Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen
Автор: Marcel Proust
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027208821
isbn:
Bergotte saß nicht weit von mir, und ich hörte deutlich seine Worte. Da begriff ich den Eindruck des Herrn von Norpois. Er hatte in der Tat ein wunderliches Organ; nichts beeinträchtigt so sehr die materiellen Qualitäten der Stimme, als daß sie einen Gedanken enthält; der Klang der Diphtonge, die Energie der Labiale ist davon beeinflußt. Auch die Diktion ists. Seine schien mir ganz verschieden von seiner Schreibweise, und sogar das, was er sagte, von dem, was seine Bücher erfüllte. Die Stimme aber kommt aus einer Maske und genügt nicht, um uns gleich ein Gesicht wiedererkennen zu lassen, das wir im Werke unmaskiert gesehen haben. Bergotte drückte sich bei gewissen Stellen des Gesprächs in einer Weise aus, die nur Herrn von Norpois affektiert oder unangenehm vorkommen konnte, doch brauchte ich lange, um einen genauen Zusammenhang mit den Teilen seiner Bücher zu entdecken, in denen seine Form so dichterisch und musikalisch wurde. Er erblickte in dem, was er sagte, eine plastische Schönheit, die unabhängig war von dem Sinn des Satzes, und da das menschliche Wort wohl in Beziehung zur Seele steht, ohne sie aber so auszudrücken, wie es der Stil tut, schien Bergotte fast gegen den Sinn zu reden, indem er gewisse Worte psalmodierte und, wenn er in ihnen ein einziges Bild verfolgte, sie ohne Unterbrechung mit gleichem Klange in ermüdender Monotonie aneinanderreihte. Und die Darstellungskraft, die in seinen Büchern eine Bilderfolge und Harmonie ergab, wirkte in seiner Rede anspruchsvoll, hochtrabend und monoton. Dies zu bemerken wurde mir anfangs um so schwerer als das, was er in solchen Momenten sagte, gerade weil es echter Bergotte war, nicht so wirkte, als wäre es von Bergotte. Es war ein reicher Erguß präziser Ideen, die nicht einbegriffen waren in die ›Bergottemanier‹, welche sich viele Journalisten angeeignet haben; und diese Verschiedenheit war vermutlich – wenn auch nur undeutlich im allgemeinen Gespräch wie hinter einem angerauchten Glase wahrzunehmen – ein anderer Aspekt der Tatsache, daß keine Seite Bergottes, die man aufschlug, so war, wie sie irgend einer seiner platten Nachahmer geschrieben hätte, die doch in Artikeln und Büchern ihre Prosa mit Gedanken und Bildern à la Bergotte schmückten. Dieser Stilunterschied rührte daher, daß der echte ›Bergotte‹ vor allem ein gewisses kostbares reales Element war, das im Herzen eines jeden Dinges verborgen, von dem großen Schriftsteller dank seinem Genius zutage gefördert wurde, und diese Förderung war, was der holde Sänger bezweckte, er wollte nicht in ›Bergotte‹ machen. Allerdings machte er das doch, weil er selbst Bergotte und somit jede neue Schönheit seines Werkes das Stückchen Bergotte war, das in einem Ding vergraben ist und von ihm herausgezogen wurde. War aber auch jede dieser Schönheiten mit den andern verwandt und als solche erkennbar, so blieb sie doch etwas Besonderes, wie die Entdeckung, die sie zutage gefördert hatte, blieb neu und somit verschieden von dem, was man Bergottemanier nannte, diese ungenaue Synthese aus schon entdeckten und von ihm selbst redigierten ›Bergottes‹, die den Ungenialen durchaus verwehrten zu mutmaßen, was er anderswo entdecken werde. Das trifft auf alle großen Schriftsteller zu, die Schönheit ihrer Sätze ist ebensowenig vorherzusehen wie die einer Frau, die man noch nicht kennt; sie ist Schöpfung, da sie angewandt wird auf ein äußeres Objekt, an das sie denken – sie denken nicht an sich – und das sie noch nicht ausgedrückt haben. Ein Memoirenschreiber von heute, der, ohne daß man es zu deutlich merke, einen ›Saint-Simon‹ machen wollte, könnte zur Not die ersten Worte des Porträts von Villars schreiben: ›Er war ein ziemlich großer brünetter Mann ... sein Gesichtsausdruck war lebhaft, offen, prononciert,‹ aber welche Schicksalsgunst könnte ihn die zweite Reihe finden lassen, die beginnt: ›und tatsächlich ein wenig verrückt.‹ Die echte Spielart liegt in dieser Fülle wahrer, unerwarteter Elemente, in dem Zweig voll blauer Blumen, der sich wider Erwarten aus der scheinbar schon übervollen Frühlingshecke hebt; die rein formale Nachahmung der Spielart hingegen (und dieser Gedanke ließe sich auf alle anderen Eigenschaften des Stiles anwenden) ist leer und gleichförmig, eigentlich also das genaue Gegenteil von Spielart; und nur wer des Meisters Art nicht begriffen hat, läßt sich von den Nachahmern etwas vortäuschen, das ihn an den Meister erinnert. Wäre Bergotte selbst nur ein Dilettant gewesen, der angeblichen Bergotte deklamiert, wäre seine Diktion nicht durch vitale Beziehungen, auf die das Ohr nicht unmittelbar reagiert, mit lebendigen, arbeitenden Bergottegedanken verknüpft gewesen, auch dann hätte sie zweifellos entzückt. Und gerade, weil er sein Denken präzis an die Wirklichkeit wandte, die ihm gefiel, bekam seine Sprache etwas Positives, das allzu kräftig wirkte und Leute, die von ihm immer wieder nur Worte über den ›ewigen Strudel der Erscheinungen‹ und den ›geheimnisvollen Schauer der Schönheit‹ erwarteten, enttäuschte. Ferner kehrte das qualitativ Seltene und Neue seiner Schriftsprache in seiner Konversation wieder als besonders subtile Art, an eine Frage heranzutreten und dabei alle ihre bereits bekannten Aspekte zu vernachlässigen; es war, als greife er sie von einer unwichtigen Seite an, als sei er auf Irrwegen, ergehe sich in Paradoxien, und so wirkten seine Ideen meist wirr, zumal jedermann nur die Ideen klar nennt, die denselben Grad der Verwirrung haben wie seine eigenen. Übrigens hat jeder neue Gedanke zur Bedingung seines Verständnisses die vorübergehende Ausscheidung des Veralteten, an das wir gewöhnt waren und das uns die Wirklichkeit selbst schien; jede neue Konversation wird, genau wie jede originelle Malerei oder Musik, immer erkünstelt und ermüdend wirken. Sie beruht auf Wendungen, die uns noch ungewohnt sind, der Plauderer scheint uns in lauter Metaphern zu sprechen, das strengt an und erweckt den Eindruck mangelnder Wahrheit. (Im Grunde waren die alten Sprachformen ehedem auch schwer zu verfolgende Bilder, als der Zuhörer noch nicht das Universum kannte, das sie schilderten. Aber nun stellt man sich seit langem vor, daß es das wirkliche Universum sei, und verläßt sich darauf.) Wenn also Bergotte, – was heute ganz einfach erscheint – von Cottard sagte, er sei ein cartesianischer Taucher, der sein Gleichgewicht suche, oder von Brichot, er habe noch mehr Mühe mit seiner Frisur als Frau Swann, weil er in der zwiefachen Besorgnis für sein Profil und seinen Ruf jeden Augenblick darauf achten müsse, daß seine Haartour ihm zugleich das Aussehen eines Löwen und eines Philosophen gebe, so fühlte man sich bald ermüdet und hätte gern auf etwas ›Konkreterem‹ Fuß gefaßt (das sagte man, um etwas Gewohnteres zu bezeichnen). Ich mußte die unkenntlichen Worte, die aus der Maske vor meinen Augen kamen, doch auf den Schriftsteller beziehen, den ich bewunderte, aber man hätte sie nicht in Bücher einfügen können, wie beim Puzzlespiel ein Stück, das in die andern hineinpaßt, sie lagen auf einer andern Ebene und erforderten eine Transposition: mittels dieser fand ich dann eines Tages, als ich mir die von Bergotte gehörten Wendungen wiederholte, das ganze Rüstzeug seines geschriebenen Stils wieder und konnte СКАЧАТЬ