Cogito, ergo dumm. Sebastian 23
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Cogito, ergo dumm - Sebastian 23 страница 8

Название: Cogito, ergo dumm

Автор: Sebastian 23

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783710951084

isbn:

СКАЧАТЬ Augenlicht und litt an extremen Schmerzen, vier Monate später starb er. Das hielt Taylor nicht davon ab, acht Jahre später auch Georg Friedrich Händel mit derselben Methode zu behandeln und blind zu machen. Ja, Sie haben richtig gelesen, derselbe Arzt hat mit derselben Methode erst Bach und dann Händel blind gemacht.

      Doch natürlich gab es in der Medizingeschichte nicht nur Idioten, das muss klar gesagt werden. Im Gegenteil, es ist unglaublich, welch große Geister die Medizin zu ihren heutigen Möglichkeiten gebracht haben. Und man kann nur mutmaßen, dass wir noch viel weiter wären, wenn sie dabei nicht von Narren umgeben gewesen wären. Nehmen wir Ignaz Semmelweis. Er war Mitte des 19. Jahrhunderts Arzt in Wien, und ihm fiel im Krankenhaus ein deutlicher Unterschied zwischen zwei Gebärstationen auf: In der einen kam es zu deutlich weniger Todesfällen und Komplikationen bei und nach Geburten. Er bemerkte, dass in der anderen Station die Ärzte oft mit ungewaschenen Händen zu Werke gingen. Also stellte er die Theorie auf, dass es vielleicht gut wäre, wenn Ärzte sich vor der Arbeit gründlich die Hände reinigen würden. Klingt einleuchtend, oder?

      Semmelweis wurde jedoch für diese Idee nicht nur ausgelacht, sondern sein Hang zur Reinlichkeit führte schließlich dazu, dass er entlassen und kurz darauf, am 30. Juli 1865, unter Vorwänden in eine Irrenanstalt gelockt und dort eingesperrt wurde. Er starb zwei Wochen später. Heute wissen wir, welch wichtigen Beitrag seine Erkenntnisse darstellten und können nur mutmaßen, wie viele Leben hätten gerettet werden können, wenn man direkt auf ihn gehört hätte. Und wir reden hier nicht über das Mittelalter, das ist gerade mal 150 Jahre her. Aber gut, da ist auch wieder Captain Hindsight im Spiel, diesmal begleitet von dem Umstand, dass es uns heute regelrecht bizarr erscheint, dass sich nicht mal die Ärzte vor der Arbeit die Hände gewaschen haben. Gott behüte, was in den damaligen Fast-Food-Restaurants los gewesen sein muss.

      Noch etwas später, im Jahr 1897, reichte ein junger Mediziner namens Ernest Duchesne eine Doktorarbeit ein, die auf einer Beobachtung aus einem Pferdestall beruhte. Genauer gesagt hatte Duchesne erstaunt festgestellt, dass einige arabische Stallknechte die Sattel der Pferde in einem dunklen feuchten Raum aufbewahrten, damit sich an ihnen Schimmelpilz bilden konnte. Duchesne fragte natürlich nach, warum sie das täten, und die Stallknechte erklärten ihm, dass damit die wund gescheuerten Rücken der Pferde schneller heilten.

      Was die Stallknechte durch Zufall entdeckt hatten, prüfte Duchesne im Labor an erkrankten Meerschweinchen. Nach Verabreichung einer Lösung aus den Schimmelpilzen wurden sie alle gesund: Duchesne hatte das Antibiotikum entdeckt. Er fasste seine Forschungsergebnisse zusammen und reichte sie beim Institut Pasteur in Paris als Doktorarbeit ein. Was ist denn daran dumm, fragen Sie? Nun, so weit nichts. Außer, dass das Institut die Doktorarbeit ablehnte, denn Duchesne war erst 23 Jahre alt und bis dahin ein völlig Unbekannter. Seinem Drängen auf weitere Forschung in dieser Richtung kam man ebenso wenig nach, und ihn selbst hielt in der Folge der Militärdienst von dieser Betätigung ab. Es brauchte gut dreißig Jahre und eine weitere eher zufällige Beobachtung, um der Menschheit die Vorzüge des Antibiotikums zuteilwerden zu lassen. Und damit endlich ein wirksameres Mittel gegen die Pest als ein nackter Hühnerhintern. Es war Alexander Fleming, dem bei seiner Forschung 1928 im Labor aus Versehen Schimmelpilze in eine Probe von Bakterien geraten waren. Er forschte weiter, entwickelte das Penicillin und hat damit unzähligen Menschen das Leben gerettet. Man darf nur nicht drüber nachdenken, wie viele Menschen zwischen 1897 und 1928 an bakteriellen Infektionen gestorben sind, die nicht hätten sterben müssen, wenn man damals der Jugend etwas mehr zugetraut hätte.

      Eine Randnotiz sei noch hinzugefügt: Womöglich gab es schon vor tausend Jahren Medizin mit antibiotischer Wirkung. Im Jahr 2015 haben Historiker*innen und Mikrobiolog*innen gemeinsam einen Artikel veröffentlicht, der weltweit Schlagzeilen machte: A 1000 Year Old Antimicrobial Remedy with Anti-Staphylococcal Activity. In einer alten Handschrift hatten sie ein Rezept für eine Salbe entdeckt, das unter anderem auf Zwiebeln und Knoblauch basierte. Als sie die beschriebene Salbe herstellten, hatte diese zumindest im Labor sogar Wirkung gegen multiresistente Bakterien. Vielleicht haben wir nicht nur die Jugend von damals unterschätzt, sondern auch das Mittelalter.

      Es ist zu bezweifeln, dass das mittelalterliche Wundermittel aus Zwiebeln und Knoblauch besonders gut roch. Vermutlich wäre Wilhelm Fliess kein großer Fan davon gewesen, denn bei ihm stand die Nase gewissermaßen im Mittelpunkt – nicht nur des Gesichts. Er wurde jedoch nicht ganz so berühmt wie ein Freund von ihm. Sigmund Freud und Wilhelm Fliess standen nämlich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in regem Austausch, denn Fliess war einer der wenigen, der schon früh offen war für Freuds revolutionäre Ideen. Allerdings entzweiten sich die beiden schon bald über die Frage, ob die Entwicklung von Neurosen psychologische oder physische Ursachen habe. Fliess vertrat den überraschenden Ansatz, dass es eine direkte Verbindung zwischen Nase und Genitalbereich gäbe. Unter anderem nahm er an, dass Coitus interruptus und Selbstbefriedigung in der Nase einen charakteristischen Fernschmerz verursachten. So erklärt sich vermutlich auch, dass Fliess annahm, man könne sexuelle Dysfunktion bei Frauen behandeln, indem man Kokain in ihren Nasen anwendet. Eine Aussage, die man wohl eher einem zwielichtigen Zuhälter zutraut als einem Psychologen. Wobei man fairerweise sagen muss, dass es damals nicht unüblich war, mit Kokain zu experimentieren. Auch Sigmund Freud wagte recht häufig den Selbstversuch und entdeckte unter anderem seine Verwendungsmöglichkeit zur lokalen Betäubung. Der Versuch, einen anderen Freund, den Physiologen Ernst Fleischl von Marxow, mithilfe von Kokain von seiner Morphiumsucht zu befreien, war hingegen weniger von Erfolg gekrönt. Von Marxow wurde rückfällig und war, aus heutiger Sicht wenig überraschend, von da an auch noch kokainsüchtig.

      Dieser Fall ist nur eines der vielen Beispiele für medizinische Versuche, die man mit dem Wissen der Gegenwart betrachtet und denkt: Das hätte man doch damals auch wissen können. Aber das ist eben nicht der Fall, das ist nur wieder Captain Hindsight. Was uns heute als selbstverständlich gilt, mussten Wissenschaftler*innen über Jahrtausende herausfinden. Das gilt natürlich auch und insbesondere im Gesundheitsbereich. Mit dem fortschreitenden medizinischen Wissen der Menschheit gibt es stets neue Möglichkeiten, die Grenzen des Machbaren neu auszuloten. Die Wissenschaft läuft auf Hochtouren, und es werden neue Mittel und Therapien entwickelt. Da ist es durchaus okay und gewünscht, wenn sich manche Hypothesen als falsch herausstellen.

      Doch es gibt bei aller Freude an der Experimentierlust und am Scheitern auch in der Medizingeschichte Dinge, bei denen klar ist: Das hätte nicht sein müssen. So versuchte zum Beispiel 1927 der sowjetische Wissenschaftler Ilya Iwanowitsch Iwanow ernsthaft eine neue Kreatur durch Kreuzung von Menschen und Schimpansen zu erzeugen. Das ist nicht nur aus heutiger Sicht gruselig, sondern war auch schon damals keine gute Idee. Vielleicht denken Sie jetzt: Moment mal, sind wir nicht 2020 wieder genau an der Stelle, genetisch ein Mittelding zwischen Mensch und Tier zu schaffen, genauer gesagt eine Chimäre aus Mensch und Schwein. Und ja, Sie haben natürlich recht, und auf den ersten Blick klingt das ebenso gruselig wie die Ideen von Iwanow. Allerdings steckt eine andere Idee dahinter als Iwanows Wunsch, Darwins Theorien der nahen Verwandtschaft zwischen Schimpansen und Menschen auf eine sehr befremdliche Weise zu beweisen. Heute geht es den Wissenschaftler*innen darum, Schweine genetisch so zu manipulieren, dass ihnen menschliche Organe wachsen. Diese könne man dann zur Organtransplantation nutzen, so der Gedanke. Über die Frage, ob das ethisch vertretbar ist, kann man sicherlich ein eigenes Buch schreiben und stundenlang mehr oder weniger entspannt diskutieren. Besonders entspannt, wenn man gerade nicht auf eine Spenderleber wartet.

      Die Gentechnik ist ein überaus spannendes Feld und verspricht neben quasi unendlichem Diskussionsstoff für Ethikseminare in naher Zukunft die ein oder andere medizinische Revolution. Insbesondere seit der Entwicklung von CRISPR/Cas9, einer neuen Technik zur Manipulation von Genen, die eine massive Vereinfachung darstellt. CRISPR/Cas9 wird auch die Gen-Schere genannt, denn man kann mit dieser Technik quasi einzelne Abschnitte aus Gensequenzen ausschneiden und andere einsetzen, was weitaus präziser und einfacher ist als die vorher angewendeten Methoden wie etwa der Einsatz von Chemikalien und/oder Bestrahlung. Dadurch hat sich in den letzten Jahren die Entwicklung exponentiell beschleunigt und die Fantasien und Hoffnungen der Wissenschaftler*innen beflügelt. So gibt es nicht wenige, die davon ausgehen, dass wir in naher Zukunft СКАЧАТЬ