Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
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Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

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СКАЧАТЬ jenen bereits fernen Zeiten, da ich in unserm Garten zu Combray begonnen hatte, seine Bücher zu lesen. Vielleicht hätte ich mir aber eins sagen sollen: da ich mich meinen Gedanken aufrichtig überließ, einerseits mit Bergottes Werk so tief sympathisierte, andererseits im Theater eine Enttäuschung gehabt hatte, deren Gründe ich nicht kannte, so mochten diese beiden instinktiven Regungen nicht allzu verschieden voneinander sein, sondern denselben Gesetzen gehorchen; der Geist Bergottes, den ich in seinen Büchern geliebt hatte, brauchte meiner Enttäuschung und der Unfähigkeit, sie auszudrücken, nicht als etwas ganz Fremdes und Feindliches gegenüberstehen. Meine Intelligenz mußte etwas Einheitliches sein; vielleicht gibt es überhaupt nur eine einzige, in der alle Welt beieinander wohnt, eine Intelligenz, auf die jeder von seinem besondern Körper aus seine Blicke richtet, wie im Theater, wo ein jeder seinen Platz hat, und es dennoch nur eine Bühne gibt. Gewiß waren die Ideen, zu denen mein Geschmack sich hingezogen fühlte, nicht die, welche Bergotte in seinen Büchern zu ergründen pflegte. Wenn es aber die gleiche Intelligenz war, die er und ich zur Verfügung hatten, mochte er sich ihrer erinnern, während er mich meine Ideen ausdrücken hörte, dann sie auch lieben und ihnen zulächeln und dabei wahrscheinlich, meinen Vermutungen zum Trotz, vor seinem inneren Auge einen ganz andern Teil der Intelligenz haben als den, von welchem in seine Bücher ein Ausschnitt geraten war, nach dem ich mir sein gesamtes geistiges Universum vorgestellt hatte. Wie Priester mit ihrer großen Herzenskenntnis am besten Sünden, die sie nicht begehen, vergeben können, so kann das Genie mit seiner großen Erfahrung in Dingen der Erkenntnis am besten die Ideen begreifen, die denen am meisten widersprechen, welche den Gehalt seines eigenen Werkes bilden. Das hätte ich mir alles sagen müssen (es ist übrigens gar nicht so angenehm zu wissen, denn dem Wohlwollen der hohen Geister entspricht als Corollar Feindseligkeit und Unverstand bei mittelmäßigen; unser Glück über die Liebenswürdigkeit eines großen Schriftstellers, die man allenfalls in seinen Büchern findet; ist weniger stark als unsere Qual bei der Feindseligkeit einer Frau, die man nicht um ihrer Intelligenz willen gewählt hat und doch nicht umhin kann zu lieben). Ich hätte mir das alles sagen müssen, tat es aber nicht. War ich doch überzeugt, daß ich Bergotte töricht vorgekommen sei. Da flüsterte Gilberte mir ins Ohr:

      »Ich bin so froh: Sie haben meinen großen Freund Bergotte erobert. Er hat zu Mama gesagt, daß er Sie äußerst intelligent finde.«

      »Wo gehen wir hin?« fragte ich Gilberte. »Wohin Sie wollen, für mich, wissen Sie, ob ich nun da oder dorthin gehe ...«. Aber seit dem Vorfall am Todestage ihres Großvaters fragte ich mich, ob der Charakter Gilbertes nicht doch anders sei, als ich geglaubt hatte, ob diese Gleichgültigkeit gegen das, was man tun könne, diese Verständigkeit, Ruhe und dauernde, sanfte Ergebenheit nicht vielmehr äußerst leidenschaftliche Begierden bärgen, die sie aus Eigenliebe nicht sehen lassen wollte und nur dann durch jähen Widerstand enthüllte, wenn sie zufällig durchkreuzt wurden.

      Da Bergotte in demselben Viertel wohnte wie meine Eltern, brachen wir zusammen auf; im Wagen sprach er mit mir über meine Gesundheit. »Unsere Freunde sagten mir, Sie seien leidend. Ich beklage Sie sehr. Und doch auch wieder nicht zu sehr, denn ich sehe, daß Sie die Freuden der Intelligenz haben müssen, und auf die kommt es wahrscheinlich für Sie vor allem an wie für jeden, der sie kennt.«

      Ach, wie deutlich fühlte ich, daß für mich wenig Wahrheit besaß, was er da sagte, für mich, den der erhabenste Gedankengang kalt ließ, mich, der nur glücklich war, wenn ich zu Zeiten, in denen ich mich gesund fühlte, einfach umherschlenderte; ich fühlte, wie rein materiell meine Wünsche ans Leben waren, mit welcher Leichtigkeit ich der Intelligenz; mich entschlagen hätte. Ich unterschied nicht die verschiedenen mehr oder weniger tiefen, dauerhaften Quellen, aus denen meine Freuden kamen, und so dachte ich, als ich ihm eine Antwort geben wollte, mir wäre gerade ein Dasein lieb gewesen, in dem ich der Herzogin von Guermantes nahegestanden und oft, wie in dem ehmaligen Akzisehäuschen der Champs-Élysées das Frische gespürt hätte, das mich an Combray erinnerte. In diesem Lebensideal, das ich ihm nicht anzuvertrauen wagte, war für die Freuden der Intelligenz kein Platz.

      »O nein, die Freuden der Intelligenz bedeuten wenig für mich, nicht sie suche ich, ich weiß nicht einmal, ob ich sie je genossen habe.«

      »Das glauben Sie wirklich?« erwiderte er. »Ach hören Sie, es muß doch so sein, gleichwohl, Sie müssen diese Freuden am meisten lieben. Ich stelle es mir deutlich vor. Ich meine doch..«

      Er überzeugte mich durchaus nicht, und dennoch fühlte ich mich glücklicher, weniger beschränkt. Was Herr von Norpois mir sagte, hatte mich meine verträumten, begeisterten, selbstvertrauenden Augenblicke als rein subjektiv und ohne Wahrheitsgehalt ansehen lassen. Nun sollte nach Bergotte, der meinen Fall zu kennen schien, vielmehr mein Zweifel, mein Widerwille gegen mich selbst das Symptom sein, das man vernachlässigen mußte. Vor allem nahmen seine Worte über Herrn von Norpois selbst dem Verdammungsurteil, gegen das ich mir keine Berufung zugetraut hatte, viel von seiner Kraft.

      »Werden Sie gut gepflegt?« fragte Bergotte. »Wer befaßt sich mit Ihrer Gesundheit?« Ich sagte, daß ich Cottard konsultiert habe und sicher auch in Zukunft konsultieren werde. »Aber das ist nicht das Richtige für Sie! Ich kenne ihn nicht als Arzt. Aber ich habe ihn bei Frau Swann gesehen. Das ist ein Dummkopf. Selbst angenommen, das hindere nicht, ein guter Arzt zu sein, was mir zu glauben schwerfällt, es hindert doch, ein guter Arzt für Künstler, für geistige Menschen zu sein. Leute wie Sie brauchen anpassungsfähige Ärzte, fast möchte ich sagen, ein besonderes Regime und besondere Arzneien. Cottard wird Sie langweilen, und schon die Langweile wird die Wirksamkeit seiner Behandlung hindern. Und die Behandlung kann doch für Sie nicht dieselbe sein wie für irgend einen Beliebigen. Dreiviertel der Leiden geistiger Menschen kommen von ihrer Intelligenz her. Sie brauchen zum mindesten einen Arzt, der dies Übel kennt. Wie soll denn Cottard für Sie sorgen können? Er hat für die Schwierigkeit, Saucen zu verdauen, für Magenbeschwerden Vorsorge getroffen, aber nicht für die Lektüre Shakespeares ... So stimmen denn seine Berechnungen bei Ihnen nicht mehr, da verliert er sein Gleichgewicht, unser cartesianischer Taucher. Er wird bei Ihnen eine Magenerweiterung finden, und dazu braucht er Sie nicht erst zu untersuchen, die hat er schon vorher im Auge. Sie können sie sehen, sie spiegelt sich in seinem Kneifer.« Diese Art zu sprechen ermüdete mich sehr, ich sagte mir mit der Borniertheit des gesunden Menschenverstandes: »Es gibt ebensowenig eine Magenerweiterung, die sich in dem Kneifer von Professor Cottard spiegelt wie Dummheiten, die sich in der Weißen Weste des Herrn von Norpois verbergen.« »Ich würde Ihnen eher zu Doktor du Boulbon raten,« fuhr Bergotte fort, »der ist wirklich intelligent.« »Er ist ein großer Bewunderer Ihrer Werke«, antwortete ich. Ich sah, daß Bergotte das wußte, und schloß daraus, verwandte Geister fanden sich schnell, man habe wenig wahrhaft ›unbekannte Freunde‹. Was Bergotte über Cottard sagte, machte mir Eindruck, wenn es auch das Gegenteil von dem war, was ich selbst glaubte. Mich beunruhigte es durchaus nicht, meinen Arzt langweilig zu finden; ich erwartete von ihm, daß er nach Untersuchung meiner Eingeweide, dank einer Kunst, deren Gesetze mir entgingen, über meinen Gesundheitszustand ein unanfechtbares Orakel abgeben werde. Ich legte keinen Wert darauf, daß er mit Hilfe einer Intelligenz, in der ich ihn hätte ersetzen können, die meine zu begreifen suche; die stellte ich mir nur als ein beliebiges Mittel zur Erforschung äußerer Wahrheiten vor. Es schien mir sehr zweifelhaft, ob die intelligenten Leute eine andere Hygiene als törichte brauchen, und ich war durchaus bereit, mich der Hygiene der letzteren zu unterwerfen. »Einer, der einen guten Arzt nötig hätte, ist unser Freund Swann«, sagte Bergotte. Und auf meine Frage, ob er krank sei: »Nun, er ist eben der Mann, der eine Dirne geheiratet hat; täglich muß er fünfzig Kränkungen von Frauen, die seine nicht empfangen wollen, und von Männern, die mit ihr geschlafen haben, hinunterschlucken. Man sieht ja, wie ihm solche Frauen ein schiefes Maul ziehen. Beachten Sie nur einmal, was für einen Circumflex die Augenbraue bei ihm bildet, wenn er heimkommt, um zu sehen, wer bei ihm zu Besuch ist.« Die böswillige Art Bergottes, vor einem Fremden über Freunde zu sprechen, bei denen er seit langer Zeit aus- und einging, war mir ebenso neu wie der beinah zärtliche Ton, in dem er bei den Swann immer wieder zu ihnen selbst sprach. Sicherlich wäre jemand wie meine Großtante uns gegenüber solcher Liebenswürdigkeiten unfähig gewesen, wie ich Bergotte sie an die Swann verschwenden sah. СКАЧАТЬ