Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen
Автор: Marcel Proust
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027208821
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Gewisse Besonderheiten des Ausdrucks, die schwach in Bergottes Gespräch zu spüren waren, gehörten nicht eigentlich ihm allein, ich habe sie später bei seinen Brüdern und Schwestern kennen gelernt und bei diesen erheblich betonter gefunden. Es war eine gewisse Heftigkeit und Rauheit in den letzten Worten eines heiteren Satzes, ein Schwachwerden und Verhauchen am Ende eines traurigen. Swann, der den Meister schon als Kind gekannt hatte, erzählte mir, daß man damals bei ihm ebensosehr wie bei seinen Geschwistern diesen Familientonfall zu hören bekam; da gab es bald Schreie ungeberdiger Lustigkeit, bald Murmeln träger Melancholie, und in dem Zimmer, in dem sie sich alle zusammen tummelten, spielte er besser als irgendeiner seinen Part in ihren abwechselnd ohrenbetäubenden und verwimmernden Konzerten. So eigenartig solch ein Stimmfall gewisser Wesen sein mag, er verflüchtigt sich und überlebt seine Träger nicht. Mit dem Ton der Familie Bergotte kam es anders. So schwer es sogar in den ›Meistersingern‹ zu begreifen ist, wie ein Künstler Musik erfinden kann, während er die Vögel zwitschern hört, – Bergotte hatte in seine Prosa diese Art, auf Worten zu verweilen, die im Freudenausbruch sich häufen oder in traurigen Seufzern vertropfen, übertragen und darin festgehalten. Es gibt in seinen Büchern Satzschlüsse, in denen die Klanghäufung sich verlängert wie in den letzten Akkorden einer Ouvertüre, die nicht enden kann und mehrere Male ihre letzten Takte wiederholt, bis endlich der Kapellmeister den Taktstock niederlegt. Darin habe ich später oft ein musikalisches Äquivalent zu den Stimm-Trompeten der Familie Bergotte gefunden. Bergotte selbst aber hörte unbewußt auf, sie in seiner Rede zu gebrauchen, seit er in seine Bücher sie übertragen hatte. Vom Tage an, da er zu schreiben begann, und erst recht später, als ich ihn kennen lernte, hatte seine Stimme das Instrumenthafte für immer verloren.
Die jungen Bergotte – der künftige Schriftsteller und seine Geschwister – waren gewiß andern jungen Leuten nicht überlegen; im Gegenteil, andere feinere und geistvollere fanden die Bergotte recht laut, geradezu etwas gewöhnlich und mit ihren typischen, halb preziösen, halb albernen Familienspäßen unerträglich. Aber das Genie, ja schon das Talent kommt weniger von einer Überlegenheit im Geistigen und einer Verfeinerung im Sozialen andern gegenüber als von der Fähigkeit, die vorhandenen Elemente umzuformen und zu übertragen. Um eine Flüssigkeit mit einer elektrischen Lampe zu wärmen, kommt es nicht darauf an, eine möglichst starke Lampe zu verwenden, sondern eine, deren Strom aufhören kann zu leuchten, sich ableiten läßt und statt des Lichtes Wärme gibt. Um im Flugzeug zu fahren, bedarf es nicht des stärksten Motors, sondern eines, der, wenn er nicht weiter auf der Erde läuft, sondern die bisher verfolgte Linie in einer Vertikale schneidet, imstande ist, seine horizontale Geschwindigkeit in aufsteigende Kraft zu verwandeln. Ebenso werden geniale Werke nicht von denen hervorgebracht, die im erlesensten Milieu leben, die glänzendste Konversation machen, die umfassendste Bildung besitzen, sondern von solchen, die die Macht haben, plötzlich aufzuhören für sich selbst zu leben, aus ihrer Persönlichkeit einen Spiegel zu machen, in dem ihr Leben, mag es vom gesellschaftlichen und selbst in gewissem Sinn vom geistigen Standpunkt aus noch so mittelmäßig sein, zurückgestrahlt wird. Denn das Genie liegt in der Macht zu reflektieren, nicht in der eigenen inneren Qualität des gespiegelten Schauspiels. Von dem Tage ab, an dem der junge Bergotte seiner Leserwelt den Salon von schlechtem Geschmack, in dem er seine Jugend verbracht hatte, und die nicht besonders witzigen Unterhaltungen daselbst mit seinen Brüdern darstellen konnte –, an diesem Tage stieg er höher als die geistvolleren und distinguierteren Freunde seiner Familie; die mochten auf dem Heimweg in ihren schönen Rolls-Royce sich verächtlich äußern über die Gewöhnlichkeit der Bergotte; er aber in seinem bescheidenen Apparat, der endlich ›losging‹, überflog sie.
Nicht mehr mit den Mitgliedern seiner Familie, sondern mit gewissen Schriftstellern seiner Zeit waren ihm andere Eigenheiten seiner Ausdrucksweise gemein. Diese zeigten sich deutlich, ohne daß sie es wußten, bei jüngeren, die schon anfingen, ihn zu verleugnen, und behaupteten, keinerlei geistige Verwandtschaft mit ihm zu haben; sie wandten dieselben Adverbien, dieselben Präpositionen an, die er beständig wiederholte, bauten ihre Sätze auf seine Art und sprachen in seinem dämpfenden, retardierenden Tonfall: eine Reaktion gegen die beredte, leichte Sprache einer vorangehenden Generation. Vielleicht hatten diese jungen Leute – man wird einige kennen lernen, denen es so erging – Bergotte nicht gekannt: aber seine Art zu denken war ihnen eingeimpft und hatte in ihnen die Veränderungen der Syntax und des Akzentes entwickelt, die in notwendigem Zusammenhang mit der geistigen Originalität stehen, einem Zusammenhang, der an anderer Stelle wird erklärt werden müssen. So hatte auch Bergotte, der seine Art zu schreiben niemandem verdankte, seine Art zu sprechen von einem seiner alten Kameraden, einem wunderbaren Causeur, dessen Einfluß Bergotte erfahren hatte und den er unbewußt in der Unterhaltung nachahmte, der aber selbst, weniger begabt, nie ein wahrhaft bedeutendes Buch geschrieben hatte. Hielte man sich also an die Originalität der Sprechweise, so würde Bergotte als Schüler abgestempelt, als Schriftsteller aus zweiter Hand, während er doch trotz des Einflusses seines Freundes auf seine Konversation, als Schriftsteller original und schöpferisch war. Was Bergotte, wenn er ein Buch loben wollte, hervorhob und gern zitierte, war immer eine bildhafte Szene ohne Vernunftbedeutung – und damit wollte er sich gewiß scharf von der vorhergegangenen Generation unterscheiden, die zu sehr die Abstraktionen, die großen Gemeinplätze geliebt hatte. »Ach«, sagte er dann. »Das ist gut! Da gibt es ein kleines Mädchen in einem orangenen Schal, ach, das ist gut!«, oder etwa: »Ja, da ist eine Stelle, wo ein Regiment durch die Stadt zieht, ach, das ist gut!« In Stilfragen ging er nicht ganz mit seiner Zeit mit (und beschränkte sich übrigens sehr ausschließlich auf das eigene Land; Tolstoi, Georges Elliot, Ibsen und Dostojewski konnte er nicht leiden); das Wort, das immer wiederkehrte, wenn er einen Stil loben wollte, war das Wort ›süß‹. »Ja, ich liebe trotz allem den Châteaubriand von Atala mehr als den von René, mir scheint, er ist süßer.« Er sagte dies Wort wie ein Arzt, dem ein Kranker versichert, daß die Milch ihm Magenweh mache, und der antwortet: »Sie ist doch aber ganz süß.« Und tatsächlich war im Stile Bergottes etwas von der Harmonie, für die die Alten bestimmten Rednern ein Lob erteilten, dessen Natur uns schwerfaßlich ist, da wir nun einmal an unsere modernen Sprachen gewöhnt sind, in denen man auf derartige Wirkungen nicht ausgeht.
Er sagte auch mit schüchternem Lächeln von Seiten seiner Bücher, über die man ihm Bewunderung ausgesprochen hatte: »Ich glaube, es ist ziemlich wahr, ziemlich genau, es kann nützlich sein«, doch einfach nur aus Bescheidenheit, wie eine Frau, der man sagt, daß ihr Kleid oder ihre Tochter entzückend sei, in bezug auf das erste antwortet: »Es ist bequem«, in bezug auf die zweite: »Sie hat einen guten Charakter.« Aber der baumeisterliche Instinkt war zu tief in Bergotte: es entging ihm nicht, daß der einzige Beweis, er habe nützlich und nach der Wahrheit gebaut, in der Freude lag, die ihm sein Werk gegeben hatte, ihm zuerst, und den andern nachher. СКАЧАТЬ