder und deren Familien vertraten und eine Klage gegen den Hersteller des Impfstoffs vorbereiteten und dafür Belege benötigten, die die Studie liefern sollte. Als das ans Licht kam, wurde die Studie komplett zurückgezogen und Wakefield 2010 die Zulassung als Arzt entzogen. Er hat seine Fehler eingesehen und lebt nun zurückgezogen in einer Hütte in den schottischen Highlands, wo er Schafe züchtet.

      Ich mach nur Spaß, natürlich hat sich Wakefield nicht zurückgezogen, im Gegenteil: Er ist inzwischen eine Art Galionsfigur der Bewegung der sogenannten Impfgegner, oder, noch euphemistischer: Impfskeptiker. Zu denen gehört seit einiger Zeit auch US-Präsident Donald Trump. Wie mächtig die Bewegung nach wie vor und trotz aller Gegenbeweise ist, sieht man daran, dass Masern nach wie vor und in wachsendem Maße ein Problem sind. Ich sag das noch mal ganz langsam: Eine Studie, deren Macher bestochen wurden und deren Ergebnisse widerlegt sind, ist bis heute so einflussreich, dass sie verhindert, dass die Masern ausgerottet werden. Stattdessen sterben weiterhin zigtausend Kinder pro Jahr, darunter nicht wenige, die noch zu jung für eine Impfung waren. Allein auf der Südseeinsel Samoa, auf der lediglich 200 000 Menschen leben, starben im Herbst 2019 bei einem Masernausbruch 42 Menschen, fast alles kleine Kinder. Was für eine Katastrophe. Gerade, weil sie so vermeidbar wäre.

      Insbesondere in sozialen Netzwerken wie Facebook wird jedoch weiterhin ungebremst gegen Impfungen Stimmung gemacht; Gegenredner*innen werden niedergemacht und übel beschimpft. Obwohl das übrigens nicht so sein müsste, wie das soziale Netzwerk Pinterest vorgemacht hat. Nachdem die Plattform kritisiert wurde, weil sich dort viele Impfgegner*innen tummelten, verbot sie kurzerhand die Verbreitung solcher Inhalte. Und bevor Sie jetzt »Zensur« schreien, bedenken Sie bitte, dass die WHO die Impfgegner selbst inzwischen als weltweites Gesundheitsrisiko eingestuft hat, gemeinsam mit Dingen wie Ebola, Antibiotikaresistenzen und Luftverschmutzung. Nicht die Masern oder die Impfungen, sondern die Impfgegner*innen!

      Und ja, ich weiß und alle anderen wissen auch, dass Impfungen Nebenwirkungen haben können. Aber erstens sind diese sehr überschaubar, zweitens bestehen diese ganz sicher nicht in Autismus, und drittens würden zumindest Masernimpfungen bald nicht mehr nötig sein, ebenso wenig wie Impfungen gegen Pocken: Die Menschheit könnte diese gefährliche Krankheit nämlich vergleichsweise einfach komplett besiegen. Es gäbe sie dann nicht mehr, damit wären ironischerweise auch Impfungen überflüssig. Wenn wir uns halt nur nicht so unglaublich dumm anstellen würden. Mal am Rande gefragt, selbst wenn Wakefields hanebüchene These wahr wäre: Was ist eigentlich so schlimm an Autismus, dass man lieber zigtausend Kinder sterben lässt?

      Aber es gibt ganz aktuell Anlass zur Hoffnung, auch oder gerade weil die Zahlen sich weiter verschlechtern. In der ersten Hälfte 2019 sind die Masernfälle noch mal rapide angestiegen, laut WHO gab es in Europa im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Verdopplung der Infektionen. Das Gesundheitsministerium plant nun, während ich diese Zeilen hier schreibe, im März 2020, also genau dann, wenn dieses Buch erscheint, die Masernimpfpflicht einzuführen. Wer weiß, vielleicht ist dieser Abschnitt also schon reif für den Papierkorb der Medizingeschichte, wenn Sie das lesen. Es wäre zu hoffen.

      Wo ich mich gerade schon in Rage geredet habe: Soll ich vielleicht noch einen Absatz über Homöopathie hinterhersetzen? Unglaublich stark verdünnte Mittel, die allen Ernstes durch eine bestimmte, abgezählte und per Hand durchgeführte Schütteltechnik ihre Wirksamkeit erhalten sollen, jedoch (Überraschung!) laut Dutzenden wissenschaftlichen Studien nachweislich keine über den Placeboeffekt hinausweisende Heilwirkung haben?

      Wie bitte, ich soll nicht alle Naturheilmethoden verdammen, weil Ihr Cousin dritten Grades mal durch Handauflegen von seiner Oligophrenie geheilt wurde? Was hat denn das … ne, Moment, Moment! Wissen Sie was? Vielleicht sollten Sie das Buch einfach nicht weiterlesen. Schneiden Sie alternativ eine stecknadelkopfgroße Ecke dieser Seite aus und lösen Sie diese in warmem Wasser. Die entstandene Lösung verdünnen Sie um 100 000 000 Grad, dann schütteln Sie das Ganze genau zwölfmal und pressen die erzeugte Lösung mit etwas Zucker zu einem winzigen Kügelchen. Schließlich werfen Sie dieses Kügelchen beim nächsten Vollmond in das nächstgelegene Fließgewässer und denken dabei ganz fest daran, dass Ihre Behandlungsmethoden von den Menschen der Zukunft weitaus lächerlicher gefunden werden als die altägyptischen Mittel gegen Haarausfall oder ein nacktes Huhn als Hut gegen die Pest.

      Statt endlos verdünntem Wasser sollten wir vielleicht lieber mit dem Kopf schütteln – aber nicht zu sehr, damit das Huhn nicht herunterfällt! Ich freu mich schon auf die heiteren Zuschriften von Homöopathie-Fans, die schon in der Vergangenheit durch Shitstorms gegen Kritiker*innen gezeigt haben, wie gut sie vernetzt sind. Aber wissen Sie, was noch besser vernetzt ist? Die Nervenzellen im Gehirn im Kopf, den ich gerade schüttele. Obwohl es über einhundert Milliarden Zellen sind, ist jede einzelne mit jeder anderen über maximal vier Ecken verbunden. Nicht zuletzt deshalb ist unser Gehirn der komplexeste Gegenstand, den die Menschheit kennt. Nun ist unser Gehirn aber natürlich auch die Instanz in uns, die Dinge kennt, und vielleicht kann es einfach nichts Komplexeres als sich selbst erkennen. Oder was meinen Sie? Kann unser Gehirn einen Gedanken denken, der so komplex ist, dass er unser Gehirn übertrifft? Denken Sie mal darüber nach, am besten am Gehirn vorbei.

      Was die Medizin sicher weiß, ist, dass bestimmte Areale im Gehirn für bestimmte Denkleistungen verantwortlich sind. Das ist schon recht früh aufgefallen, weil bei manchen Unfällen bestimmte Teile des Gehirns verletzt wurden und die überlebenden Patient*innen daraufhin bestimmte Dinge nicht mehr konnten. Und das trotz aller Vernetzung und der Tatsache, dass manche Bereiche des Gehirns unter bestimmten Umständen in der Lage sind, die Aufgaben anderer Bereiche zu übernehmen. Vielleicht haben Sie schon mal vom Broca- und Wernicke-Areal gehört. Dies sind die beiden Sprachzentren im Gehirn. Es gibt auch ein Areal im Hirn, das für die Gesichtserkennung zuständig ist, es trägt den Namen Gyrus Fusiformis. Das bei mir sehr ausgeprägte Areal, welches dumme Wortspiele liebt, heißt hingegen Fußförmiges Gyros. Es gibt allerdings auch eine sehr verbreitete Fähigkeit, für die es kein eigenes Areal im Gehirn gibt. Und das Verrückte ist, dass ich weiß, dass Sie das können, auch wenn wir uns noch nie getroffen haben. Mehr noch, ich weiß, dass Sie es jetzt gerade machen. Bevor Sie jetzt aus einem Missverständnis und aus Trotz heraus aufhören zu atmen: Das meine ich nicht. Ich rede vom Lesen.

      Tatsächlich ist Schrift ja eine vergleichsweise neue Erfindung, und wenn wir lesen, passiert im Prinzip eine komische Mischung aus optischer Wahrnehmung und Sprache. Um diese Fähigkeit zu erwerben, beanspruchen wir einen Teil unseres Gehirns, der eigentlich dafür nicht vorgesehen war, insbesondere das Brodmann Areal 17. Es gibt Neurologen, wie etwa Ernst Pöppel, die meinen, dass man deshalb sagen könnte, dass Lesen uns Teile unserer Denkfähigkeit raubt und uns auf diese Art quasi ein bisschen dümmer macht. Ich halte hingegen für möglich, dass diese allzu steile These aufgestellt wurde, damit mehr Leute Herrn Pöppels Bücher lesen. Was ja einer gewissen Ironie nicht entbehrte.

      Weniger heiter ist eine »Therapie«, die ein Arzt namens António Caetano de Abreu Freire Egas Moniz entwickelt hat, nachdem er erfuhr, dass Gedanken und Emotionen klar im Gehirn zu verorten sind. Das brachte ihn nämlich auf die Idee, dass man Menschen durch die absichtliche Zerstörung eines Teils des Gehirns, der auf unerwünschte Weise funktionierte, kurieren könnte. Diese Methode nennt sich Lobotomie, und sie wurde insbesondere durch den Amerikaner Walter Freeman verbreitet, der sie »verbesserte«, sodass sie ein Laie, mit lokaler Betäubung und ohne Narben am Schädel zu hinterlassen, durchführen kann. Überspringen Sie den nächsten Absatz, wenn Sie einen empfindlichen Magen haben.

      Freemans Methode war es, mit einem schmalen, sehr spitzen Gegenstand СКАЧАТЬ