Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
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Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

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СКАЧАТЬ verwandeln sollten), er versicherte mir, im Gegensatz zu der Meinung, die ich zur Zeit meiner Spaziergänge nach Méséglise zu hatte, die Frauen seien immer durchaus damit einverstanden, die Liebe zu machen. Er vervollständigte den Dienst, den er mir erwies, durch einen zweiten, den ich erst viel später würdigen sollte; er führte mich zum ersten Male in ein Freudenhaus. Wohl hatte er mir gesagt, es gebe viele hübsche Frauen, die man besitzen könne; aber ich gab diesen Frauen ein unbestimmtes Aussehen, das ich mit Hilfe der Freudenhäuser durch besondere Gesichter ersetzen wollte. So hatte ich Bloch gegenüber – für seine »frohe Botschaft«, Glück und Besitz der Schönheit seien keine unerreichbaren Dinge, unsere Bemühung, für immer auf sie zu verzichten, sei unnötig – eine Verpflichtung ähnlicher Art, wie gegen einen optimistischen Arzt oder Philosophen, der uns langes Leben in dieser Welt und die Sicherheit, uns beim Übergang in eine andre nicht völlig von ihr zu trennen, erhoffen läßt; die Rendezvoushäuser, die ich einige Jahre später besuchte, lieferten mir Musterproben des Glücks und erlaubten mir, der Frauenschönheit ein Element hinzuzufügen, das wir nicht erfinden können, das mehr ist als ein Inbegriff früherer Schönheiten, das wahrhaft göttliche Geschenk, das einzige, das wir uns nicht selbst zu schenken vermögen, vor dem alle logischen Schöpfungen unserer Intelligenz zunichte werden, und das wir von der Wirklichkeit allein erbitten können: den Reiz des Individuellen, – und damit verdienten sie es, von mir andern Wohltätern neueren Ursprungs, ähnlich ersprießlichen, an die Seite gestellt zu werden – Dingen, vor deren Kenntnis wir uns das Verführerische an Mantegna, Wagner, Siena nach andern Malern, Musikern und Städten ohne die rechte Inbrunst vorstellen, nämlich den illustrierten Geschichten der Malerei, den Sinfoniekonzerten und den Schriften über die »Kunststätten«. Allein das Haus, in das Bloch mich führte und in das er selbst schon längst nicht mehr ging, war von zu niederem Rang, das Personal zu mittelmäßig und zu selten erneuert, als daß ich dort alte Wißbegierde befriedigen oder neue gewinnen konnte. Die Vorsteherin des Hauses kannte keine der Frauen, nach denen man sie fragte, und schlug immer solche vor, von denen man nichts hätte wissen wollen. Eine rühmte sie mir besonders, eine, von der sie mit verheißungsvollem Lächeln (als wäre das eine Seltenheit und ein besonderer Leckerbissen) sagte: »Es ist eine Jüdin! Sagt Ihnen das nichts?« (Das war wohl der Grund, weshalb sie sie Rahel nannte.) Und mit albernem, künstlichem Pathos, von dem sie hoffte, es wirke ansteckend, und das in einem beinah wollüstigen Geröchel endete, rief sie: »Kleiner, denken Sie doch, eine Jüdin, ich stelle mir vor, das muß toll sein! Hach!« Diese Rahel, die ich zu sehen bekam, ohne daß sie mich sah, war brünett und nicht hübsch, sah aber klug aus. Nicht ohne mit der Zungenspitze über die Lippen zu fahren, lächelte sie unverschämt den Kunden zu, die man ihr vorstellte und die, wie ich hörte, ein Gespräch mit ihr anknüpften. Ihr kleines, schmales Gesicht war von schwarzem Kraushaar umgeben, das unordentlich aussah, als wäre es auf einer Zeichnung mit chinesischer Tusche nur durch Schraffieren angedeutet. Jedesmal versprach ich der Vorsteherin, die sie mir mit besonderer Beharrlichkeit empfahl und dabei ihre große Intelligenz, und Bildung rühmte, ich werde nicht verfehlen, eines Tages eigens zu kommen, um die Bekanntschaft der Rahel zu machen, der ich zitierend den Beinamen »Rahel, die von des Herrn« gab. Am ersten Abend aber hatte ich sie im Weggehen zu der Patronin sagen hören:

      »Abgemacht, ich bin morgen frei, wenn sie jemanden haben, vergessen Sie nicht, mich holen zu lassen.«

      Diese Worte hatten mich verhindert, in ihr eine Individualität zu sehen, sie ordnete sich damit für mich unmittelbar in eine allgemeine Kategorie von Frauen ein, deren gemeinsame Gewohnheit es ist, abends herzukommen, um zu sehen, ob es nicht ein Goldstück oder zwei zu verdienen gebe. Sie variierte ihre Worte nur so:

      »Wenn Sie mich brauchen« oder »wenn Sie jemanden brauchen«.

      Die Patronin, die die Oper von Halévy nicht kannte, wußte nicht, woher ich mein »Rahel, die von des Herrn« hatte. Aber man braucht einen Scherz nicht weniger komisch zu finden, weil man ihn nicht versteht, und jedesmal sagte sie mir wieder unter herzlichem Lachen:

      »Also heut abend soll ich Sie noch nicht zusammentun mit »Rahel, die von des Herrn?« Wie sagen Sie das: Rahel, die von des Herrn! Das haben Sie fein rausgebracht. Ich werde euch beide verloben. Sie werden sehen, es wird Sie nicht gereuen.«

      Einmal war ich nahe daran, mich zu entscheiden, aber da war sie gerade »unter der Presse«, ein anderes Mal unter den Händen des »Friseurs«, eines alten Herrn, der nichts weiter mit den Frauen machte, als ihnen Öl über das offene Haar zu gießen und dann sie zu kämmen. Und ich wurde es müde zu warten, obschon einige sehr bescheidene Besucherinnen, angeblich Arbeiterinnen, aber immer ohne Arbeit, kamen, mir Lindenblütentee machten und eine lange Unterhaltung mit mir anfingen, der – trotz des Ernstes der besprochenen Themen – die teilweise oder völlige Nacktheit meiner Unterrednerinnen eine schmackhafte Schlichtheit gab. Ich stellte dann bald meine Besuche in diesem Hause ein, denn in dem Wunsche der Frau, die es hielt, mein Wohlwollen zu beweisen, hatte ich ihr einige Möbel, die ich von meiner Tante Léonie geerbt hatte und die sie brauchen konnte, gegeben, namentlich ein großes Kanapee. Diese Möbel sah ich zu Hause nie, aus Platzmangel hatten sie meine Eltern in einem Speicher untergestellt. Als ich sie nun in dem Hause wiederfand, wo sie von diesen Frauen benutzt wurden, erschienen mir alle Tugenden, deren Gegenwart man im Zimmer meiner Tante in Combray fühlte, gemartert von der qualvollen Berührung, der ich die schutzlosen ausgeliefert hatte! Ich hätte nicht mehr zu leiden gehabt, wenn ich eine Tote hätte vergewaltigen lassen. Ich kehrte nicht mehr zu der Kupplerin zurück, denn die Möbel schienen mir zu leben und mich anzuflehen, wie die scheinbar unbelebten Gegenstände im persischen Märchen, in denen Seelen eingeschlossen sind, die ein Martyrium zu erleiden haben und nach Befreiung jammern. Da das Gedächtnis uns Erinnerungen gewöhnlich nicht in chronologischer Folge darbietet, sondern wie in einem Spiegel, in dem die Anordnung der Einzelheiten umgekehrt ist, erinnerte ich mich erst viel später, daß ich auf demselben Kanapee vor langen Jahren zum ersten Male die Freuden der Liebe mit einer meiner kleinen Kusinen kennen gelernt hatte: wir hatten damals nicht gewußt, wohin miteinander, und sie hatte mir den ziemlich gefährlichen Rat gegeben, eine Stunde zu nutzen, in der Tante Léonie aufgestanden war.

      Einen anderen Teil der Möbel und vor allem herrliches altes Silber meiner Tante Léonie verkaufte ich gegen den Rat meiner Eltern, um mehr Geld zur Verfügung zu haben und Frau Swann öfter Blumen zu schicken, die dann beim Empfang gewaltiger Orchideenkörbe zu mir sagte: »Wenn ich Ihr Herr Vater wäre, ich ließe Sie unter Kuratel stellen«. Wie konnte ich vermuten, daß es mir eines Tages gerade um dies Silber leid sein und ich gewisse Freuden höher stellen würde als diese eine, die dann vielleicht ganz nichtig werden sollte: die Freude, den Eltern Gilbertes Höflichkeiten zu erweisen. So hatte ich ja auch im Hinblick auf Gilberte und, um sie nicht verlassen zu müssen, mich entschlossen, nicht Diplomat zu werden. Unsere endgültigen Entschlüsse fassen wir immer auf Grund eines Geisteszustandes, dem nicht bestimmt ist zu dauern. Damals konnte ich mir kaum vorstellen, die seltsame Substanz, die in Gilberte ihren Sitz hatte, auf ihre Eltern und ihr Haus ausstrahlte und mich gegen alles andere gleichgültig machte, diese Substanz könne je frei werden und in ein anderes Wesen hinüberwandern. Die unbedingt gleiche Substanz, die dann auf mich ganz andere Wirkungen ausüben sollte. Denn eine Krankheit kann Evolutionen durchmachen; ein köstliches Gift wird nicht mehr so gut ertragen, wenn mit den Jahren die Widerstandsfähigkeit des Herzens nachgelassen hat.

      Meine Eltern hätten es gern gesehen, daß die Intelligenz, die Bergotte mir zuerkannte, durch eine bemerkenswerte Arbeit sich kundtue. Bevor ich Gilbertes Eltern kennen lernte, glaubte ich, am Arbeiten hindere mich Aufregung, in die mich die Unmöglichkeit, Gilberte beliebig zu sehen, versetzte. Als mir dann aber das Haus der Swann offen stand, sprang ich, kaum daß ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt hatte, immer wieder auf und lief zu ihnen. Und auch wenn ich sie verlassen hatte und nach Hause zurückkehrte, war meine Isolierung nur scheinbar, mein Denken konnte den Fluß der Worte, durch den ich mich stundenlang mechanisch hatte mitreißen lassen, nicht mehr stromaufwärts steigen. Und so fuhr ich, auch wenn ich allein war, fort, Wendungen zu ersinnen, die den Swann hätten gefallen können, und um dies Spiel interessanter zu gestalten, übernahm ich auch die Rolle der abwesenden Partner, stellte mir selber ausgedachte Fragen, die ich so wählte, СКАЧАТЬ